25. Oktober 2013

Latiner, Teutonen und die Zukunft Europas

Wenn heute von der Krise Europas gesprochen wird kommt man an Girogio Agamben, dem italienischen Philosoph, der die Lebensart und Kultur der »Latiner« durch den teutonischen Kapitalismus bedroht sieht, nicht vorbei. Alle großen Zeitungen und Nachrichtenportale berichteten von ihm und seinen Vorstellungen eines »L’Empire Latin«, welches die so empfundene Vorherrschaft Deutschlands in Europa beenden müsse.⁽¹⁾ Hierzulande sieht man derartige Vorstellungen mit gemischten Gefühlen, das Mittelmeer mit seinen nördlichen Anrainerstaaten, von der Türkei bis Spanien, sind Sehsuchtsorte der Teutonen, und nicht nur dieser. Licht, Meer, mediterrane Lebensart, gepaart mit etwas Kulturromantik, sind zu einem Bild verschmolzen zu dem man hinzu gehören möchte. Allerdings, ganz aktuell, wenn in der Debatte um die Krise des Euro, und der europäischen Union insgesamt, sich immer mehr der Eindruck verfestigt, dass eben dieser mediterrane Lebensstil nur mit dem Geld der Teutonen aufrecht zu erhalten ist, dann fühlt man sich schnell übern Tisch gezogen, und Sehnsucht schlägt in Missbilligung um. Dies geschieht auf beiden Seiten der Alpen, wie Agamben deutlich zeigt. Das Projekt Europa, welches auch eine gemeinsame europäische Identität schaffen sollte, nicht zuletzt mit dem Euro, droht zu scheitern weil es von vornherein als eine mehr wirtschaftliche Einheit geplant wurde, und weniger als eine kulturelle. Kritiker des Euro, wie der CSU Politiker Peter Gauweiler, prophezeiten schon lange: „Am Ende hassen uns alle“.⁽²⁾ Momentan sieht es danach aus, als würde er Recht bekommen.

Jetzt rächt sich, dass nicht nur kulturelle Unterschiede weitestgehend ausgeblendet wurden, sondern dass auch demokratische Prinzipien, wonach der Bürger eine Wahl hat, haben muss, sträflich missachtet wurden. Eurokritische Stimmen wurden in die Schmuddelecke gestellt, als rechtsradikal verunglimpft, und eine Allianz von missionierend tätigen Medien und der Politik verkauften dem Bürger den Euro zuerst als großen Fortschritt, dann als alternativlos, nun als ein Projekt welches viel zu weit fortgeschritten sei um es ohne große wirtschaftliche Verwerfungen und Verluste zu beenden. Immer wurde und wird der Bürger vor vollendete Tatsachen gestellt, niemals hatte er eine Wahl. In den wenigen Ländern in denen eine wirkliche Wahlfreiheit über den Euro bestand, wurde er mehrheitlich nicht gewünscht. Gerade in den manchmal etwas despektierlich so genannten Südländern wächst die Angst vor dem Verlust der eigenen Lebensweise, der eigenen Kultur, welches alles einem Europa geopfert wird das man von den Deutschen, als größte und stärkste Volkswirtschaft, dominiert sieht. Das sind nicht vereinzelte Stimmen, sondern ganze Massenbewegungen sind entstanden, die sogar noch darüber hinausgehen mehr Unabhängigkeit des Nationalstaates von Europa zu fordern, sondern gleich noch Unabhängigkeit einzelner Regionen vom jeweiligen Nationalstaat. Ob Unabhängigkeitsbestrebungen in spanischen Provinzen, dem nördlichen Italien oder gar Schottland, überall steht (scheinbar) im Vordergrund, dass eigene kulturelle Identität bedroht ist, die man aber in einer immer unübersichtlicher erscheinenden Welt unbedingt gestärkt und bewahrt sehen möchte.⁽³⁾

Was aber nur selten ausgesprochen wird, ist, dass es meist auch um handfeste wirtschaftliche Interessen geht, es überwiegend die eher wohlhabenden Regionen sind die von einer verordneten Solidarität mit den ärmeren genug haben. Wenn schon Solidarität, dann wenigstens im eigenen Kulturkreis und nicht für die Fremden, selbst im eigenen Land. Auch in Deutschland sind derartige Entwicklungen vorhanden, die zwar nie soweit gehen, dass sich einzelne Bundesländer abspalten wollen, doch die Debatte um den Länderfinanzausgleich ist prinzipiell nichts anderes. Die Bereitschaft zur Solidarität sinkt eben je weiter der Empfänger von Inhalt und Struktur des eigenen Kulturkreises entfernt ist. Und dass sich regionale Identität mit wirtschaftlichen Interessen gemeinhin zu einer Legierung entwickeln, man mit dem einen argumentiert, dabei aber das andere meint, macht die Sache nicht einfacher.

