1. Januar 2016

Ängste am Neujahrstag

Meine Kinder sind halbe Migranten. Sie sind, bis auf den Jüngsten, nicht in Deutschland geboren, besitzen zwei Pässe, haben einen deutschen Vater, mich, und eine Philippina als Mutter. Sie sollten sich also empathisch gegenüber den Flüchtlingen derzeit zeigen. Tun sie aber nicht, weil sie alles durcheinanderbringen. Heute am Neujahrstag war der Terroralarm von München ein Thema. Ich lausche nicht heimlich an den Kinderzimmertüren, wahrscheinlich entgeht mir dadurch einiges was so die Kids beschäftigt. Ich kontrolliere nicht ihre Rechner, ihre Handys, schaue nicht einmal in ihre Schränke. Irgendwann erfahre ich doch, was passiert, und hoffe dabei immer, dass es nicht zu spät ist um noch helfend oder korrigierend einzugreifen.

So war es auch diesmal, meine Frau hatte mitbekommen, wie sich zwei der Töchter über den Terroralarm unterhielten und sie diesen mit dem Thema Flüchtlinge in einen Topf geworfen haben. Sie unterscheiden nicht, dass es zwei verschiedene Sachen sind. Beides bricht in ihre Lebenswirklichkeit ein und wird zu einem Bedrohungsszenario.

Mit mir unterhalten sie sich selten darüber, und wenn, dann nur verschämt. Der Papa ist ja immer der, der alles versteht, der erklärt warum Lehrer so ticken wie sie ticken, oder die Jungs in der Klasse. Ja selbst wenn die Mama mitunter ihren Rappel hat, dann weiß der Papa warum das so ist. Kürzlich unterhielten wir uns über die Pubertät, drei von den Kindern stecken da mittendrin, und ich erklärte ihnen, wie ich mich in ihrem Alter gefühlt habe, wie ich mich vom Weltbild meiner Eltern verabschiedet habe, und das nun gerade sich entwickelnde eigene als die ultimative Wahrheit empfand.

Es wäre besser gewesen, ich hätte geschwiegen. Nun glauben die Kinder, ich könne sie durchschauen, und sie trauen sich nicht mehr mir mitzuteilen was sie wirklich bewegt. Vielleicht komme ich auch zu Lehrerhaft daher, immer mit einen besserwisserischem Unterton. Auf so was haben sie wahrscheinlich keinen Bock, und gehen mit ihren Problemen, in dem Fall mit ihren Ängsten, zur Mutter. Immerhin hatte die schon persönliche Erfahrungen mit islamistischen Terror gemacht, als es sie in jungen Jahren nach Mindanao, in ein Rebellengebiet der dortigen Islamisten, verschlagen hatte. Selbstverständlich hätte ich nun erklärt, dass man dies nicht vergleichen kann, die Moslems dort, mit denen hier. Terroristen, nicht selten einfach Gangster, mit normalen Gläubigen. Auf solcherart Erklärungen wollten sie offensichtlich verzichten, dies bekommen sie jeden Tag von irgendwoher vorgekaut. Sie wissen es ja auch, rationales Denken ist ihnen nicht fremd, nur haben sie eben Angst und befürchten offensichtlich, ich würde ihre Ängste nicht ernst nehmen, ihnen von oben herab ihre jungendlichen Unzulänglichkeiten deutlich machen.

Ob allerdings die Erläuterungen meiner Frau dabei hilfreich waren, den Kindern ihre Ängste zu nehmen, daran habe ich ernste Zweifel. Sie erzählte nämlich einige Erlebnisse, wie beispielsweise Rebellen in die Bergdörfer gekommen sind, um Geld oder Lebensmittel von der Bevölkerung zu erpressen. Wer nichts gab wurde umgebracht. Dass sie selbst, meine Frau, ihr eigenes Überleben einer muslimischen Freundin verdankt, bleibt natürlich nicht unerwähnt, doch dies ist was zwischenmenschliches, eine ganz andere Erzählung, die nichts mit den Ängsten der Kinder zu tun hat. Die befürchten nämlich, dass mit den Flüchtlingen auch mehr Terroristen ins Land kommen, und meinen außerdem, dass die Politiker einen Knall hätten, wenn diese meinen, wir könnten in Deutschland die ganze Welt aufnehmen. So jedenfalls fasste meine Frau ihr Gespräch mit den Töchtern zusammen.

So neu war mir diese Haltung meiner Kinder nicht. Schon vor Monaten wurde ich einmal gefragt, wie wir denn unser zu Hause vor Terroristen schützen könnten. Diese Frage hatte mich schon damals einigermaßen überrascht. Von allein wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass es eine Notwendigkeit wäre, unser zu Hause extra wegen des islamischen Terrors schützen zu müssen. Doch die Kids sehen sowohl das zu Hause als auch die Heimat bedroht. Anders sind diese offensichtlich zu Tage tretenden Ängste nicht zu erklären.

