29. November 2015

Der Reaktionär

Der Reaktionär lebt zwei Leben, eines vor, und eines nach der Verwandlung. Wie der Schmetterling, der erst Raupe ist, um sich dann in der Metamorphose in ein scheinbar völlig anderes Wesen zu verwandeln. Doch anders als bei diesem Insekt, geschieht die Verwandlung des Reaktionärs nicht automatisch, ist kein natürlicher Automatismus vorhanden, der ihm eine neue Gestalt verleiht. Irgendetwas löst die Verwandlung aus, niemand weiß aber genau was es ist. Der Reaktionär berichtet gerne über seine Metamorphose, er empfindet sie als Erweckungserlebnis, so als hätte er vorher keine Augen gehabt, und ist erst jetzt sehend geworden. Wie ein Schlafwandler sei er durchs Leben gegangen, nichts außer ihm selbst und seine Familie habe ihn interessiert. Seine Umwelt akzeptierte er so wie sie ist, er passt sich ihr an, nutzte sie zu seinem Vorteil, ohne darüber nachzudenken oder zu beobachten, wie sich diese Umwelt verändert.

27. November 2015

Die Schmeichler kämpfen nicht

Wenn ich in diesen Zeiten in die Presse schaue, Nachrichten aus dem Fernsehen über mich ergehen lasse, dann drängt sich immer wieder die Figur des Schmeichlers in den Vordergrund. In Canettis »Komodie der Eiterkeit« - dort sind von einem totalitären Regime alle Spiegel verboten wurden um die Eitelkeit zu bekämpfen - kommt dem Schmeichler die Rolle zu, den Menschen zu erzählen wie sie aussehen. Sie wollen es ja wissen, und wenn es keine Spiegel mehr gibt, behilft man sich eben so. Geschäftstüchtig wie der Schmeichler ist, erzählt er den Leuten natürlich was sie hören wollen. Bestimmte Branchen, wie die Frisöre, erleben einen Boom, auch weil sie geradezu zwangsläufig ihren Kunden erzählen müssen wie diese aussehen. Selbst überprüfen können die Ihr Äußeres nicht mehr, es gibt keine Spiegel mehr.

Hier und heute, jetzt in Deutschland also, könnten die Menschen in den Spiegel schauen, sie wollen es aber nicht mehr, sondern lieben es umschmeichelt zu werden.

25. November 2015

Dialoge mit der Polizei

„Aus der Gruppe heraus wurden wüste Beschimpfungen gegen die Polizisten ausgesprochen.“

So steht es in einer Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Reutlingen. Bei der Gruppe handelt es sich um Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft in Aichtal-Aich, einem beschaulichen Nest zwischen Stuttgart und Tübingen gelegen. Nun ist dieser Ort in letzter Zeit immer wieder in den Lokalnachrichten zu vernehmen, fast immer wegen der dortigen Flüchtlingsunterkunft. Diesmal wurde ein Bewohner von anderen Bewohnern, alle hätten die gleiche Nationalität, bis zur Bewusstlosigkeit zusammen getreten und musste ins Krankenhaus gebracht werden. „Während der polizeilichen Anzeigenaufnahme kam es zu einer weiteren Körperverletzung und zu Unruhen unter den Bewohnern, heißt es weiter, und dass es der Polizei gelang, „die Situation unter Einsatz zweier Polizeihunde zu beruhigen und weitere Straftaten zu verhindern.“

22. November 2015

Der Machtlose

Der rechte Arm des Machtlosen besteht eigentlich nur aus einem überdimensionalen Zeigefinger. Als er noch klein war, bekam er den Spitznahmen »Winkerkrabbe«, weil eben dieser Riesenfinger an seiner Hand an dieses Krustentier erinnert, welches mit seiner Riesenschere auch nur Aufmerksamkeit erregen will, aber ansonst ist mit dem Ding nichts anzufangen. Doch das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit mit der Krabbe, auch sein Haltung und seine Art sich fortzubewegen erinnert daran. Immer irgendwie geduckt, nie aufrecht gerade. Ob er sitzt, oder geht oder steht, immer ist seine Höhe die gleiche. Kriechend schleichend seitwärts bewegt er sich, so scheint es, und geräuschlos. Er weiß selbst wie hässlich er ist, noch nie hat ihn ein Mädchen geküsst.

