4. März 2014

Vernünftige Unfreiheit?

Freiheit ist nicht, wo die Vernunft Macht hat, sondern dort wo Recht der Vernunft Einhalt gebietet. Der Grund dafür ist einfach, Vernunft basiert auf individuellen Werten, Einschätzungen, Moral; was vernünftig ist, macht nur mit der jeweiligen Situation des einzelnen Individuums einen Sinn und lässt sich grundsätzlich nicht verallgemeinern. Vernunft ist kein Wert an sich, und ist immer an Situationen und Einschätzungen geknüpft. Eine allgemeine Vernunft gibt es nicht, wenngleich, wenn sich eine Gruppe mit gleichen Werten, Einschätzungen und Moral als Gemeinschaft definiert, kann es so etwas wie eine allgemeine Vernunft geben, wobei selbst hier die individuelle Situation des Menschen einschränkend wirkt. Auch was als praktische Vernunft gesehen wird, wird in einer Gesellschaft allgemein geteilt. Wird Vernunft aber mit Macht verknüpft, so erscheint sie auf einmal in einem ganz anderem Licht, dann treten individuelle Werte, Situationen und Einschätzungen in den Hintergrund, die Vernunft der Macht ist eben etwas ganz anderes als die Vernunft des Individuum und muss zwangsläufig zur Einschränkung der Freiheit und der Individualität kommen, wie es in ausgeprägteste Form in Diktaturen zu finden ist.

Dies gilt nicht nur für Diktaturen in ihrer reinsten Form, wie etwa den Nationalsozialismus oder den Kommunismus, sondern bereits für Meinungsdiktaturen in postpluralistischen Gesellschaften, beispielsweise solche die das Nachhaltigkeitspostulat als obersten Wert annehmen, oder solche die sich über ethnische Herkunft beschreiben, oder religiöse Überzeugungen - dergleichen Beispiele könnten viele angeführt werden.

„Vernunft ist eine Rede, die spontan überzeugt,“ so der Philosoph Boris Groys. Und sie kann nur überzeugen, wenn eine Vielzahl Werte geteilt werden, möchte man anfügen. Wird Vernunft zur Basis einer Gesellschaftsordnung, geschieht genau das was im Kommunismus passierte, weil auch hier konsequent auf die vernünftige Planung von Gesellschaft und Wirtschaft gesetzt wurde. Das Individuum wird zur Nebensache, was der einzelne Mensch als vernünftig ansieht ebenfalls. Vernunft und Macht ist eine Verbindung, die völlig unabhängig von den jeweiligen zugrunde liegenden Überzeugungen, ein höchst gefährliches Potential zur Diktatur hat. Am Beispiel der „Vernunftsdiktatur Kommunismus“ wird auch deutlich, wie vorgegangen werden muss, um die Macht zu behalten. Institutionen die der Vernunft Grenzen setzen könnten, werden systematisch zerstört. Ökonomie und Rechtsprechung in allererster Linie, aber auch solche Dinge wie Familie, was aber bislang in jeder Diktatur gescheitert ist. Groys meint gar, ein Grund fürs Scheitern des Kommunismus wäre, dass es nicht gelungen ist, die Institution Familie zu zerstören. Dies sagte er in einem höchst interessanten Streitgespräch mit Vittorio Hoesle, ebenfalls Philosoph, der ihm diesbezüglich nicht widersprach.

