5. Oktober 2017

Ein neues Sinnbild für Deutschland

Die alte Bundesrepublik hätte einen eigenen Konservatismus haben können, sie hatte ihn eigentlich schon, inklusive Sinnbild. Sinnbilder sind im Konservatismus viel wichtiger als Ideologie. Dieses war die DMark und der Wiederaufbau. Ein neues Haus wurde erbaut, aus den Trümmern älterer Häuser. Die Brocken wurden ein wenig gesäubert, zurecht geklopft, und mit mit neuem Mörtel, der DMark, zusammengefügt. Die DDR-Nationalhymne „Auferstanden aus Ruinen“ wäre übrigens passender für die Bundesrepublik gewesen.

Doch nun fällt das Haus auseinander, der Euro kann die kantigen alten schweren Brocken nicht zusammenhalten. Mit diesem Mörtel soll ja auch ein anderes Haus gebaut werden. Irgendwas universales, globales, mindestens europäisches, keinesfalls nationales. In diesem neuen Haus fühlt sich der Konservatismus als Fremdkörper. Die universellen Sinnbilder des neuen Hauses, was da erbaut wird, erschließen sich ihm schon, rein logisch, nur er fühlt sie nicht. Sinnbilder müssen gefühlt werden, werden sie es nicht, sind sie nur Dekoration und keine Orientierung. Der Konservatismus ist heimatlos geworden.

Nun rächt sich, dass man hierzulande glaubte, konservative Sinnbilder ohne völkische Narrative kreieren zu können. Fast hätte es geklappt, wäre nicht der der Euro dazwischen gekommen. Mit der Aufgabe der DMark wurde dem Konservatismus das Sinnbild „Auferstanden aus Ruinen“ genommen. Nun muss er wieder zurück zu seinen Wurzeln, ins völkische, was nicht zwangsläufig chauvinistisch oder nationalistisch ist, wie von den Linken so gerne unterstellt. Wer sich schwer tut mit dem Begriff, kann ja bürgerlich sagen und völkisch meinen. Hauptsache die Mentalität wird in die Vorstellung einbezogen. Niemand wird ernsthaft bestreiten wollen, dass es Mentalitätsunterschiede zwischen Völkern gibt.

Diese dreifache Verbindung, Kultur - Mentalität - Volk, wurde vom Bürgertum und vom Konservatismus in der alten BRD verschämt verschwiegen, es wurde andere Begriffe gesucht, andere Bedeutungen, um ja nicht auszusprechen was offensichtlich ist. Der wohl peinlichste Begriff in diese Richtung ist »Verfassungspatriotismus«. Diesen gibt es natürlich, gewissermaßen bin auch ein solcher Patriot, er ist aber nur ein kleiner Teil der Kultur. Genau genommen ist die Verfassung eine Urkunde, oder ein Gesetz, welches einer Gruppe, hier Volk, Souveränität garantiert und trotz aller sonstigen Unterschiede und Konflikte eine zivile Normalität schafft. Die Verfassung ist also das Produkt, die Frucht von Kultur, Mentalität und Volk, und nicht der Beginn davon.

Anhänger eines universalen Idealismus, von Linken über Liberale bis zum Großbürgertum, haben damit natürlich ihre Probleme, sie kommen ohne die Allgemeingültigkeit von Regeln und Idealen nicht aus, sie müssten sich vom Universalismus ihrer jeweiligen Prägung verabschieden. Doch diese Auseinandersetzungen darum sind nicht neu, dennoch müssen sie geführt werden, da Sinnfragen des Seins immer wieder im Spannungsfeld solcher Diskurse ausgehandelt werden.

Für die alte Bundesrepublik speziell, liegt die Sache noch mal anders. Nicht ein Befreiungskampf ging der Nationgründung voraus, sondern etwas von dem man sich distanzieren musste und wollte, der Nationalsozialismus. Die Selbstbeschreibung war dann hauptsächlich eine des Nichtseins. Nichtnazisein wurde zur Identität, erst danach, mit weitem Abstand, wurde die Frage des Seins behandelt: Wer wir sind. Und das war anfangs ein ziemlich diffuses Bild. Der Sieger wurde kopiert, oder die Sieger. Es war nur die Frage ob die frankophilen oder anglophilen die Oberhand gewinnen. Ob Adenauer oder Erhardt.

Diese Selbstbeschreibung des Nichtseins der Deutschen, als Nichtnazis, ging quer durch alle politischen Überzeugungen. Ob bürgerlich, liberal, konservativ, links, es konnten alle nicht anders. Es war pure Notwendigkeit im Chaos des Neuanfangs, der kleinste gemeinsame Nenner.