21. November 2015

Gibt es denn auch deutsche Terroristen?

fragte mich das Töchterlein. Wir sprachen über Terroristen im allgemeinen, zuerst hat mich die Kleine gefragt, wie wir uns denn unser zu Hause vor den Terroristen schützen könnten. Vom Fenster weg bleiben, habe ich gesagt, weil, eine Antwort habe ich auch nicht darauf, habe noch nicht darüber nachgedacht, ob ich mich zu Hause vor Terror schützen müsse. Der tagtägliche Überlebenskampf im trauten Heim, um die Zeit im Badezimmer, um die Zuständigkeiten für Geschirr oder Wäsche, und noch mehr, darum welche Umgangsformen noch als angemessen gelten dürfen, ließen mich manchmal denken, das Zuhause an sich ist schon Terror genug. Was natürlich Quatsch ist, weil es mit Terror eben gar nichts zu tun hat, sondern nur die Kämpfe im Spannungsfeld einer Familie beschreibt.

Also sprachen wir über den Terror von außen, er ist in das Leben der Kinder eingetreten, es beschäftigt sie, sie haben Fragen dazu und es

18. November 2015

Die Akute

Die Akute ist sehr kurzsichtig, alles was weiter als zwei Meter von ihr entfernt ist, nimmt sie nur schemenhaft war. Ihr Blick ist immer konzentriert auf den nächsten Schritt welchen sie zu tun hat, nur diesen Bereich kann sie überblicken. Sie kennt den Weg nicht, den sie bisher begangen ist, da sie nur immer kleine Teile davon Stück für Stück gesehen hat, nicht aber was darum herum ist. Keine Markierungspunkte, keine Bäume, keine Berge, Häuser oder Seen. Zwar kann sie riechen und hören, doch dem was sie da vernimmt, was sich da andeutet, dem schenkt sie keine große Beachtung. Ihr Fokus, worauf sich ihre Augen richten, das, und nur das, ist das wirklich wichtige. In der Ferne mögen Dinge geschehen die irgendwann auch einmal ihren Weg kreuzen werden, die Gerüche und die Geräusche deuten dies an, doch darum wird sie sich dann kümmern, wenn es in ihr Blickfeld gerät.

12. November 2015

Zwei Abende mit der AfD

Der Rückruf kam promt: „Nein, die Absage hat ganz sicher nichts mit der AfD zu tun, nur er dulde generell keine politischen Veranstaltungen in seinem Lokal.“ Dies erklärte mir der Wirt eines Esslinger Restaurants, der eine Reservierung kurzfristig absagte, als er mitbekam, wer da warum reserviert hatte. Ich hatte per Email um Auskunft gebeten. Was war passiert? Es sollte ein Wahlkreisveranstaltung der AfD zur Wahl eines Wahlkreiskandidaten statt finden, ein Tisch wurde dafür in dem Lokal reserviert, aber nicht mitgeteilt zu welchen Anlass. Das passte dem Wirt nicht und er schmiss kurzerhand die paar Leute wieder raus. Als ich ankam, ich hatte mich als Beobachter angemeldet, standen die schon alle vor der Tür. Es waren nicht viele, vielleicht sechs oder sieben Männer. Mehr Achselzucken als Empörung bei den Hinausgeworfenen, und so verabredete man sich noch zu einen Besuch in einem anderen Esslinger Lokal. Und natürlich zur nächsten Veranstaltung der AfD in Wendlingen, dort sollte Marc Jongen,

7. November 2015

Lehrermeinungen in der Flüchtlingsdebatte

Gefunden in der Zeitschrift des Philologenverbandes Sachsen-Anhalt 3/2015 (PDF-Download)

Allein für zusätzliche Lehrkräfte, die notwendig sind um die 150000 Kinder von Flüchtlingen vernünftig zu unterrichten, werden eine Milliarde Euro benötigt. „Nicht mit gerechnet sind Tausende von Sozialpädagogen und Dolmetschern, die man braucht - dazu Therapeuten, schließlich sind viele dieser jungen Leute traumatisiert“, meint Joseph Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. (Seite 10/11)

Dem Thema Sex und die Flüchtlinge widmet sich der Leitartikel von Dr. Jürgen Mannke, Vorsitzender des Philologenverbandes Sachsen-Anhalt:

