16. September 2017

Plädoyer für ein neues Wahlrecht

Ich stimme Joachim Steinhöfel zu: „Die Amtszeit des Bundeskanzlers darf 8 Jahre nicht überschreiten!“ Mindestens genau so wichtig scheint mir aber, den Parteien dadurch nicht mehr Macht zu verleihen, die dann in üblicher Klüngelei über die Nachfolge des nächsten Bundeskanzlers befinden. Viel Fantasie braucht es nicht, sich vorzustellen, wie aus tagespolitischer Opportunität der gerade passende Kanzler von einer Gruppe Personen ausgewählt wird, er dann nur noch eine Marionette derer ist die die Prozesse in der Hand haben, den Machtpolitikern in den Parteien also. (Vor allem die SPD hat mit ihren Kandidaten damit leidvolle Erfahrungen gemacht, und doch nichts gelernt daraus.)

Wären alle Mitglieder des Bundestages nur ihren Wählern verpflichtet, wie das theoretisch bei denen ist die ihren Wahlkreis direkt gewonnen haben, so könnte man noch davon ausgehen, dass diese zumindest das Wohl oder den Wunsch ihrer Wähler im Wahlkreis im Kopf haben; bei den anderen, die durch Listenplätze ins Parlament gelangt sind, sieht das ganz anders aus, die sind ganz ihrer Partei ausgeliefert.

Es stellt sich die generelle Frage: Auf welchen Wege und durch welche Verfahren wird die Macht in diesem Lande legitimiert? Theoretisch ist der Wähler der Souverän, doch gleichzeitig wird ihm durch das bestehende Wahlrecht immer wieder klar gemacht, dass ihm eigentlich misstraut wird.

Wir werden also nicht darum herum kommen, über eine generelle Reform des Wahlrechts zu sprechen. Irgendwo muss man damit beginnen, die Amtszeitbegrenzung für Bundeskanzler wäre der Anfang. Die Listenplatzvergabe durch die Parteien gehört dann genau so auf den Prüfstand.

Falls wir uns weiterhin ein Parlament wünschen, in dem (noch mal theoretisch) alle relevanten Strömungen der Gesellschaft abgebildet werden, wir also an der Verhältniswahl fest halten wollen, dann müssen wir den Blick nicht nur auf den Kopf richten, sondern auch auf die Füße. Die Listenplatzvergabe muss den Parteien entrissen werden. Am besten ginge das dadurch, in dem man den Wähler direkt entscheiden lässt. Dazu genügt es fest zu stellen, wer in seinem Wahlkreis das beste Ergebnis hat, der zieht ins Parlament ein.

Beispiel: Partei A hat gemäß Zweitstimmen Anspruch auf 10 Parlamentssitze. 5 Kandidaten haben ihren Wahlkreis direkt gewonnen, bleiben also noch 5. Und diese 5 sind die, die in ihrem Wahlkreis am besten abgeschnitten haben, im Vergleich zu anderen Kandidaten der gleichen Partei in den anderen Wahlkreisen. Statt einem Gerangel und einem oft praktizierten Intrigenstadl in den Parteien um die Listenplätze, würde es einen um die Wahlkreise geben. Ganz wird man also auch nach dieser Methode die Parteien nicht entmachten, doch das letzte Wort über die Kandidaten dem Wähler geben.

Welche Auswirkungen dies hätte, habe ich schon vor vier Jahren beschrieben:
Ute Vogt von der SPD beispielsweise, hat mit 18% das schlechteste Erststimmenergebnis in BW eingefahren, sitzt aber dank ihres Listenplatzes im Bundestag. Parsa Ahmadi-Marvi hingegen, hat in seinem Wahlkreis, Karlsruhe Stadt, fast 30% bekommen, was das drittbeste Ergebnis landesweit war, doch der bleibt in Karlsruhe, weil er mit seinem Listenplatz Nummer 31 keine Chance hatte. Von den zwanzig SPD Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg haben erstaunlich viele keinen Zuspruch von den Wählern erhalten, und in ihren Wahlkreisen miserabel abgeschnitten. Wenn man das Wählervotum zugrunde legen würde, dann dürften neun von den zwanzig nicht nach Berlin gehen.