Diese Ängste mag man für Quatsch halten, und ich werde auch alles tun, damit meine Kinder einen mehr durch Hoffnung geleiteten Blick in die Zukunft entwickeln, als einen Angst geleiteten, nur Tatsache ist, die Ängste sind real in dem Moment wie sie empfunden werden. Da hilft alles relativieren oder jede sachliche Analyse nicht viel dagegen. Es gibt auch Leute, sogar Erwachsene, die haben Angst vor Atomkraft oder Genfood. Auch bei denen nützt sachliche Aufklärung nicht viel. Die gehen dann zu Greenpeace oder anderen einschlägigen Angstmachern, um sich bestätigen zu lassen. So wie meine Kinder zu meiner Frau gehen, weil sie wissen, hier bekommen sie bestätigt, was sie empfinden.

Sind nun meine Töchter repräsentativ für ihre Altergruppe der Kids zwischen 12 und 15? Sie selbst geben an, die Mehrzahl ihrer jeweiligen Klassenkameraden würde es genau so sehen. Eine Lehrerin hätte sogar ziemlich ruppig eine Diskussion abgebrochen mit den Worten: „Ich will jetzt hier nicht mehr über Flüchtlinge sprechen.“ Offensichtlich passte es ihr nicht, was sie so hören bekam.

Falls es also stimmt, dass diese neuen Ängste um Heimat und zu Hause so im Vordergrund stehen, egal ob diese irrational sein mögen, dann wird dies über kurz oder lang in der Gesellschaft Bedeutung bekommen. So wie die Atomangst meiner Generation Bedeutung bekam. Unsere Kinder sind schließlich die Zukunft dieses Landes, ihre Ängste gehören dazu. Und sie werden auf diejenigen hören, die ihre Ängste ernst nehmen. Da nützt es auch nichts, dass ich gerne korrigierend und helfend tätig werden möchte, meine Erläuterungen sind offensichtlich nicht erwünscht.

Ob das den Bürgern dieses Landes nicht vielleicht genau so geht? Angesichts der Weihnachts- und Neujahrsansprachen von Bundeskanzlerin oder Länderfürsten bis hin zum Bundespräsidenten, deren Reden mehr wie Beschwichtigungsversuche anmuten. Genauso wie wenn ich meinen Kindern erklären würde, dass sie sich keine Sorgen machen sollen, es wird schon alles gut werden. Sie wären zu Recht sauer auf mich, ich werde ja auch stinkig, wenn ich nicht ernst genommen werde.

Freilich kann man Ängste schüren, oft und gerne getan von Leuten die ihre ganz eigene Agenda verfolgen, von der man manchmal erst im zweiten Moment erkennt, welchen Kernaussage diese hat. Die Mechanismen sind überall die gleichen, egal ob es um Klimaangst, Fremdenangst oder Strahlen geht. Was aber mindestens genau so schlimm ist, die Ängste herunter zu spielen, sie als Einbildung zu bezeichnen. Ich will mal einen weiten Bogen schlagen: Würde es heute die Grünen geben, hätte man damals die weit verbreiteten Ängste wegen der Kernkraft ernst genommen? Und welche Bewegung wird in zwanzig Jahren politischer Mainstream sein, werden die heutigen Ängste weiterhin diffamiert? Mit jeder weiteren Terrorwarnung werden diese Ängste, gerade bei Jugendlichen, weiter wachsen. Und mit jedem weiteren Beschwichtigungsversuch, wie in den Neujahrs- und Weihnachtsansprachen, wird Zukunft geschrieben. Doch höchstwahrscheinlich ganz anders als es die Beschwichtiger hoffen. Wer hört denn schon dauerhaft auf jemanden, der einen nicht ernst nimmt.

2 Kommentare :

  1. Genauso hysterisch wie einige Mitmenschen heutzutage auf Terrorwarnungen reagieren und das dann sofort mit Flüchtlingen in Verbindung bringen, reagieren Politiker und Medien mittlerweile auf jede Aktion von Pegida und deren Anhänger. Bestes Beispiel: Bachmanns zynischer Tweet am Silvesterabend zu den Ereignissen in München. Da wird einem Mann und seinem Kommentar eine Bühne geboten und eine unglaubliche Aufmerksamkeit gewidmet, die nicht mehr nachvollziehbar ist. Und im Prinzip nutzt man diesen vermeintlichen Fehltritt Bachmanns (andere würden das einfach unter freie Meinungsäußerung abbuchen), um auch alle anderen Kritiker, die die aktuelle Politik der GroKo für falsch halten, mundtot zu machen. Nach dem Motto: Jeder der ähnlich denkt und auch nur im Ansatz eine Verbindung zwischen Terroristen und den zu uns geflüchteten Menschen sieht, wird in einen Topf mit Bachmann geworfen und ist daher ein Unmensch/Nazi/geistiger Brandstifter usw.
    Das hat schon Methode. So versucht man, alle auf Linie zu bringen und jede Kritik an der aktuellen Lage verstummen zu lassen. Die AfD kann ja auch ein Lied davon singen. Mit dieser Partei gehen Medien und viele Politiker ja ähnlich fair um. Und solche Leute nennen sich dann Demokraten! Einfach nur noch lächerlich.

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  2. Weitere Kommentare zu diesem auch auf der Achse des Guten erschienenen Artikel.

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