23. September 2012

Meadows, Ott und die Katastrophen

Am 8. August 2012 trafen sich in einem Berliner Kleingarten Dr. Hermann E. Ott, Prof. Dr. Harald Welzer und Marlehn Thieme zu einem Gespräch zu dem Thema Klimawandel und Nachhaltigkeit.⁽¹⁾ Eingeladen hatte die Alfred Toepfer Stiftung, die Haniel Stiftung und die Gerda Henkel Stiftung. Auf der Webseite L.I.S.A. (Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung) ist ein Videomittschnitt dieses Gespräches zu sehen.⁽²⁾ Die einleitenden Worte sprach Michael Henzler von der Gerda Henkel Stiftung. Und schon hier wurde klar um was es geht: Wie man die Menschheit umerziehen könne.
Michael Henzler: "Ich saß vor etwa zweieinhalb Jahren mit Dennis Meadows zum Abendessen hier in Berlin und ich habe ihn gefragt, woran liegt es denn eigentlich jetzt, nach diesen ganzen Mammutkonferenzen, daß so wenig passiert. Die Antwort von Dennis Meadows war ernüchternd, er sagte: "Michael, das einzige was uns helfen würde, wären Katastrophen. Besonders gut wäre eine richtige Hitzekatastrophe in den USA, wo die Leute wirklich darunter leiden würden und dadurch ein Umdenken käme.""⁽³⁾
Insbesonders Hermann Ott griff später diese Gedanken mehrfach auf und berief sich auf den Philosophen Hans Jonas,⁽⁴⁾ indem er anmahnte, wir müssen wieder zu einer Heuristik der Furcht kommen.

Hier sollten wir kurz innehalten und uns in Erinnerung rufen, was Heuristik eigentlich bedeutet. Wikipedia meint dazu:
Heuristik (altgr. εὑρίσκω heurísko, ich finde, zu heuriskein‚ (auf)finden, entdecken) bezeichnet die Kunst, mit begrenztem Wissen und wenig Zeit zu guten Lösungen zu kommen. Es bezeichnet ein analytisches Vorgehen, bei dem mit begrenztem Wissen über ein System mit Hilfe von Mutmaßungen Schlußfolgerungen über das System getroffen werden.
Ein bisschen müssen wir uns noch mit Jonas beschäftigen, wichtig ist vor allem zu wissen, dass Jonas der Autor des Buches Das Prinzip Verantwortung⁽⁵⁾ ist, welches so etwas wie eine Bibel der Ökologisten darstellt und aus dem der sogenannte ökologische Imperativ bekannt ist („Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“). Wenn ich hier den Ausdruck Bibel verwende, so hat es den Grund, weil Ott mehrfach auf Religonen eingeht, und er meint:
"Grundlage der Religion ist die Furcht vor dem Zorn Gottes; der Furchtgedanke"
Doch damit nicht genug, er meint ebenfalls, man müsse das Heilige wieder entdenken. Auch hier beruft er sich auf Jonas. In einer Predigt interpretiert Hans Jürgen Fraas diesen Gedanken so:
"Es gehört zu unserem Auftrag, Hüter des Heiligen zu sein. Nach Hans Jonas ist es die Frage, „ob wir ohne die Wiederherstellung der Kategorie des Heiligen ...eine Ethik haben können, die die extremen Kräfte zügeln kann, die wir heute besitzen...“. Die säkulare Gesellschaft ist auf Menschen angewiesen, die den Sinn für das Heilige pflegen – auch d a s ist Kultur."⁽⁶⁾
Früher hatte ich schon einmal von der Religion der Ökologisten⁽⁷⁾ gesprochen und muss mich, dank Ott, etwas korrieren. Im Prinzip handelt sich wohl eher um eine Kultur der Heiligkeit die aber alle wichtigen Elemente der Religionen übernimmt, in der Gewissheit, dass diese Elemente sich bewährt haben. In einem zweiten Video,⁽⁸⁾ als die Diskussion erweitert wird, und die anwesenden Zuschauer sich einbringen können, verdeutlicht Ott nochmals diese, seine, Vorstellungen wie Religiösität für die Nachhaltigkeitansprüche genutzt werden könnten. Hier knüpft er nochmals an seine Aussage aus Teil1 an, wonach es einen Zusammenfluss von "Alt-Konservativen und Modern-Konservativen" gegeben hätte (deren gemeinsamer Gegner die sind, die einen ungebrochenen Fortschritsglauben hätten). Ähnliche Betrachtungen hatte ich schon einmal in den Wurzeln der Sonnenblumen⁽⁹⁾ angestellt.

