5. Juli 2014

Kunst, Kommerz und die Kultur

In einem Artikel in der Frankfurter Rundschau spricht Claus Leggewie übers Theater. Und die Architektur, vielleicht der Kunst im allgemeinen. Der Text ist aus einer Rede, die er am 4. Juni auf einem Festvortrag zum 10jährigem Geburtstag der Philharmonie in Essen hielt. Wie bei solchen Anlässen üblich, wird das Geburtstagskind gewürdigt, die besonderen Verdienste herausgestellt, gelobt und geschmeichelt. Doch darüber hinaus finden sich einige bemerkenswerte Äußerungen zur performativen Kunst, ich würde das noch ergänzen wollen, und von der Kunst insgesamt sprechen. Hier bezieht sich Leggewie auf den Althistoriker Christian Meier und sagt:
In der griechischen Tragödie wurde keine Tagespolitik gemacht oder abgebildet, aber Fragen, Probleme, Sorgen, Ängste der Bürger Athens im Mythos durchgespielt und für politisches Handeln geordnet, klar gestellt, bewusst gemacht.
Später spricht er über Schiller und es klingt sehr pathetisch. Schiller eben. Im Vortrag ging es um Orte der Kunst, die auch Orte der Demokratie sind, weil hier neue Gedanken aufgegriffen und durchgespielt werden. In einem separaten Kosmos quasi, ohne auf die Zwänge des realen Lebens Rücksicht nehmen zu müssen. Damit ist Kunst und Theater auch ein Experimentierraum für neue Bilder des kulturellen Selbstverständnis.

Dies betrifft natürlich insbesondere die performative Kunst wie Theater oder Film, doch nicht nur dort, Literatur gehört mindestens genauso dazu, wahrscheinlich an erste Stelle. Insofern darf man sich mit Orten der Kunst auch imaginäre Räume vorstellen, Welten in die man sich nicht nur begibt um die Gegenwart zu reflektieren und zu erklären, sondern in der Möglichkeiten und Phantasien durchgespielt werden, eben diese Gegenwart mit ihren physischen und ideologischen Zwängen zu überwinden. Dies kann aber auch bedeuten, dass durch die Auflösung dieser Zwänge verborgene Erklärungen zur Architektur des eigenen, oder kollektiven Weltbildes erkennbar werden. Schätzings Schwarm ist nicht (nur) deswegen so erfolgreich verkauft worden weil dieses Buch eine Geschichte so gut erzählt, sondern weil damit auch Erklärungsmuster abgerufen werden, die der Architektur des momentanen Weltbildes vieler entspricht. Andere Zeiten hatten andere Bilder. «Wer kennt noch die zahlreichen Mittelalteropern, die neben und nach Wagner entstanden?», fragt Jürgen Osterhammel in der «Verwandlung der Welt», seinem Werk über die Geschichte des 19. Jahrhunderts. In ihrer Zeit kannte sie jeder, sie bedienten den Zeitgeist, der auch von einer Sinnsuche durchdrungen war und romantisierte Vorstellungen vom Mittelalter flossen ins Selbstbild der Deutschen ein. Nicht nur in der Oper, man denke nur an die Märchensammlungen der Gebrüder Grimm.

Physische, ideologische und politische Zwänge werden durch die Kunst und die Literatur überwunden und die entstehenden Bilder können sich zu Sinnbildern entwickeln oder Mythen entstehen lassen.
Wie war das noch mit der Polis? Die Fragen, Probleme, Sorgen, Ängste der Bürger werden im Mythos durchgespielt und für politisches Handeln mobilisiert.
Meint am Ende seiner Rede nochmals Leggewie. Ich würde es noch gerne anders herum ausdrücken, beim Sezieren des Mythos werden Fragen, Probleme, Sorgen und Ängste der Menschen erkennbar, aber auch Hoffnungen und Wünsche. „Der Mythos ist die Matrix des Weltbildes,” meint Norbert Bolz. Damit wird dieser Vorgang nicht nur politisch, sondern beeinflusst unsere Konsumentscheidungen genauso wie unser Verhältnis zu- und miteinander.