Politikerkarrieren sind hierzulande an die Parteien gebunden, Querköpfe und Querdenker werden schon dadurch aussortiert. Wollen diese Politiker authentisch bleiben, müssen die sich eine eigene Partei gründen. Das ist aber noch nicht mal das Schlimmste an diesem System, sondern, dass die Loyalität des Abgeordneten zuerst seiner Partei gilt und nicht dem Wähler.

Kommen wir aber noch mal zur Amtszeitbegrenzung für Bundeskanzler: Was verändert sich dadurch in Hinblick auf die Mechanismen der Macht? Die Kanzlerpartei müsste ein Verfahren entwickeln, das gleichzeitig einen Nachfolger aufbaut, ohne den gegenwärtigen Kanzler zu beschädigen. Wenn dieses Verfahren nicht transparent und öffentlich ist, wie etwa die Vorwahlen in den USA, dann besteht die Gefahr, dass innerparteiliche Seilschaften dies unter sich ausklügeln. Es würde sich praktisch nichts ändern. Haben dann diese Seilschaften noch gute Kontakte zu den Medien, welche den ausgewählten nächsten Kanzler nach oben schreiben können, so bewegt sich die Macht immer weiter vom Bürger weg, der letztlich an wesentlichen Prozessen der Meinungs- und Kandidatenfindung nicht mehr beteiligt ist, und schlimmer noch, dem diese Prozesse verschleiert werden.

Will dann der Bürger doch mitbestimmen, bleibt ihm letztlich nichts anderes übrig, als sich in die Fänge der ihm nahestehenden Partei zu begeben. Für mich eine Horrorvorstellung.

Ja, ich finde Joachim Steinhöfels Vorschlag zur Amtszeitbegrenzung von Bundeskanzlern richtig, wenn, ja wenn gleichzeitig den Parteien Macht entzogen und dem Bürger zurück gegeben wird. Der jetzige Bundestag wäre ein anderer, würden wir diese unsägliche Praxis der Listenplätze abschaffen. Mehr als die Hälfte der Abgeordneten des aktuellen Bundestages ist über Listenplätze ins Parlament gelangt, hat also bestenfalls nur ein indirektes Wählervotum. Mehr ist ein Votum einer Partei.

Diese Veränderung des Wahlrechtes hätte auch direkte Auswirkung auf die Macht des Kanzlers, denn der muss gegenwärtig seine Fraktion hinter sich bringen, wie das der Adenauer-Biograph Dr. Hans-Peter Schwarz schlüssig darstellte. Geschickte Machtstrategen schaffen dies auf vielfältige Weise, nicht zuletzt durch gesteuerte innerparteiliche Seilschaften. Wissen aber die Abgeordneten, dass sie vor allem die Stimmen der Bürger in ihrem Wahlkreis brauchen, und dass es keine Rückversicherung über den Listenplatz gibt, dann wäre bestimmt die eine oder andere Abstimmung in der Vergangenheit anders ausgegangen.

„Ein Bundeskanzler sitzt nur dann fest im Sattel, wenn er die eigene Partei zum Instrument seines Willens geformt hat.“ So argumentierte der kürzlich verstorbene Hans-Peter Schwarz in seiner Rede vor der Uni Bonn. Dies bedeutet, dass nicht in aller ersten Linie Ideenmenschen, sondern Machtmenschen an die Spitze von Parteien gelangen, die dann die fast vollständige Kontrolle über die Kandidaten des Bundestages durch das Instrument der Vergabe der Listenplätze hat.

Beschränken wir nun die Macht der Bundeskanzler indem wir ihnen nur eine maximal achtjährige Amtszeit zugestehen, so müssen wir mindestens darauf achten, diese Macht nicht den Parteien zu übertragen, sondern dem Bürger, auch wenn der sich nicht parteipolitisch binden möchte.

Es bleiben dazu nur zwei Möglichkeiten. Entweder wir führen die Abgeordneten des Bundestages wieder näher an die Bürger, und weg von den Parteien, durch eine Reformierung der Vergabepraxis von Listenplätzen, oder die Machtbasis des Bundeskanzlers wird, durch eine Direktwahl, der Bürger und nicht mehr das Parlament. Beides geht in die gleiche Richtung: Entmachtet die Parteien! Stellt die Institutionen auf den Prüfstand, vor allem solche, die aus Misstrauen dem freien Bürgerwillen gegenüber geschaffen worden sind! Dazu gehört unser ganzes Wahlrecht.
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