Darin richtete sich der Konservatismus ein, wie alle anderen auch, es wurde Teil des Sinnbildes, welches seine Bestätigung im Wirtschaftswunder bekam und im kalten Krieg. Werte wurden nicht mehr aus der Tradition, der Geschichte oder der Mentalität des Volkes abgeleitet, sondern mit Ideologien begründet. Diejenigen die sowieso in Ideologien zu Hause waren, wie die Linken, auch die Liberalen, waren dadurch den Konservativen immer einen Schritt voraus und konnten somit den Diskurs steuern.

Vielleicht ist dies aber kein spezifisch westdeutsches Problem des Konservatismus, denn da er seine Berechtigung im Gefühl findet, im Sinnbild, tut er sich in einem Diskurs mit klaren Argumenten sowieso schwer. Er müsste sein Gefühl schlüssig herleiten, was selten gelingt, und was dann auch so was wie eine Ideologie darstellen würde. Er müsste aus dem Dreiklang Mentalität, Kultur und Volk eine Begründung für sein Dasein finden, womit die Konservativen überall in der Welt schon Probleme haben, nur in Deutschland gerät der Konservative damit zusätzlich unter Naziverdacht.

Vor dieser Verdächtigung hatten die Konservativen Angst, sie konnten ihr nur entgegentreten indem sie ihre Identität als Nichtnazi unterstrichen. Der nächste Schritt, vom Nichtnazisein zum Deutschsein, wurde aber nie gegangen, es wurde einer zum Bundesbürger, zum Bürger der BRD. Freilich spielte Kultur, Mentalität und Volk noch eine gewisse Rolle, doch dies wurde eher lokal, im Raum des gesprochenen Dialekts, gesehen. Die pluralistische Struktur mit der Machtteilung und -verteilung zwischen Bund und Bundesländer erwies sie dabei als sehr hilfreich.

Dennoch wirkte die BRD letztlich identitär, schuf sich ihren eigenen Humus durch den wirtschaftlichen Erfolg, in dem dann eine gewisse Verwurzelung entstehen konnte. Zwei Voraussetzung dafür waren aber notwendig, sie bildeten sozusagen das Klima, die äußeren Umstände, unter denen diese neue Identität der Deutschen als Bürger der Bundesrepublik entstehen konnte: Der kalte Krieg, der die Zuordnung in der Welt sicher stellte, und die deutsche Teilung, sie verdeutlichte auf dem richtigen Weg zu sein, indem sie mit der DDR den falschen Weg aufzeigte.

Mit der Wiedervereinigung haben sich die inneren Zusammenhänge geändert, zum Sinnbild Wiederaufbau kam das Sinnbild friedliche Revolution, und ermöglichte somit ein Zeitsprung über den Nationalsozialismus hinweg, hin zu 1848. Es machte die Selbstbeschreibung als Nichtnazi überflüssig, Geschichte wurde erlebt, damit begann das Sinnbild der Westdeutschen zu verblassen. Am wenigsten Probleme hatten dabei die Konservativen, denen die Fokussierung auf das Nichtsein, das Nichtnazisein, sowieso immer als eine Art Selbstkastration vorgekommen sein mag.

Nun konnte der Schritt vom Nichtnazi zum Deutschsein gegangen werden. Damit wurde allerdings die Identität als Bundesbürger, als Bürger der BRD, relativiert. Es ist dieses Paradoxon, dass der Sieger der Geschichte mit dem Sieg seine eigene Legitimation verliert, was den Westlern so bitter aufstößt und sie so aggressiv auf völkische Sinnbilder macht.

Im Grunde haben wir nun zwei konkurrierende Sinnbilder im Konservatismus Deutschlands. Zum einen die die ihre Identität als Bürger der BRD erfahren haben, mit Wiederaufbau, DMark und Ludwig Erhard als gefühlte Identitätsgeber, zum anderen die nun durch die friedliche Revolution an ältere deutsche Tradition und Geschichte anknüpfen können, solchen die mit Befreiung zu tun haben, sprich die Zeit nach Napoléon hin zu 1848. Für letztere ist die Selbstbeschreibung als Nichtnazi nicht mehr notwendig, die Zeit von 1933-45 ist nur noch eine sehr unrühmliche Episode in der Geschichte Deutschlands, eher ein Ausrutscher, denn eine Zwangsläufigkeit.

Um es noch mal zu wiederholen: Es geht um gefühlte Sinnbilder, nicht solche die als Dekoration verwendet werden, oder die auf ein Gefühl aufgeklebt werden, ohne dass sie in diesem entstanden sind und meist von der Propaganda der Gegner des Konservatismus benutzt werden, um die Konservativen in eine bestimmte Richtung zu locken. Der Konservatismus ist dafür anfällig, da er immer nach einer Begründung für sein gefühltes Sein ist, um im Diskurs wenigstens das eine oder andere Argument vorbringen zu können.

