29. März 2013

Enquete: Nachhaltigkeit und Willkür

Wie rede ich über etwas, von dem ich gar nicht weiß was es ist. Die Enquete „Wachstum“ des Bundestages machte vor wie das geht. Am 18. März 2013 stand der Abschlussbericht der Projektgruppe 5 an, deren Aufgabe es war, Arbeitswelt, Konsumverhalten und Lebensstile genauer unter die Lupe zu nehmen. Sabine Leidig (Linke) als Projektgruppenvorsitzende machte denn auch gleich zu Beginn der Sitzung, in ihrer einleitenden Erklärung über diesen Abschlussbericht, deutlich, worin das Problem besteht:
..., dass wir alle diese Aufgabenfelder konzentriert haben, auf das Ziel, eine gesellschaftliche Entwicklung zu fördern, die ein nachhaltiges Wirtschaften praktiziert. Das haben wir gemeinsam zur Verständigung zu Grunde gelegt. Nachhaltiges Wirtschaften ist unser Ziel, ohne allerdings [...] eine konsistente Vorstellung davon zu entwickeln, was eigentlich genau nachhaltiges Wirtschaften ist, weil dazu einfach keine Zeit war.
Dafür dass nicht richtig klar ist, was genau unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist, wird dieser Begriff geradezu inflationär verwendet. Nachhaltige Lebensstile sollen gefördert und gefordert werden, doch es geht weiter, Nachhaltigkeit wohin man blickt: In der Schule, in der Wirtschaft, in der Politik. Es gibt praktisch kein Bereich des Lebens der nicht unter dem Diktat der Nachhaltigkeit zu stehen hat. Dabei, so stellt Hermann Ott (Grüne) fest, gibt es im Bereich des Lebensstils zur ökologischen Nachhaltigkeit sehr viel Material, allerdings nicht bei der sozialen Nachhaltigkeit. Deshalb habe man sich vorrangig auf den ökologischen Aspekt konzentriert. Dabei konnten sie sich im Wesentlichen auf die Arbeit des Wuppertaler Institut stützen. Und in der Tat, über weite Passagen des Abschussberichtes könnte man glauben, dass es von diesem Institut direkt verfasst worden wäre. Von sich selbst schreiben die Wuppertaler:
Im Fokus der Forschung des Wuppertal Instituts stehen Transformationsprozesse zu einer Nachhaltigen Entwicklung.
So findet sich denn auch diese Aussage im Abschlussbericht der PG 5:
Geht man allerdings von der Notwendigkeit eines ökologisch nachhaltigen Wirtschaftens aus, bedarf es laut der Studie des Wuppertal Instituts eines generellen Blickwechsel des Wirtschaftens weg von der Angebotsorientierung, hin zu einem reflektierten Nachfragemanagement:
Hier stellt sich die dringende Frage: Welches Management reflektiert was unter welchen Gesichtspunkten. Die Fraktion der FDP meinte in diesem Zusammenhang, in einem Sondervotum, dass nicht klar sei welche konkrete Personen die Kompetenz zum Beurteilen dieses Verfahrens haben. In der Tat, das ist eine wichtige Frage, weil sich auch daran der Streit festmachen lässt der die ganze Enquete durchzieht: Geht ein Nachhaltigkeitspostulat für alle Bereiche des Lebens konform mit unserem freiheitlichen Verständnis und unseren Vorstellungen von einer sozialen Marktwirtschaft? Vorwürfe, die angestrebte öko-soziale Transformation münde in eine Ökodiktatur, werden von der Opposition (Grüne, SPD, LINKE), und auch von Teilen den Union, vehement bestritten. Nur wenn es konkret wird, dann werden eben solche Restriktionen, wie sie in Diktaturen zur Anwendung kommen, gefordert. Dietmar Hexel (SPD) glaubt denn auch nicht an einen Wandel durch Einsicht und meint:
Selbst große Religionen, in der Geschichte der Menschheit, es nicht geschafft haben, eine Kultur so zu prägen, dass ein Lebensstil heraus kommt, der vernünftig ist. Das heißt, wir werden über regulatorische Maßnahmen nicht umhin kommen.
Regulatorische Maßnahmen sind per se sind noch nicht gleich Diktatur, wenn sie allerdings im Kontext von vernünftigen Lebensstil gefordert werden, bedeutet dies letztlich nichts anderes als das, dass der Gesetzgeber erstens weiß was ein vernünftiger Lebensstil ist, und zweitens diesen dann vorschreibt. Anders machen Regeln in diesem Zusammenhang keinen Sinn.

