27. März 2017

Drei Zitate über Innovation und Evolution

Zufällig, durch einen Artikel im The European, bin ich auf den Historiker Prof. Dr. Rolf Peter Sieferle aufmerksam geworden, habe ein bisschen gegoogelt und eine Expertise von ihm für das WBGU-Hauptgutachten „Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ gefunden. Immer mal wieder bin ich auf dieses Gutachten eingegangen insbesondere hier, mit diesem Zitat:

Die kolossale Herausforderung für die Modernisierung repräsentativer Demokratien besteht nun darin, zur Gewinnung von zusätzlicher Legitimation mehr formale Beteiligungschancen zu institutionalisieren, diese zugleich aber an einen inhaltlichen Wertekonsens nachhaltiger Politik zu binden, damit „mehr Partizipation“ im Ergebnis nicht zu „weniger Nachhaltigkeit“ führt. (WBGU-Gutachten S.218)

„Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ soll mal Walter Ulbricht gesagt haben, erinnerte mich ein Leser, und diesen Geist atmet eben auch dieses Nachhaltigkeitspostulat wie es im WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesrgierung Globale Umweltveränderungen) vertreten wird. Doch das nur nebenbei.

Die Expertise von Sieferle habe ich damals nicht recht wahr genommen, um ehrlich zu sein, habe ich das ganze Gutachten auch mehr überflogen als intensiv gelesen. Die Zeit jeden Satz zu bedenken und zu deuten, die habe ich mir nicht genommen. Ich denke aber, dass ich den »Spirit« dessen was dieses WGBU-Gutachten ausmacht, trotz dieser meiner Oberflächlichkeit ganz gut erfasst habe.

Doch genug davon, kommen wir zur Sieferle Expertise. Er stellt zweierlei Modelle vor, die beschreiben, was Innovation befördert und antreibt: Einmal aus Knappheit heraus, Innovation ist dann eine Antwort auf ein Problem.

Aus dieser Perspektive war die neolithische Revolution also ein Ausweg aus einer sich verschärfenden Knappheit infolge sich verschlechternder Umweltzustände. Diese Position wurde vor allem von Cohen (1977) im Anschluss an Boserup (1965) vertreten. Danach bildeten verknappte Ressourcen eine challenge, auf die als response der Übergang zur Landwirtschaft stattfand. Nach diesem Erklärungsmuster sind Innovationen als Reaktionen auf eine Problemlage zu verstehen, wie dies Wilkinson (1973) für verschiedene historische Übergänge generalisiert hat. Im Prinzip handelt es sich hier um das Muster des development by shortage.

Das gegenteilige Modell ist Innovation aus Überfluss:

Eine Alternativerklärung setzt dagegen den Akzent auf den relativen Überfluss im Sinne des generellen Erklärungsmusters development by excess. Diese Position wurde in Bezug auf die neolithische Revolution zuletzt prononciert von Reichholf (2008) vertreten: Es sei gerade der relative Überfluss am Ende der letzten Eiszeit gewesen, der zur Landwirtschaft führte. Der Fruchtbare Halbmond war keineswegs knapp an Jagdtieren, im Gegenteil: wo wilde Gräser wachsen, die zur Basis der Erntewirtschaft und schliesslich der Domestikation von Getreidepflanzen werden konnten, muss es auch grosse Herbivoren geben, die sich von diesen Gräsern ernähren. Der Ackerbau (oder auch schon die Erntewirtschaft) kann daher nicht Resultat einer sich verschärfenden Knappheit sein, so dass man von der eigentlich favorisierten Fleischnahrung zu weniger favorisierter vegetarischer Kost überging.
...
Analog dazu vermutet Reichholf, dass die ursprüngliche Kultivierung von Getreide nicht so sehr der Nahrung diente, sondern der Zubereitung alkoholischer Getränke (Bier), mit denen man sich bei rituellen Festen berauschte. Auch hier wäre also eher eine soziale als eine ökonomisch ökologische Dynamik Ursache für die neolithische Revolution.


Innovation aus Überfluss erscheint komplexer in seinen Gründen als die einfachere Innovation aus Mangel. Ja es könnte geradezu sein, dass Mangel zwar einzelne Komponenten einer Innovationsleistung zwar befördert, doch insgesamt eine solche nur in Gesellschaften vorkommt die sich Innovationen leisten können. Passend dazu auch die immer wieder vertretene These, dass nicht Ackerbau, sondern Religion unsere Ahnen zu Stadtbewohnern machte. Somit wäre die einfache eineindeutige Darstellung von »Innovation aus Mangel« durch »Innovation durch Kultur« zu ersetzen. Damit wird es komplexer. Im Hinblick auf die Industrielle Revolution bemerkte Sieferle:

„Der Weg der Transformation war daher in vielfacher Hinsicht offen. Es handelte sich um einen grossen Prozess der Suche, der sich im Medium starker sozialer und politischer Konflikte vollzog. Alle Versuche, ein bestimmtes Stadium oder eine bestimmte Organisationsform zu fixieren, sind früher oder später gescheitert. Die industrielle Transformation blieb in dieser Hinsicht ein evolutionärer Vorgang. Die Akteure, die an diesem Prozess beteiligt waren, verfolgten ihrerseits keine einheitlichen Ziele. Die Politiker strebten nach Macht, die Unternehmer nach Reichtum, die Wissenschaftler nach Erkenntnis oder nach Anerkennung ihrer Peers. Aus der Kombination dieser heterogenen Ziele konnte dann eine Transformation hervorgehen, die also solche keiner der Beteiligten gewollt hatte. Will man hieraus Schlussfolgerungen für die Zukunft ziehen, so ist eine gewisse Bescheidenheit angebracht. Eine wichtige Eigenschaft der Zukunft besteht darin, dass sie unbekannt ist. Alle Versuche, sich frühzeitig auf bestimmte Lösungspfade festzulegen, stehen daher vor einem grossen Risiko des Scheiterns.“

