18. Februar 2015

Deutsche Rollenspiele

Irgendwann zu Beginn der 90er Jahre, so erinnere ich mich, hatte ich in einem Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses in Stuttgart-Heslach zu tun. Die Fenster, herrliche alte mit Rundbögen und vielen Sprossen, zeigten in den Hinterhof. Kinder spielten dort und als ich eine Pause machte, eine Zigarette am offenen Fenster rauchte, beobachtete und belauschte ich diese. Sie waren so in ihr Spiel vertieft, dass sie mich nicht mitbekamen. Es war kein Spiel welches irgendwelche Regeln brauchte, wie beim Fußball oder 'Himmel und Hölle', sondern eher ein Kreativ- und Rollenspiel. Verwandlungen geschahen und die dargestellten Rollen reflektierten sozusagen die Phantasie der Kinder, oder auch ihre Vorstellungen einer für sie imaginären Welt oder Personen. Das Spiel hieß: »Wir sind Deutsche«. Offensichtlich waren die Kinder keine Deutsche, unterhielten sich aber auf deutsch, es war die Sprache, mit der sie sich untereinander verständigen konnten, auch weil sie wohl verschiedene Muttersprachen hatten und aus Familien stammten die wiederum aus verschieden Ländern kamen.

Nun kannte ich aus meiner Kindheit auch solche Rollenspiele, wir waren Cowboy oder Indianer, Gendarm und Räuber, und selbst als Erwachsene macht es uns noch eine große Freude in fremde Haut zu schlüpfen, meist zur Faschingszeit. Man kann, wie die Kinder, mal der Gute, mal der Böse sein, gerade diese Spannung macht den Reiz eines solchen Spieles aus. Die Deutschen waren die Bösen in dem Spiel, welches ich da beobachtete. »Weißt du wie die fressen?« war eine Frage, oder es wurde dargestellt wie es bei den Deutschen zuhause zugeht, meist tumb oder brutal.

Gerne hätte ich die Kinder gefragt, ob ihre Vorstellungen von den Deutschen durch Erzählungen im Elternhaus suggeriert worden, oder auf persönlichen Erlebnissen gründet, doch erstens wollte ich deren Spiel nicht stören, und zweitens hätte ich sowieso keine befriedigende Antwort erhalten. Sie kannten mich ja nicht, demzufolge wäre auch kein Vertrauen zu mir vorhanden gewesen, was eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, wenn man wissen möchte was so in Köpfen von Kids vorgeht.

Das Spiel war politisch inkorrekt, im Kindergarten oder wenn andere Erwachse zugegen sind, vielleicht auch auf dem Schulhof, wäre es nicht zustande gekommen.

Damals, so dachte ich, es ist doch schön, wenn Kinder in Hinterhöfen ungestört spielen können, ohne Beaufsichtigung, die immer auch einen Verlust an Kreativität zur Folge hat. Sorgen wegen der getätigten Aussagen oder dem Negativbild der beschriebenen Deutschen, machte ich mir nicht. Das waren Rollenspiele die zwar Vorstellungen der Kids enthielten, aber vor allem der Selbstbeschreibung als die Guten diente. Die Indianer sind eben meist die Guten, bei den Kids. Dieses Bild von den Deutschen in ihren Köpfen wird sich schon korrigieren. Die Cowboys sind nicht immer die Bösen, das lernt man einfach wenn man älter wird.

Heute aber bin ich mir nicht mehr so sicher, ob es diese Bilder vom tumben und brutalen Deutschen nicht immer noch in Köpfen der Erwachsenen gibt. Allerdings nicht bei denen mit ausländischen Wurzeln, sondern bei den Deutschen selbst. Die versuchen nicht, in Rollenspielen - also in der Phantasie - die Guten zu sein, sondern sehen sich selbst als eine ins negative überzeichnete Karikatur ihrer selbst. „Was für ein wunderliches Selbstmissverständnis der Deutschen,“ meint Cora Stephan. Und wenn die Deutschen schon die Guten sein wollen, dann darf dies keinesfalls irgendwas mit deutsch zu tun haben. Multikulti und Bunt soll es sein, oder kunterbunt vernetzt, wie es im Motto der ARD-Sendung »Karneval in Köln« hieß und bei der sich ein Mitglied des Dreigestirns es nicht nehmen ließ darauf hinzuweisen, dass bei diesem Kunterbunt alle Farben willkommen sind, nur braun nicht. Da war er wieder der tumbe Deutsche, der Nazi. Der wird gebraucht als Gegenpart im kunterbunten Spiel der Verwandlung zur Multikultipersönlichkeit. Doch da es von diesen Braunen nun nicht viele gibt, werden sie konstruiert, und denen die einfach Multikulti für einen Irrweg halten, unterstellt sie seien welche. Deutsch wird nicht mehr mit etwas positivem assoziiert, das Spiel der Kinder im Hinterhof ist zum allgemeinen Gesellschaftsspiel geworden.

Die Verwandlung zum Multikultideutschen erweist sich spätestens dann als Rollenspiel wenn wir uns in der harten Realität orientieren müssen, dann sind wir wieder ganz normale Deutsche, erinnern uns unserer Werte, Fähigkeiten und Tugendenden. Gut, manchmal auch an unsere Fehler oder Ängste.



Dossier: Heimat

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