14. März 2013

Ein Pamphlet in der Enquete

In einem Interview im Cicero zeigt sich der französische Intellektuelle Raphaël Enthoven mitfühlend mit uns Deutschen und findet es schockierend, dass Philosophie in Deutschland nicht überall verpflichtendes Schulfach ist. Er meint weiter, Philosophie sei ein fundamentales Menschenrecht und versteht nicht, warum das nicht in der Schule gewährt wird.

Daran musste ich denken als ich die Reaktionen von Mitgliedern der Enquete des Bundestages, „Wachstum, Wohlstand, Nachhaltigkeit“ auf einen Text von Michael Müller (SPD) und Dr. Matthias Zimmer (CDU) zur Ideengeschichte des Fortschritts vernehmen musste. Prof. Brand (Linke) lobte, bei verhaltener Kritik über die Darstellung des Kommunismus, den Mut der Autoren sich den großen Fragen zu stellen. Hermann Ott (Grüne) sieht in dem Text ein Highlight der Enquete, und so weiter. Fundamentale Kritik wollte lediglich Karl-Heinz Paqué (FDP) vorbringen, doch ihm wurde die Zeit dafür nicht gegeben.

Um was geht es eigentlich in diesem Papier und warum löst es derartige Begeisterung aus? Im wesentlichen ziehen sich zwei Argumentationsstränge durch den Text. Einmal die Annahme dass durch Moderne und Aufklärung die Menschen zu einer Naturvergessenheit gekommen wären, ein Streben nach Naturbeherrschung das Leben mit der Natur abgelöst hätte. Dazu werden die Philosophen Francis Bacon oder René Descartes bemüht, oder auch Max Weber, für den die Idee des Fortschritts die Grundlage für den europäischen Rationalismus mit aktiver Weltbeherrschung sei. Zum zweiten, dass Wirtschaftswachstum an sich zum Ziel geworden wäre, das Streben nach Wachstum also gegenwärtige Politik bestimmt.

Beide Punkte werden ja nun schon seit geraumer Zeit diskutiert und die hier vertretenen Positionen sind ja nicht neu, und vor allem nicht unumstritten. Aus den philosophischen Betrachtungen eine Handlungsanweisung herauszulesen ist sowieso nicht möglich, da es eben auch immer gegenteilige Schlüsse geben kann und muss. Gerade beim Thema Ökologie, oder besser Ökologismus, wird dies ja deutlich. Dass diese Diskussionen, die ja anderenorts geführt werden, nicht bei den Mitgliedern der Enquete angekommen sind, und sie sich nunmehr erstaunt zeigen, dass man auch die Themen der Enquete unter philosophischen Gesichtspunkten sehen kann, zeigt, welch geringer Stellenwert die Philosophie in der öffentlichen Wahrnehmung hat. Und noch mehr, es zeigt auch, dass völlig falsche Vorstellungen darüber existieren, was Philosophie leisten kann. Dazu noch einmal Raphaël Enthoven:
Politik und Philosophie machen auch nicht dasselbe Geschäft. Ein Politiker vertritt Ideen – und muss sie verkaufen. Er hat nicht die Möglichkeit, seinem Gegenüber zu sagen: „Ja, hier haben Sie Recht.“ Das Glück des Philosophen aber ist die Fähigkeit, seine Meinung zu ändern. Das Ziel der Debatte ist also die Debatte selbst.
Deshalb wirken die Versuche Müllers und Zimmers aus der Philosophie heraus Rechtfertigungsnarrative für ihr Wachstumsbashing zu entwickeln gekünstelt und aufgesetzt. Sicher ist dies Paqué aufgefallen und er wollte etwas dazu sagen, doch da er keine Gelegenheit bekam sich zu äußern, kann man hier nur mutmaßen. Mit der Aufzählung von 5 Punkten, in die sich die Kritik gliedert, begann er, als ihm die Vorsitzende Daniela Kolbe ins Wort fiel. Hier wird noch eine Diskussion folgen müssen in der dann auch die inhaltlichen Schwächen dieses Müller/Zimmer-Papier aufgezeigt werden.