3. November 2015

Der Sex und die Flüchtlinge

„Knastschwul ist nicht wirklich schwul.“ erklärte mir mein gerade aus dem Knast entlassene Kumpel. Ihn hatte man in Ungarn gegriffen, als der über die Grenze nach Österreich abhauen wollte. Etwas mehr als ein Jahr hatte er bekommen, vielleicht anderthalb, und war dabei recht günstig weg gekommen. Die Ungarn hatten ihn an die DDR ausgeliefert, dort wurde er verurteilt, aber zu einer verhältnismäßig milden Strafe. Warum so milde, wir können nur raten. Nun war er aber erst mal draußen und hatte einen Ausreiseantrag gestellt. Wir aber wollten von ihm als erstes wissen, wie es denn im Knast zugegangen sei. Denn die Drohung dass wir, meine damalige Frau und ich, ebenfalls in den Knast wandern müssten, die war allgegenwärtig. Zwar versuchten wir dem Staat so wenig wie möglich Gelegenheit zu geben, uns wegen irgendwelcher Vorwände einzulochen, doch wer wusste schon genaueres, welche Gedanken und Mutmaßungen in den verqueren Hirnen von Stasi und Genossen entstehen?

2. November 2015

Aus Blogs und Presse im November '15

(22. November 2015)

Xavier Naidoo zum Zweiten.
Der Rückzug des NDR für die der Nominierung des Sängers Xavier Naidoo zum ESC hat möglicherweise einen ganz anderen Grund als bislang gemeldet. Focus.de meldet, dass 40 Mitarbeiter der ARD einen Brandbrief an die Sender geschrieben hätten, im dem sie gegen den Sänger Stellung bezogen. Das brisante daran ist, dass es in dem Brief heißt: „Diese Entscheidung beschädigt das Ansehen der ARD und damit unser aller Arbeit nachhaltig.“

Mitarbeiter des öffentlichen Rundfunks sehen das Ansehen ihrer Arbeit beschädigt? Hier drängt sich natürlich der Verdacht auf, dass diese Mitarbeiter aus einer persönlichen Abneigung, vielleicht weil ihnen nicht passte, dass Naidoo mit einigen Leuten mit komischen Ansichten in Verbindung gebracht wurde, eine Kampagne gegen den Sänger fahren. Dass diese Mitarbeiter ihre eigenen Vorbehalte so massiv bei Entscheidungen des Senders deutlich machen, lässt darauf schließen, dass dies auch bei anderen Themen wie Gesellschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft geschieht. Was verstehen diese Mitarbeiter unter dem Begriff »unsere Arbeit«? Möglicherweise sehen die sich mehr als Propagandasprachrohr denn als Berichterstatter oder Unterhalter.

Nachtrag:
Der Tagespiegel berichtet, dass sich bei den 40 Unterzeichnern um „viele in leitenden Positionen“ befindliche Mitarbeiter gehandelt haben soll. Warum wurde dann aber diese Meldung lanciert, dass man auf Grund von Protesten im Netz Naidoo wieder ausgeladen hätte.

1. November 2015

Winnetou und die virtuellen Welten

Winnetou lebt - mal wieder, möchte man anfügen. Am ersten November ist ein Thementag mit zehn Karl May Filmen im 3sat. Nicht lange ist es her, zum Tode von Pierre Brice im Juni, da konnte man die letzte Flut von diesen Filmen zu sehen, aber eigentlich braucht es dafür keinen Anlass, denn im vom Guten träumenden Deutschland ist Winnetou sowieso unsterblich und nur die visuelle Verkörperung in Form des Schauspielers Pierre Briece ist gestoben. Dieser verschmolz aber mit seiner Rolle so sehr, verinnerlichte diese Figur fast genau so, wie es der ursprüngliche Schöpfer dieser Figur, Karl May, mit dem Blutsbruder Winnetous, Old Shatterhand tat. Viele Jahre, Jahrzehnte, ließ der sächsische Schriftsteller seine Fangemeinde glauben, er wäre tatsächlich dieser Abenteurer und Freund Winnetous. Also nicht nur wurde die fiktive, die imaginäre Welt eines Literaten und Künstlers, als reale Welt verkauft, was ja in der Literatur nicht ganz unüblich ist, sondern Karl Mays Avatar, in diesem Falle eben Old Shatterhand oder Kara ben Nemsi, wurden reale Personen, weil sie identisch mit dem Schriftsteller wurden.