6. April 2014

Skeptiker sind „Aktivist Researchers“, Alarmisten ebenso

Fast der ganze Artikel über „Citizen Science“ oder „Laienwissenschaft“ von Gabriele Goettle in der taz besteht aus Zitaten von einem Mann: Dr. Dr. h. c. Peter Finke, emeritierter Professor für Wissenschaftssprach- und Kulturtheorie an der Universität Bielefeld, und der startet einen Frontalangriff auf die etablierte Wissenschaft, die seines Erachtens nach eher eine Wissenbürokratie geworden ist, und der freien Wissensaneignung entgegen steht. Er geht aber noch weiter, und setzt Laienwissen, oder Laienvermutungen als richtig der Profi-Wissenschaft gegenüber. Die Profis können es nicht wissen, weil ihnen die Zusammenhänge fehlen. Den Blick dafür aber glaubt Finke zu haben, und lässt sich dazu hinreißen, dass was seinen Vorstellungen nicht entspricht, wenn es von Spezialisten vorgetragen wird, es als falsch zu bezeichnen. Beispielsweise über Ökonomen sagt er:
Dabei sagen sie im Grunde immer das Gleiche, obwohl heute jeder Laie genau weiß, dass es falsch ist. Aber die Ökonomen sagen unverdrossen: mehr Wachstum!
Beeindruckend hierbei ist nicht, dass es tatsächlich eine breite Diskussion darüber gab, für was Wachstum gut ist, dies nahm sogar einen breiten Raum einer Enquetekommision des Bundestages ein, bei der die verschiedensten Sichtweisen erörtert wurden, sondern dass Laienwissen, oder Laienvermutung, über die Wissenschaft gesetzt wird: „obwohl heute jeder Laie genau weiß, dass es falsch ist.“ Eine solche Herangehensweise ist nicht Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Erklärungen, sondern Besserwisserei ohne Grundlage.

Doch Finke bringt auch andere Beispiele von „Citizen Science“, als er die Bürgerinitiativen zu Stuttgart 21 oder die Antiatombewegung nennt, und hervorhebt, dass sich innerhalb dieser Gruppierungen enormes Wissen angesammelt hat. Der Schwachpunkt hier fällt natürlich auch sofort auf, denn diese Methode zur Wissensgewinnung wird auch „Activist Research“ von ihm genannt, und auch hier ist fraglich, ob ein solches Vorgehen genügend Skepsis vor der eigenen Ergebnissen produzieren kann. Dabei ist, so Robert K. Merton, für die Wissenschaft organisierter Skeptizismus Voraussetzung. Ob dies „Citizen Science“ leisten kann, muss bezweifelt werden, da sie in allererster Linie aus persönlichen Interesse am Objekt geleitet wird, welches schon von vornherein als gut oder schlecht bewertet wurde.

Allerdings, wenn wir uns die Klimawandeldebatte beispielsweise anschauen, so hat es den Anschein, als ob Institutionen wie IPCC oder PIK nicht mehr Mertons Beschreibung von Wissenschaft entsprechen, sondern eher „Activist Researchers“ sind und dementsprechend intellektuelle Autonomie in derartigen Institutionen nicht gewährleistet ist, und auch von den Wissenschaftlern nicht erlangt werden kann, da die sich oft als Aktivisten sehen. Hier verschwimmen dann die Grenzen zwischen traditioneller Wissenschaft nach Merton, und „Citizens Science“ nach Finke. Letztere sind fast ausnahmslos „Activist Researcher“ und damit in einem Sinne mit dem Forschungsthema verbunden, das mit wissenschaftlichen Standards in Konflikt gerät. Zwangsläufig.

Nun gibt es aber Gegenbewegungen, die genau genommen auch „Citizens Science“ sind, so wie es Finke beschreibt: Laienwissenschaftler mit einem Anliegen, in der Klimawandeldebatte einfach „die Skeptiker“ genannt. Sie stürzen sich auf die „Klimawissenschaft“ mit genau den gleichen Vorannahmen, „dass hier jeder Laie genau weiß, dass es falsch ist“, wie es die sogenannte Klimawissenschaft im alarmistischen Sinne tut. Die Parallelen zu den „Citizens Science“ wie sie aus der Gruppe der Kernkraftgegner hervorgegangen sind, sind offensichtlich. Hier wie dort wurde Wissenschaft missbraucht, politische Entscheidungen mit Wissenschaft begründet, was zu der Annahme führte, dass die Wissenschaft korrumpiert sei und damit die Aktivist Researchers auf den Plan ruft.

Leute wie Finke reden nun diesen Leuten ein, dass was sie tun, wäre die eigentliche Wissenschaft, und verkennt dabei, dass Wurzeln der Skepsis aus der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik erwachsen. Wissenschaftler drängen die Politik zu bestimmten Entscheidungen, und Politik missbraucht Wissenschaft um eigene Entscheidungen zu legitimieren.

Und genau nur an dieser Schnittstelle können Aktivist Researchers wirksam Fehlentwicklungen aufdecken, wenn sie allerdings versuchen eine eigene Wissenschaft zu kreieren, müssen sie sich wissenschaftlichen Standards unterwerfen, woran sie dann regelmäßig scheitern.

Aktivist Reseachers können Fehlentwicklungen aufdecken, darauf hinweisen wo wissenschaftlichen Standards nicht entsprochen wird, wo sich Politik in Wissenschaft einmischt, und umgekehrt. Sie können aber nicht für sich in Anspruch nehmen, Wissenschaft zu betreiben.

In den allermeisten Fällen sind Aktivist Reseachers politisch engagierte Laien, manchmal auch Wissenschaftler, bei denen aber das was sie für richtig halten im politischen Sinne, Hauptantriebskraft ist. Nicht die Wissenschaft, die ist nur das Feigenblatt. Demzufolge ist auch die Auseinandersetzung zwischen Alarmisten und Skeptiker in der Klimawandeldebatte kein wissenschaftlicher Disput, sondern im Grunde ein politischer Streit. Das war bei den Kernkraftgegnern so, bei Stuttgart 21, oder jetzt beim neuen IPCC Bericht.



Dieser Text ist im Buch Im Spannungsfeld |1 enthalten.

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