Ob Kunst und Literatur diese Mythen schaffen können, oder ob sie nur latent vorhandene Fragen aufgreifen und in einem Labor, sozusagen, Antworten darauf herausbilden, ähnlich der Entwicklungsabteilung eines Konzerns in dem Prototypen entworfen werden, als Antwort auf die Wünsche der Kundschaft, oder zum wecken solcher, diese Frage wird zumeist der danach gleichen, was denn zuerst da war, die Henne oder das Ei.

Der Vergleich mit einem Konzern ist bewusst gewählt, weil er den Aspekt des Kommerz in das bisher geschilderte Szenario einbringt. Es ist nämlich gut möglich, dass der Kunst- und Kulturbetrieb nur Antworten auf Fragen hervorbringt, die er selbst stellt, insbesondere dann, wenn er losgelöst davon ist welchen Zuspruch er beim Publikum hat. Wenn die Kommentare der Feuilletonisten wichtiger sind als Ticketverkäufe, weil die Ticketverkäufe, ja mitunter gar kommerzieller Erfolg, als inkompatibel mit wirklicher Kunst angesehen wird. Ob diese Experimentierräume, die Kunst mit Hilfe von ausschließlich Subventionen hervorbringen, für die Gesellschaft nützlich sind oder nicht, ist eine politische Frage, und eine gesellschaftliche, die hier nicht geklärt werden kann.

Nur mit Hilfe des Kommerz können wir erkennen welche Fragen, Probleme, Sorgen und Ängste in die Kunst und Kultur einfließen und im Spielraum des Imaginären Nährböden für Mythen entstehen lassen. Wer will wann welche Filme sehen, Bücher lesen oder ins Theater gehen? Der wohl am wenigsten subventionierte Bereich ist die Literatur. Sind Bücher kommerziell erfolgreich, so muss auch ein entsprechend kultureller Humus vorhanden sein, entwickeln sie sich zu Bestsellern, so zeigt es an, dass auf dem Humus Platz geworden ist. Das kann lediglich daran liegen, dass ein bisheriger Mythos sich am absterben befindet, einer der vorher den Bewuchs dominierte und nun Platz macht für alle möglichen anderen Pflanzen. Oder ein neuer Mythos hat sich etabliert und verdrängt nun den alten.

Etwas hat sich bereits verändert. Würde nämlich nur der Logos, der rationale Diskurs, bestimmend sein, dann muss man sich fragen, warum Argumente jetzt auf fruchtbaren Boden fallen, während die sie es vor wenigen Jahren nicht taten. Vorhanden war sie auch da schon, sie wurden nur nicht wahr genommen. Der Indikator dafür welche Fragen akut sind, Probleme, Sorgen und Ängste, ist der Konsum. Und zwar am besten in Bereichen die frei sind; keine Subventionen, wenig gesetzliche Regulierung. Dies trifft auf die Literatur zu. Werke die dieses Labor verlassen und erfolgreicher sind als andere, lassen nicht nicht nur auf den künstlerischen oder handwerklichen Wert schließen, sondern auch welche Weltbilder bedient werden.

Wäre es vor Jahren möglich gewesen, dass Werke wie die von Akif Pirinçci, Thilo Sarrazin oder Hamed Abdel-Samad die Bestsellerlisten stürmen? Wohl kaum, und das heißt, etwas verändert sich. Der Verkaufserfolg zeigt an: es werden Fragen aufgeworfen und aufgearbeitet die für die Gesellschaft wichtig geworden sind und damit auch Ihren Weg in die Politik finden werden.

Gut, diese Werke haben mit Kunst nicht viel zu tun, aber mit Kultur schon. Sie zeigen an, welche Fragen in unser Kultur aufgeworfen werden, welche Mythen am vergehen sind, wie die Selbstbilder sich wandeln. Ohne den Kommerz, den Verkaufserfolg, wüssten wir von diesen Veränderungen nicht viel.

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