Apropos Lebensstil. Hier ist den Liebhabern der Nachhaltigkeit ein Peinlichkeit nicht erspart geblieben. Und zwar in Form des Widerspruchs zwischen Personen die ein besonders ökologisches Bewusstsein aufweisen, aber dennoch die Ökobilanz gerade für diese Milieus negativ ausfällt. In einer Fußnote auf Seite 31 des Berichtes wird darauf hingewiesen. „Wie zusammenbringen?“ fragte denn auch Hermann Ott per Twitter. Eine vernünftige Antwort darauf bekam er nicht. Denn nach der Logik, wonach regulatorische Maßnahmen zum erreichen eines nachhaltigen Lebensstils notwendig sind, müssten die Grünen in allererster Linie bei der eigenen Klientel anfangen. Dass das nicht geschieht, zeigt die ganze Verlogenheit der Debatte.

Mühsam versucht die Opposition zu verschleiern dass diese Forderungen nach nachhaltigem Wirtschaften, sowie nach nachhaltigen Lebensstil, Regularien erfordern die mit unserem bisherigem Verständnis von der Freiheit nicht vereinbar ist. Dazu wird dann auch gleich mal der englische Mathematiker und Philosoph Thomas Hobbes herangezogen, dessen Lehren aus dem Werk Leviathan von Hermann Ott so beschrieben werden:
Ich kann sagen, dass diese Vertragstheorie, die mir vor allem wichtig war, also eine auf Hobbes zurückgehende, über die Entwicklung des Sozialstaates sich entwickelnde Beziehung zwischen Individuum und Staat, wo ein Teil von individuellen Rechten abgetreten wird, wo aber auf der andern Seite der Staat bestimmte Leistungen auch garantiert, dass das von Teilen der Gruppe auch kritisiert worden ist.
Zu Recht kritisiert. Hobbes war, ist und bleibt umstritten. Warum er dennoch gerade bei den Liebhabern der verordneten Nachhaltigkeit so großen Anklang hat, verdeutlicht dieses Wikipediazitat:
Die Kraft, die den Einzelnen dazu bewegen soll, immer wieder unmittelbare Möglichkeiten, sein Eigeninteresse zu befriedigen, nicht zu nutzen, ist die Kraft des übermächtigen Souveräns, der über den einmal geschlossenen oder erzwungenen ‚Gesellschaftsvertrag‘ hinaus die Einhaltung der positiv festgelegten gesellschaftlichen Normen erzwingt.
Geschlossener oder erzwungener Gesellschaftsvertrag im Sinne von Hobbes und in dem von Ott gesetzten Zusammenhang mit Nachhaltigkeit, bedeutet also nichts anderes, als dass die Menschen auf individuelle Rechte zu verzichten haben. Einsicht oder Überzeugung ist Nebensache, ein Gremium der Nachhaltigkeit, oder wer auch immer, bekommt das Recht zu bestimmen wie wir zu leben und zu wirtschaften haben. Dass nur so, und nicht anders, die Ziele der Freunde der Nachhaltigkeit umgesetzt werden können, wurde mehr als deutlich. Es gibt zwar immer noch Leute, auch in dieser Enquete, die meinen, nachhaltiges Leben und Wirtschaften könne man mit moralischen Aufrufen und Vorbildrollen erreichen, doch dem widerspricht ausgerechnet Michael Müller deutlich:
Die Reduktion der Nachhaltigkeit auf eine gesellschaftliche Dimension halte ich für grundfalsch. Der Kern der Nachhaltigkeit ist ein regulatives Prinzip sowohl für individuelles Verhalten, als auch gesellschaftliche Organisationsform. Es war immer so verstanden worden, steht auch so im Bericht. Und ich würde es auch für falsch halten, das sozusagen wieder auseinanderzuhalten, das ist der eigentliche Charme: Nachhaltigkeit ist ein Prinzip, was man sozusagen auf allen Ebenen - individuell, lokal, national, europäisch, global - anwenden kann, ohne dazu, sozusagen von oben herab, Rahmensetzungen braucht. Es geht um regulative Prinzipien!
Dieser Ausspruch, in Verbindung mit den Vorstellungen eines Hermann Ott und dessen Berufung auf Hobbes, machen deutlich um was es wirklich geht. Um eine Diktatur der Nachhaltigkeit zulasten der Freiheit in jeglicher Beziehung. Mehr noch, dadurch das es, gemäß Müller, keine Rahmenbedingungen gibt, ist der Willkür derer die bestimmen was Nachhaltigkeit ist keine Grenzen gesetzt. Man muss Michael Müller dankbar sein, dass er dies so klar und unmissverständlich formulierte. Was aber denen, die mit einem Bild von der schönen neuen nachhaltigen Welt hausieren gehen, überhaupt nicht Recht sein kann. Auf meine Frage im Enquete-Chat:
QuentinQuencher 17:00
Wie ist von den Teilnehmern hier die Aussage von Michael Müller aufgenommen worden, wonach der Bergriff »Nachhaltigkeit« zu ideologisch betrachtet würde. Wenn ich es richtig verstanden haben, so meinte er, ein Nachhaltigkeitsvorgabe sei automatisch immer mit Zwang verbunden?
antwortete Uwe Schneidewind, Sachverständiger in der Enquete und seit 2010 Vorsitzender des Wuppertaler Institut:
Prof. Dr. Uwe Schneidewind 17:06
@QUENTINQUENCHER: MIchael Müller versteht Nachhaltigkeit als eine "regulative Idee": Handle so, dass Dein Handeln die Handlungsmöglichkeiten künftiger Generationen und anderer Menschen auf dieser Erde nicht unbotmäßig einschränkt. Diese Maxime lässt sich auf individueller und gesellschaftlicher Ebene anwenden.
Das ist mal wieder ein typischer Fall von Verharmlosung, es setzt die ethischen Prinzipien in den Vordergrund, und verharmlost den Zwang der hinter dieser regulativen Idee steht.