Wie man derartigen Zuständen, oder Entwicklungen, begegnen könnte, dies war den Euroenthusiasten schon immer klar. Ein Dialog der Kulturen solle entstehen der zum besseren Verständnis zueinander führt, Differenzen abbaut und zur gegenseitigen kulturellen Befruchtung führt. Dabei wird immer das Idealbild einer Multikultigesellschaft im Hinterkopf mitgetragen. Einem jedem werden seine Besonderheiten gelassen, doch mit wachsendem gegenseitigem Verständnis, wächst auch das Gefühl für eine neue gemeinsame Gesellschaft, ein gemeinsames Europa. Agamben würde hier widersprechen, und nicht nur er. Rémi Brague, französischer Philosoph und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, meint gar, dass es einen Dialog oder einen Austausch zwischen den Kulturen nie gegeben hat, Multikulti ein Mythos ist, und man bestenfalls von Koexistenz sprechen könne. Gerade im Mittelmeerraum, wo eine dominierende Kultur die andere ablöste, hat es nie gleichberechtigte Kulturen quasi nebeneinander gegeben die sich gegenseitig in einem Dialog befanden. Koexistenz bedeute nie Gleichheit. Es gab immer Herrschende und Beherrschte, die nicht einmal zwangsläufig gegenseitige Achtung zueinander aufbrachten, ja nicht einmal Kenntnis von der Art der »Anderen« hatten.⁽⁴⁾ Zwar hätte es Anleihen gegeben, aber eben keinen Austausch. Kulturtransfer war immer weitestgehend eine Einbahnstraße. Der Sieger übernimmt Elemente aus der unterlegenen, oder vergangenen Kulturen, doch mehr nicht.

Nun halten nicht alle eine derartige Sicht, in der mit der Analyse der Vergangenheit auf Verhalten und Befindlichkeiten der Gegenwart geschlossen werden kann, für angebracht. Claus Leggewie, einer der Hauptautoren des WBGU Gutachtens »Welt im Wandel«⁽⁵⁾, spricht gar von einer »Überhistorisierung« im Hinblick auf Agamben, und dem falschen Gebrauch von Geschichte.⁽⁶⁾ Allerdings sieht Leggewie in den Handelsbeziehungen die die Stadtstaaten des Mittelmeerraumes zueinander hatten, ein Vorbild für eine sich selbst organisierende Gemeinschaft oberhalb der einzelnen Regionen, doch unterhalb von Supranationalen Gebilden wie der EU. Hier möchte er eine „nachhaltige lokal kolorierte Wissensgesellschaft“ etablieren, die „kulturelle und religiöse Grenzen überwindet und am Schicksal der Völker ausgerichtet ist“. Dieser hauptsächlich »sozio-ökonomische« Blick auf Europa und speziell das Mittelmeer, blendet aber weitgehend die kulturellen Aspekte aus, so wie es seit der Gründung der Währungsunion geschieht und er wiederholt damit den gleichen Fehler.

Leggewie wäre nicht Leggewie, wenn er nicht auch gleich mit der Beschreibung der Krise eine Ausweg anbieten könnte, mehr noch, seine Beschreibung macht den Eindruck, dass die Vergangenheit nur deswegen so von ihm dargestellt wird, damit sein großes Ziel, die Transformation hin zu einer Gesellschaft mit Nachhaltigkeitspostulat und »grünen Energien« Sinn macht. Dass derartige Vorstellungen keine identitätsstiftende Wirkung haben, dass es sozusagen Europa zusammenführen könnte, ist ihm selbst klar. O-Ton Leggewie:
In Griechenland kann es ihnen passieren, dass gerade aus Kreisen der Linken, mit einer solchen Idee erneuerbare Energien als einen Wachstumspol, ein Entwicklungspol, aufzubauen, dass ihnen das als »grün-deutscher Imperialismus« unter geschoben wird. Das ist mir in Bosnien passiert, wo ich gesagt habe, könnt ihr aufhören euch ethnisch die Köpfe einzuschlagen und vielleicht darüber nachdenken, wie ihr aus eurer Erdölabhängigkeit herauskommt. Das gilt als grüner Imperialismus. Da muss man durch.
Spätestens hier wird klar, es geht ihm nicht um eine Analyse warum es in Europa nicht so läuft wie es erhofft wurde, und wie man die Menschen wieder näher zusammenbringen könnte, was er gerne vorgibt, sondern lediglich um seine geliebte Transformation hin zu einer ihm notwendig erscheinenden Ökogesellschaft. Da muss man durch. Wahrscheinlich sieht er dies als den wahren Gebrauch von Geschichte an, sie sich zurechtbringen, um Begründungen für eine eigene Agenda und eigenen Überzeugungen zu haben.