Kommen wir zum Recht, wieso dieses für Freiheit steht, und nicht die Vernunft. Ein Rechtssystem welches auf liberalen Grundsätzen aufbaut, die Gewaltteilung beherzigt, steht dem was die Herrschenden als vernünftig ansehen oft entgegen, das es das Individuum zu schützen vermag, damit dieses durch eine Meinungsdiktatur oder einer politischen Macht, die jeweilig ihre eigenen vernunftbasierten Ziele haben, unter die Räder kommt. Groys meint gar, der Rechtsstaat ist die Antwort für die Enttäuschung durch die Herrschaft durch die Vernunft und Liberalismus ist Restauration als Ergebnis der Französischen Revolution, die ja eigentlich auch ein Terrorregime wurde, weil auch hier Vernunft und Macht eine unheilige Allianz eingegangen sind. Ein durch Vernunft gewonnener abstrakter Idealismus hat zum Terror geführt. Liberalismus und Rechtsstaat sind ihrem Ursprung nach reaktionär und eine Reaktion auf die totale Herrschaft der Vernunft, die ihre Fratze im Blutrausch der Französischen Revolution offenbarte. Ein Rechtssystem welches auf Gewaltenteilung und der Herrschaft des Gesetzes setzt, ist auch der Vorsicht gegenüber der Vernunft geschuldet, die zwar spontan überzeugen kann, dies dann aber nicht sofort in Taten umsetzen kann, sondern politisch begründen muss.

Und selbst wenn sich politische Mehrheiten finden, dann steht immer noch die Herrschaft des Gesetzes über der der Politik. Wird dieses Prinzip durchbrochen, dann ist der Weg zur Diktatur bereitet. Die Herrschaft des Gesetzes ist also auch als Vorsicht gegenüber der Vernunft zu begreifen.

Alles dies scheinen die Gründungsväter der Bundesrepublik gewusst zu haben, weshalb es eine solche Institution wie das Bundesverfassungsgericht gibt, das nach Recht und Gesetz zu urteilen hat, und nicht nach der Vernunft. Was der Politik vernünftig erscheint, kann und darf nicht zum Maßstab für Rechtsprechung sein, auch nicht das, das was einem durch ein Meinungsklima als Vernunft suggeriert wird. Wer sich die aktuellen Themen wie Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsdebatte anschaut, aber auch die Frage nach Meinungsfreiheit, es sei nur Sarrazin genannt, der wird fest stellen, das Meinungsklima fordert eine Abkehr von der Rechtsstaatlichkeit. Öffentliche Vorverurteilungen in Verbindung mit Empörung, vernünftiger Empörung würden manche sagen, kann praktisch jeden treffen der in der Öffentlichkeit steht.

Politisch gesehen, gibt es aber zum liberalen Rechtsstaat überhaupt keine Alternative, ohne eine starke Herrschaft des Gesetzes, verbunden mit Gewaltenteilung, kann kein System existieren welches Grundrechte und individuelle Freiheiten garantiert. Dass dies kein reines Vernunftsargument ist, sich also sozusagen die Katze nicht in den Schwanz beißt, zeigen die verschiedenen Freiheitsindizes, und damit ist eine gewisse empirische Evidenz vorhanden, die nachweist, dass dort wo der Rechtsstaat funktioniert, Gewaltenteilung herrscht, auch die Freiheit für den einzelnen Menschen am größten ist.

Vernunft kann zum Terror ausarten, wenn man sie lässt, noch jede Diktatur war aus sich heraus vernünftig. Solange der Rechtsstaat funktioniert braucht uns das aber nicht zu beunruhigen. Darüber hinaus sollten wir aber Skepsis gegenüber jeder Art von Vernunft haben, das sie ein Produkt des Zeitgeistes, einer speziellen Moral, oder von sonst was noch sein kann. Nur weil ein Argument spontan überzeugen kann und vernünftig erscheint, muss es noch lange nicht stimmen.

Links zum Thema:

Die Vernunft an die Macht: Boris Groys und Vittorio Hösle im Gespräch
Wikipedia: Freiheitsindex


1 Kommentar :

  1. Für die Leser in und um Berlin:

    „EUROPA IN DER KRISE. PROBLEMDIAGNOSE UND ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN
    Andreas Voßkuhle: Europa als Rechtsgemeinschaft?! Gefährdungen und Herausforderungen
    Donnerstag, 6. März 2014, 19 Uhr
    Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
    Akademiegebäude am Gendarmenmarkt
    Leibniz-Saal, Eingang Markgrafenstraße 38, 10117 Berlin

    Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

    Programm:

    Europa als Rechtsgemeinschaft?! Gefährdungen und Herausforderungen
    Andreas Voßkuhle
    Präsident des Bundesverfassungsgerichts
    Akademiemitglied“

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