Als Fazit lässt sich also feststellen, dass sich Ott und Meadows darüber einig sind: Katastrophenszenarios sind notwendig um die Menschheit vom gegenwärtigen Tun abzubringen. Hermann Ott geht aber noch weiter, indem er eine Heuristik der Furcht etablieren möchte und diese mit quasi religiösen Vorstellungen untermauert. Eine eigene Wahrheitsordnung wird somit geschaffen, die den Vorstellungen von Wahrheiten in der Religion sehr gleichen. Oder wie Michel Foucault sagt: "Jede Gesellschaft hat ihre Wahrheitsordnung, ihre allgemeine Politik der Wahrheit: das heißt Diskursarten, die sie annimmt und als wahr fungieren lässt."⁽¹⁰⁾ Daraus entwickelt sich ein dualistisches Bild, indem zwei Gruppen konstruiert werden als wären sie Gegner,⁽¹¹⁾ ungetrübter Fortschritsglauben gegen pseudoreligiöse Apokalypse. Beweise für die Rechtfertigung der eigenen Vorstellungen finden sich von selbst, da durch die Heuristik nach Jonas und Ott, diese Vorstellungen als Wahrheit empfunden und vermittelt werden sollen.

Warum aber finde ich Äußerungen Otts so bemerkenswert. Nun, die Antwort ist recht einfach, schon seit einiger Zeit beobachte ich die Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft" und hier ist Hermann Ott Vorsitzender der Projektgruppe 3, die sich über die Möglichkeiten der Entkoppelung von Ressourcenverbrauch, technischer Fortschritt und Wachstum beschäftigt.⁽¹²⁾ Am Montag, 24.09.2012, steht nun die Beratung und Verabschiedung des Berichts der Projektgruppe 3 sowie Besprechung von Gestaltungsmöglichkeiten bei Entkopplungsprozessen an und die Kommisionsdrucksache 17(26)82 wurde verteilt und ist offensichtlich bereits in die Presse durchgesickert. Jedenfalls berichtete WELT-online darüber.⁽¹³⁾ Wenn die Darstellungen dort stimmen, so scheint es in einem Desaster zu enden, vor allem Rebound-Effekte wurden in der Vergangenheit unterschätzt.

Vor diesem Hintergrund wundert es wenig, wenn Hermann Ott in dem Gespräch in der Laube wenig Konkretes verlauten lässt, die praktische Durchsetzung von Energiewende und Nachhaltigkeitskonzepten lässt sich nicht mit dem Erhalt von Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität vereinbaren. Und da offensichtlich Katastastrophenszenarien wie die von Meadows kaum Wirkung zeigen, muss diese Heuristik der Angst um eine religiöse Komponente erweitert werden. Vieles was ich und andere den Nachhaltigkeitsaposteln in der Vergangenheit unterstellt haben, und was mitunter einiges Kopfschütteln auslöste, hat Hermann Ott in der Laube bestätigt. Danke dafür.


Verweise / Erläuterungen:

(1) Die Teilnehmer (Beschreibung auf L.I.S.A ):

Der Soziologe und Sozialpsychologe Prof. Dr. Harald Welzer (*1958) ist Direktor von FUTURZWEI. Stiftung Zukunftsfähigkeit, die praktische und experimentelle Strategien der gesellschaftlichen Transformation unterstützt und fördert. Außerdem ist der Soziologe und Sozialpsychologe, Professor für Transformationsdesign und -vermittlung an der Universität Flensburg und lehrt auch Sozialpsychologie an der Universität St. Gallen.

Der Jurist und Politologe Dr. Hermann E. Ott (*1958) ist Abgeordneter des Deutschen Bundestages sowie klimapolitischer Sprecher der Grünen Fraktion im Bundestag. Außerdem ist er Mitglied der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“. Bis Ende 2009 war er Leiter des Berliner Büros des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt, Energie.

Marlehn Thieme (*1957) ist seit 2004 Mitglied und seit 2012 Vorsitzende des Rates für nachhaltige Entwicklung, im Bereich Corporate Citizenship der Deutschen Bank für Bildungsprojekte zuständig und als Arbeitnehmervertreterin Mitglied des Aufsichtsrats des Unternehmens. Sie ist Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Stiftungsrates der Alfred Toepfer Stiftung F.V.S.