Ob Agamben, und auch Brague, recht haben mit ihren Beschreibungen, das wird sich zeigen. Dass wir darüber diskutieren ist höchst überfällig, die »sozio-ökonomischen« Erklärungen haben viel zu lange die Diskussionen bestimmt. Werden die kulturellen Analysen vernachlässigt, dann wird am Ende tatsächlich passieren was Peter Gauweiler voraussagte: „Sie werden uns hassen“. Und dabei meinen es wir ja nur gut. Doch die gegenwärtigen Entwicklungen und Stimmungen, in fast allen Ländern nehmen die Euro- und Europakritischen Stimmen zu, teils rasant, und lassen nicht erwarten dass Agambe völlig falsch liegt. Nun wird es allerdings auch Zeit, dass sich in den Ländern nördlich der Alpen Historiker, Soziologen und Ökonomen finden, die eben die hiesigen kulturellen Befindlichkeiten deutlich machen. Das wird dann letztlich nur zur Koexistenz von verschiedenen Kulturen führen, mit hoffentlich etwas besserem gegenseitigen Verständnis. Doch ein Dialog an dessen Ende eine gemeinsame europäische Identität steht muss als chancenlos angesehen werden. Und aufpassen müssen wir vor allem, nicht auf Leute hereinzufallen, die die Eurokrise lediglich dazu nutzen um ihr eigenes Süppchen zu kochen.


Verweise / Anmerkungen:

(1) Agamben ist inzwischen einer der meistdiskutierten Philosophen der Gegenwart. Dabei hat er erst seit Mitte der 1990er Jahre internationale Aufmerksamkeit erzielt. Kennzeichnend für sein Selbstverständnis scheint zu sein, dass er sich nicht auf die Rolle als akademischer Philosoph oder Literaturwissenschaftler festlegen lässt.
[Wikipedia: Giorgio Agamben]

Ein lateinisches Imperium gegen die deutsche Dominanz? Der italienische Philosoph und Zeitdiagnostiker Giorgio Agamben erläutert seine vieldiskutierte These. Er sei missverstanden worden.
[FAZ: Die endlose Krise ist ein Machtinstrument]

Er will uns Gott und die Welt erklären: Der Philosoph Giorgio Agamben gilt als Meisterdenker der Gegenwart, der die Stichworte der Kulturkritik liefert. Das Resultat: Verschwörungstheorien.
[DIE WELT: Der Denker mit dem bösen Blick]

Frankreich diskutiert ein Pamphlet des Philosophen Giorgio Agamben: Der Süden soll sich unter der Führung Frankreichs zur Wehr setzen.
[ZEIT ONLINE: Gegen Deutschland?]

Südeuropa fühlt sich und die lateinische Lebensart bedroht. Absurd ist das nicht.
[SPON: Siempre la Siesta]

(2) Er meinte damit die Befürchtungen anderer Länder. Nämlich dass sich Deutschland aufmache, Europa zu beherrschen. Diesmal nicht mit Waffengewalt, sondern durch wirtschaftliche Dominanz.
[SWR2 Kontext: Darf Deutschland Europa führen?]

(3) Nun gewinnen die Rechtspopulisten des „Front National“ Nachwahlen, in den Umfragen haben sie Sozialisten wie Konservative überholt und könnten im nächsten Jahr Sieger der Europawahlen werden. Mit einem Programm, das die Schuld an Frankreichs wirtschaftlicher Misere auf Zuwanderer, die Globalisierung und Brüssel schiebt.
[SWR2 Forum: Sauce Hollandaise]

(4) „Die kulturellen Einflüsse sind des öfteren Ergebnisse von Eroberungen“ (Rémi Brague in einem Vortrag)
[L.I.S.A.: Zukunftsorte Europas: Der Mittelmeerraum]

(5) „Die Partizipationsmodelle, wie sie der WBGU beschreibt, zielen darauf ab, Alternativen und echte Wahlmöglichkeiten zu verhindern. Nicht ein mehr an Demokratie ist das Ergebnis, sondern eine Diktatur derer die sich in nichtdemokratischen Prozessen die Meinungsführerschaft sichern können, von der man aber nicht wissen kann, ob sie auf eine Mehrheit der Stimmen zählen kann.“
[Glitzerwasser: Partizipation, oder wie man undemokratische Verfahren verklärt]

(6) „Methodologisch schwanken wir, mit Nietsche gesprochen, zwischen der Überhistorisierung, die kürzlich wieder Girogio Agamben [...] mit der Konstruktion einer Latinität beschworen hat, die sich sozusagen gegen das teutonische Imperium richtet [...] und der ahistorischen Betrachtung des Mittelmeerraumes als Problemzone.“
[L.I.S.A.: Zukunftsorte Europas: Der Mittelmeerraum]




Dossier: Heimat

2 Kommentare :

  1. Sehr interessante Auseinandersetzung! Wo kann man die Leggewie- und Brague-Positionen wiederfinden? Viele Grüße, F. Bonse

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    1. Lieber F. Bonse,

      beide, Leggewie und Brague, haben Vorträge auf einer Veranstaltung der »Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften« gehalten und die Videos, auch eine anschließende Podiumsdiskussion, sind auf der Seite L.I.S.A (Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung) zu sehen. Die Veranstaltung stand unter dem Motto »Zukunftsorte Europas: Der Mittelmeerraum«. Für mich sehr auffällig ist, dass Leggewie die Krise in Europa nutzen möchte um Zukunftsentscheidungen in seinem Sinn schmackhaft zu machen.

      Beste Grüße
      Quentin

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