24. April 2016

Was hat sich seit 1814/15 eigentlich geändert?

Mit den Türken oder gegen die Türken? Mit Russland oder gegen Russland? Und was ist mit den Griechen? Welche Fragen haben sich seit dem Wiener Kongress 1814/15 eigentlich geändert? Der preußische Generalfeldmarschall Karl Friedrich von dem Knesebeck formulierte es damals so:
„Ja die Türken in Europa. Was haben euch denn die Türken getan? Sie sind ein kräftiges biederes Volk. Seit Jahrhunderten ruhig bei sich, wenn ihr sie nur ungestört lasst. Es ist Vertrauen auf sie. Haben sie euch je hintergangen? Sind sie nicht redlich und offen in ihrer Politik. Tapfer und kriegerisch zwar, ja, aber aus mehr denn einer Ursache ist dies heilsam und gut. Sie sind die beste Vormauer gegen das Andringen der asiatischen Überbevölkerung. Und gerade dadurch, dass sie einen Fuß in Europa haben, halten sie jenes Andringen ab. Würden sie weg getrieben, würden sie selbst drängen.

Denkt sie euch einmal fort, was würde entstehen? Entweder würde Russland oder Österreich jene Länder bekommen, oder ein besonderer griechischer Staat dort gegründet werden. Wollt ihr also Russland noch mächtiger machen? Und wenn dies nicht ist, wollt ihr Österreichs Kraft die Richtung nach Asien geben und es dadurch für die Erhaltung des Zentrums, für den Andrang vom Westen schwach oder gleichgültig machen?

Einen eigenen griechischen Staat also gründen. Würde dies die Lage Europas bessern? Würde nicht bei der Schlaffheit in der dies Volk versunken ist, Europa im Gegenteil immer unter den Waffen sein müssen, um es gegen die wiederkommenden Türken zu schützen?“


Aus: Karl Friedrich von dem Knesebeck, Denkschrift, betreffend die Gleichgewichtslage Europas beim Zusammentritte des Wiener Congresses.
Option Europa. Deutsche, polinsche und ungarische Europapläne des 19. und 20. Jhs. Bd. 3 Texte (Hg. u.a. Heinz Duchhardt), Vandenhoeck & Ruprecht 2005 (Göttingen)
Gefunden bei den Stimmen der Kulturwissenschaften:
SDK82, Wiener Kongress
Wie mir scheint, so richtig viel hat sich gar nicht geändert seit den letzten zweihundert Jahren. Gut, Österreich ist keine Großmacht mehr, doch die Spannungen in Europa scheinen recht vergleichbar zu sein. Der ewige Disput der Türken mit den Russen macht nachdenklich. Liegt im Drängen der Türken nach Europa immer noch der Disput mit Russland zugrunde, wie Knesebeck damals beschrieb?

1 Kommentar :

  1. Die letzte Frage des Zitats begründet sehr schön warum die Türkei Mitglied der Nato ist, obwohl sie dort nichts verloren hat. Und sie begründet auch, warum wir wegen der Türkei nicht unsere Verteidigungsausgaben erhöhen müssen. Nur verfolgen Russland, die Türkei und alle anderen europäischen Nato-Mitglieder unterschiedliche Ziele bei unterschiedlichen Sicherheitsinteressen.
    Die Mitgliedschaft der Türkei in der Nato ist nicht mehr als eine strategische Partnerschaft wie sie auch mal mit Russland existierte und leider zerbrach. Beide Länder sollten auf Abstand zu Europa gehalten werden.
    Das Türkeiabkommen ist sicher kein Schritt in diese Richtung und sehr gefährlich. Es entsteht der Eindruck, wenn nicht die Gewissheit:
    Europa kann seine Außengrenzen nicht schützen. Nicht vor illegaler Migration und nicht vor potentiellen Invasoren.
    Ersteres muss die EU allein schaffen ohne Türkei und ohne Nato. Auch gegen potentielle Invasoren muss sich die EU, innerhalb der Nato, aus eigener Kraft schützen. Es ist nicht die Aufgabe der USA, Kanadas, Australiens und Neuseelands Europas Sicherheit zu garantieren weil Europa anstatt in seine Verteidigung zu investieren, lieber seinen Sozialstaat permanent aufbläht.

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