(2) Klimawandel und Nachhaltigkeit mit Welzer, Ott und Thieme. Klimawandel und Nachhaltigkeit mit Welzer, Ott und Thieme
[Gespräch in der Laube - Teil 1/2]

(3) Aus Wikipedia: "Anhand einer rechnergestützten Simulation ermittelte Meadows in seiner vom Club of Rome beauftragten Studie Die Grenzen des Wachstums (1972, engl. Originaltitel: The Limits to Growth) das Systemverhalten der Erde als Wirtschaftsraum bis zum Jahr 2100."
[Wikipedia: Dennis L. Meadows]

(5) Aus Wikipedia: "Das Prinzip Verantwortung ist der Titel eines Buches von Hans Jonas, das 1979 erschien und als dessen ethisches Hauptwerk gilt. Jonas entwickelt darin eine „Ethik für die technologische Zivilisation“. Diese besteht in der Vermeidung unabschätzbarer Risiken, um den Bestand der Menschheit als Ganzes nicht zu gefährden, sowie der Anerkennung der Eigenrechte der ganzen Natur, für die dem Menschen aufgrund seiner Handlungsmöglichkeiten die Verantwortung zukommt. Der Titel des Werks kann als Anspielung und Widerspruch zu Ernst Blochs Das Prinzip Hoffnung gelesen werden, mit dem sich Jonas kritisch auseinandersetzte."
[Wikipedia: Das Prinzip Verantwortung]

(6) Aus der Predigtreihe: "Facetten gelebter Frömmigkeit." Markuskirche München: Universitätsgottesdienste, Wintersemester 2000/01.
[In Angriff nehmen, Prof. Dr. Hans-Jürgen Fraas]

(7) Mit der Hinwendung zu fernöstlichen Lebensweisheiten, was insbesondere in der Gründungszeit der Grünen Konjunktur hatte, wurden religiöse Vorstellungen gewandelt und die Natur bekam einen neuen Stellenwert, als Gottheit.
[Die Religion der Ökologisten]

(8)Klimawandel und Nachhaltigkeit mit Welzer, Ott und Thieme - Teil 2, Diskussion mit Zuschauern.
[Gespräch in der Laube - Teil 2/2]

(9) Den Grünen ist mit diesem Trick der Sprung bis in konservativste Bereiche der Gesellschaft gelungen. Ob Schützenverein, Heimatverein, Kirchchor, egal wo, Grüne und Ökologismusanhänger sind dabei. Die Verschmelzung ist deswegen nicht so schwer gefallen, weil es im Prinzip keine großen Differenzen gegeben hat. Solche Begriffe wie Heimat, regionale Identität, Globalisierungsangst beschreiben den Kitt der beide Gruppen verbindet.
[Die Wurzeln der Sonnenblumen]

(10) Gespräch mit Michel Foucault, in: Michel Foucault, Die Analytik der Macht (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1759), hrsg. von Daniel Defert/François Ewald unter Mitarbeit von Jaques Lagrange, S. 83-107, hier: S. 105.

(11) Das Urteilen über Gut und Schlecht ist das uralte Mittel einer dualistischen Klassifikation, die aber nie ganz begrifflich und nie ganz friedlich ist. (aus Masse und Macht von Elias Canetti. Fischer Taschenbuchverlag S. 352)

⁽¹²⁾ Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität - Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft" - Projektgruppe 3: Wachstum, Ressourcenverbrauch und technischer Fortschritt – Möglichkeiten und Grenzen der Entkopplung.
Vorsitz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Anzahl Mitglieder: 11 (6 Abgeordnete, 5 Sachverständige )
Vorsitzender: Dr. Hermann E. Ott (B90/GRÜNE)
[Deutscher Bundestag ... Enquete ... PG3]

(13) Kapitel sieben, in dem konkrete Empfehlungen an die Politik stehen sollen, fehlt. Darauf konnten sich die Mitglieder der Kommission, in der neben Wissenschaftlern auch sämtliche Fraktionen vertreten sind, bisher nicht einigen. [...] Zentral sind die so genannten Rebound-Effekte. Die seien "viel relevanter (..) als bisher in der Umweltdebatte angenommen", heißt es.
[Die Welt: Energiesparlampen stoppen nicht den Klimawandel]


1 Kommentar :

  1. Aus Novo-Argumente:

    „ Die Kultur der Angst entmündigt die Menschen, macht sie zu willenlosen Objekten inmitten absurder Überwachungsarchitekturen und hüllt sie in immer neue Kontrollschichten, sodass sie jedes Gefühl für die Realität verlieren. Die Krux daran ist: Wer kein Gefühl mehr für die Realität entwickeln kann, kann sich auch nicht sicher fühlen, unabhängig davon, als wie hochprozentig die Sicherheit eingestuft wird. So wird das Streben nach höchstmöglicher und noch höherer Sicherheit zu einer Teufelsspirale. Sie bringt uns zwar nicht der Sicherheit näher, dafür aber schnürt sie uns die Kehle zu, langsam zwar, aber dafür ganz sicher.“

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