Die rotgrünlinke Opposition schwadroniert fast unwidersprochen über die Einschränkungen selbst von individueller Freiheiten zugunsten einer Nachhaltigkeitsdiktatur, die sich dann nicht einmal um eine Rahmensetzung zu kümmern braucht, sondern gemäß der eigenen Interpretation des Begriffes Nachhaltigkeit regulative Maßnahmen treffen kann. Da passt es auch dazu, dass noch keine konsistente Vorstellung davon gibt, was Nachhaltigkeit eigentlich ist. Wenn man keine Rahmensetzung braucht um eine Ideologie durchzusetzen, braucht man die Ideologie auch nicht genauer definieren. Eine Diktatur gib sich wenigstens noch einen Rechtsrahmen innerhalb dessen die eigenen Vorstellungen umgesetzt werden sollen. Was Müller und Ott in dieser Enquete ausführen, lässt mich allerdings eher an Willkür denken. Die totale Nachhaltigkeit nimmt Gestalt an.

1 Kommentar :

  1. Lieber Q2,
    schöner Artikel! Hobbes ist ja der Theoretiker des Absolutismus! Insofern hat er seine Berechtigung in Kontexten und damit räumlich und zeitlich begrenzt. Absolut(!) interessant aber ist die Rechtfertigung aktueller Politikentwürfe mit Hobbes, dem es in seinem Staat in erster Linie um den Gewaltverzicht ging und nicht um Nachhaltigkeit und andere schwammige Begriffe, in denen Recht, Politik und Moral eins werden und in Form von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln eine gewisse Nähe zum Rechtssystem des Nationalsozialismus aufweisen (s.o.). Vertragstheoretiker - wie auch John Rawls und seine »Theorie of Justice« - sind, wie ich finde, ansonsten sehr ehrlich: Denn das Ergebnis (bestimmte Gerechtigkeitsvorstellungen, Menschenrechte etc.) haben die Menschen praktischerweise schon im Naturzustand, der aber ansonsten ahistorisch und akulturell ist. Ähnlichkeiten zu aktuellen Denkrichtungen der Gegenwart sind selbstverständlich rein zufällig :-) Den Kampf aller gegen alle gab/gibt es genauso wenig wie den Vertrag aller mit allen. Aber Willkür und Neo-Feudalismus der Gegenwart nehmen dafür ganz offen und mit der Berufung auf Hobbes immer mehr Gestalt an... Bitte nicht von der Terrasse stürzen und herzliche Grüße, wanderschatten

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