Doch genau das geschieht mit der sogenannten Energiewende, die eigentlich eine Kulturwende mit spirituellen Charakter sein soll, deren Hauptaussage die Rede von der Nachhaltigkeit ist. Suffizienz und Bescheidenheit sind dann erstrebenswerte moralische Werte dieser neuen Kultur. Die Einbettung des Menschen in Stoffkreisläufe, seine Rückführung in den Schoß der Natur ist das spirituelle Ziel. Überfluss wird geradezu als Verfehlung gegen diese neue Spiritualität der Nachhaltigkeit empfunden. Dies wird ein Nachlassen der Innovationstätigkeit bewirken, und somit längerfristig eine Mangelgesellschaft schaffen. Und was die Evolution mit derartigen Gesellschaften macht, lässt sich leicht voraussagen, wenn man einen Blick in die Geschichte der Menschheit wagt.

Die Vertreter dieser Nachhaltigkeitsspiritualität hoffen natürlich immer noch, dass erzeugter Energiemangel Innovationen befördert, was dann das selbst geschaffene Problem wieder lösen soll. Dies kann aber nur geschehen, wenn es dieses »development by shortage« tatsächlich gibt. Als ehemaliger DDRler habe ich da so meine Bedenken. Innovationen aus Mangel gab es da einige, die waren aber meist Notlösungen, mehr nicht.

„Alle Versuche, ein bestimmtes Stadium oder eine bestimmte Organisationsform zu fixieren, sind früher oder später gescheitert.“ schreibt Sieferle, doch genau eine bestimmte Organisationsform wird angestrebt, wenn die Transformation der Gesellschaft hin zu einem bestimmten Ziel (Nachhaltigkeit) geplant wird. Was genau dann das Scheitern dieser quasi spirituellen Nachhaltigkeitsgesellschaft für Gründe haben wird, das können wir noch nicht wissen. Ein Grund könnte sein, dass in weiten Kreisen nicht verstanden, noch nicht mal nachgedacht wird, wie und unter welchen Bedingungen Innovation entsteht.

2 Kommentare :

  1. In dem geschilderten Fall geht es dem Historiker Prof. Sieferle nicht um rationale Überlegungen, wie man am Besten Innovationen erzeugt und voranbringt, sondern ihm liegt -so unterstelle ich es mal- bewusst oder unbewusst nur seine eigene dahinterstehende Ideologie am Herzen. Dieses Nachhaltigkeitspostulat ist nämlich im Grunde genommen nur ein Symtom einer übergeordneten sozio-kulturellen "Großbewegung". Sprich, es geht ihm und seinesgleichen um die Feminisierung der westlichen Demokratien. Man will die Gesellschaften von alledem "reinigen", was man mit "Männlichkeit" als Solches in Verbindung bringt, weil diese Männlichkeit aufgrund vergangener Erfahrung(kriegerische Rivalitäten, Umweltzerstörung und soziale Ungerechtigkeiten aufgrund von Profitstreben, usw.) als destruktiv für die menschliche Existenz angesehen wird. Nachhaltigkeit gilt in dem Kontext daher als weiblich-harmonisch(Schoß der Natur!) während das Streben nach Überschuss als männlich-agressiv angesehen wird. Wer nach Überschuss strebt, der will auf Kosten anderer quasi erobern und übervorteilen. Das ist in gewisser Hinsicht dann auch die altbekannte Kapitalismuskritik im neuen Ökogewand. Könnte man noch viel darüber schreiben. Ich will's aber damit mal bewenden lassen.

    MW

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  2. Ein schönes Beispiel findet man wohl in Bill Brysons Buch „Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge“. Hier wird beschrieben wie überdurchschnittlich viele wissenschaftliche Leistungen von einer gebildeten Schicht an englischen Landpfarrer hervorgebracht wurden. Hier trifft Bildung auf Überfluss an Zeit (meist keine Familie, keine 10 Std. Arbeitstage) und relativen Wohlstand. Die Jungs hatten einfach genug Muse für „abwegige“ Gedanken. Und auch Innovatoren in werkstofflastigeren Bereichen mussten/müssen Potential (Zeit, Kapital…) übrig haben um zu tüfteln. Daher würde ich zu der These tendieren dass Überfluss unterm Strich zu mehr Innovationen führt als Mangel. Oder anders gesagt „Überschuss“ setzt bereits existierendes Potential besser frei.
    Evtl. sollte man auch noch den Zins als treibende Kraft hinzurechnen. Denn dieser führt bei einem Kreditnehmer zu einem gewissen Druck hinsichtlich Rückzahlungsverpflichtungen was wiederum ein verstärktes Suchen nach Innovationen/Verbesserungen/Effizientzsteigerungen auslösen kann.
    MFG
    MGR

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