Es werden natürlich zum einen die immer noch angeführten Herleitungen aus den Darstellungen des Club of Rome zu nennen sein, die längst widerlegt sind, doch als Prinzip weiterhin das Denken so vieler Linker und Grüner bestimmt. Dies nur als Beispiel, es veranschaulicht aber den ganzen Kontext dieses Papiers. Es wird eben nicht auf die bestehende Diskussion, noch nicht einmal die vergangene eingegangen - zum Beispiel nicht auf Popper, dessen Darstellungen alternative Erklärungsmodelle liefert - sondern einzig im Stil eines Pamphlets über den Kapitalismus und über Teilergebnisse der Moderne hergezogen. Das ganz Papier steht argumentativ auf solch tönernen Füßen, dass die Euphorie von großen Teilen der Enquete schwer nachvollziehbar ist.

Nicht nur von Philosophie scheinen die Deutschen keine Ahnung mehr zu haben, sondern auch von Wirtschaft, wie das Handelsblatt anschaulich darstellt. Und darauf vertrauen offenbar auch die Ideologen der grünen Nachhaltigkeit. Ansonst hätten sie nämlich auf das Müller/Zimmer Papier nicht mit Jubel reagiert, sondern es eher peinlich berührt in der Schublade verschwinden lassen. Dass die grüne Ideologie auch weite Teile von CDU/CSU erfasst hat ist nicht neu, Dr. Matthias Zimmer, einer der beiden Autoren des Papiers, ist schließlich für die CDU in der Enquete.

Die übrige Debatte, in der es auch um den Finanzmarkt und natürlich die Begriffe Nachhaltigkeit sowie nationale oder internationale Handlungsmöglichkeiten ging, war vom üblichen Streit gekennzeichnet. Gerade die Grünen/Linken/Sozialdemokraten betonen immer wieder den Konsens der in weiten Bereichen erzieht worden ist, doch dies ist beim näheren Hinsehen reine Augenwischerei. Obwohl alle Parteien die gleichen Vokabeln benutzen, so meinen sie doch jeweils etwas anderes. Wenn Grüne und ihre Verbündeten von Nachhaltigkeit sprechen, dann vor allem und hauptsächlich im ökologischem Sinn, während hier wieder vor allem FDP den Begriff weiter gefasst sehen will. Es gibt keinen Konsens über die Definition was Nachhaltigkeit ist, deshalb sind auch alle weiteren Beschreibungen und Schlussfolgerungen zumindest erläuterungsbedürftig. Besonders deutlich wird dies, auch hier wiederum von Herrn Paqué ausgeführt, bei der deutliche Ablehnung einer großen Transformation von Seiten der Koalition:
Ganz wichtig ist uns, dass diese Herausforderungen in pragmatischer Weise angepackt werden, nicht in Form irgendeines Systembruchs oder einer großen Transformation, wie sie beispielsweise der WBGU fordert. Und dass der Bürger mündig und souverän in seinen ökonomischen Entscheidungen bleibt, und nicht Objekt umfassender staatlicher Lenkung im Dienste von Zielen, wenn es auch wohlmeinende Ziele sind, gesetzt wird.

Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, es geht nicht um eine große Transformation ...
So deutlich war diese Ablehnung des WBGU-Gutachtens bisher nicht zu vernehmen, und hier sprach Paqué im Namen der Koalition (Union/FDP). Ob der Dr. Zimmer die Tragweite dieser Aussage begriffen hat wage ich zu bezweifeln, ansonst hätte er nicht mit dem Herrn Müller gemeinsam ein so schwaches Pamphlet verfasst wie es in der Ideengeschichte des Fortschritts geschehen ist. Es ist nämlich in Wahrheit ein Pamphlet gegen den Fortschritt und die Moderne und von mehr als fragwürdigen philosophischen Überlegungen geleitet.


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