Eines dieser dem Konservatismus aufgeklebten Sinnblilder ist die europäische Einigung. Selbstverständlich waren die Konservativen nicht gegen sie, vor allem nicht gegen die Aussöhnung nach dem Krieg, sowie allem was mit Erleichterungen im Leben und in der Wirtschaft zu tun hatte. Dies aber aus pragmatischen Gründen, nicht weil es in den Dreiklang von Kultur, Volk und Mentalität entsprungen war. Die EU sprach nicht gegen diesen Dreiklang, solange sie nicht in Konkurrenz zu den gefühlten Bildern trat. Das geschah allerdings mit dem Euro, der mit dem aufgeklebten Bild einer nun noch besseren und größeren DMark versehen wurde. Ein typisches Zeichen, dass die Gegner des Konservatismus diesen besser verstanden haben als er sich selbst. „Wir müssen die Menschen mitnehmern”, so heißt es wohl im neudeutschen politischen Kauderwelsch, also klebt man eben ein entsprechendes Etikett auf ein Vorhaben mit gänzlich anderem Inhalt.

„Der Mensch muß von elementaren Stufen an als Kulturgeschöpf begriffen werden“, meint Sloterdijk in einer auch als Aufsatz erschienen Rede zur „Domestikation des Menschen zur Zivilisierung der Kulturen“, und, dass dies eine Einsicht der Kulturanthropologen sei. Ohne jetzt weiter auf diese wirklich lesenswerte Rede einzugehen, so muss der Begriff „Kulturgeschöpf“ noch mal genauer angeschaut werden. Der Mensch ist ohne seine Kultur nicht denkbar, ja mehr noch, er ist in ihr erst entstanden, seine Identität entsteht in seiner Kultur.

Freilich kann er auch die Kultur, in der er aufwuchs, als widernatürlich empfinden, so wie ich das tat in der DDR, dennoch wurde auch ich von ihr geprägt, wurde gewissermaßen ein DDRler, was zuzugeben mir wirklich schwer fällt. Als Oppositioneller gehört man auch dazu, wie in Bundesrepublik die dazu gehören, die das „Schweinesystem“ ablehnten. Um diese Feinheiten und Differenzierungen müssen wir uns hier aber nicht weiter kümmern, es genügt von ihnen zu wissen, und, dass Opposition zur Kultur gehört, auch Teil der Kultur ist. Der Oppositionelle ist selbst ein Teil dessen was er bekämpft.

Kommen wir zurück zu den Sinnbildern der alten Bundesrepublik, insbesondere diesen die vom Konservatismus gefühlt wurden. Dadurch dass völkisches Denken geradezu mit einem Verbot versehen war, nahmen die Konservativen die neue Verortung als Teil des Westens nur zu gerne an, mit dem Wirtschaftswunder wurde das neue Sinnbild endgültig identitär. Und genau hier beginnt nun das Problem mit den durch das Ende des kalten Krieges entstandenen neuen Weltordnungen. Sie wirken als Angriff auf die Identität, somit auf das eigene Sein in der Welt. Die Westbindung steht zwar nicht zur Disposition, braucht aber nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums eine neue Begründung.

Von aufgeklebten dekorativen Sinnbildern kann sich der Konservatismus schnell befreien, sie wurden nie gefühlt. Da aber die Selbstbeschreibung als Bürger der BRD, mit eben dieser identitären Wirkung durch die gefühlten Sinnbilder, immer weniger der gegenwärtigen politischen Situation, insbesondere im Außenverhältnis in Europa und im Westbündnis, entspricht, drängen sich neue und gleichzeitig alte Bilder in den Vordergrund. Das 19. Jahrhundert wird wieder aktuell, gleichzeitig verliert die Nichtidentität als Nichtnazi ihre dominierende Rolle.

Große Teile der Konservativen haben damit ihre Probleme, nicht nur aus Überzeugung, sondern vor allem wegen dem gefühlten Sein als Bundesbürger. Es bedeutet für sie, im Spiegel zu erkennen, dass sie einer von äußeren politischen Umständen abhängigen konstruierten Identität geglaubt haben. In das Dilemma hätten sie nicht kommen müssen, hätten sie ihren Gründungsmythos mit Wiederaufbauf, jenem „Auferstanden aus Ruinen“, weiter gepflegt und die DMark nicht aufgegeben.

„Der Mythos ist die Matrix des Weltbildes - erstellt ein Bild von der Welt und umstellt die Welt mit Bildern,“ so Norbert Bolz in seiner »kurzen Geschichte des Scheins«. Ein neuer Mythos, eine neue Matrix des Selbstbildes, wird wieder auf den Dreiklang von Kultur, Mentalität und Volk zurück greifen müssen, also ein völkischer Mythos sein.

Diejenigen Konservativen die der jahrzehntelangen linken Indoktrination auf dem Leim gegangen sind, und beim Wort völkisch einen Beißreflex bekommen, können ja das Wort bürgerlich verwenden und an das erstarkende Bürgertum nach dem Ende der napoleonischen Befreiungskriege denken. Hauptsache sie fühlen im neuen Sinnbild den Dreiklang Kultur, Mentalität und Volk. Falls nicht, wird der Konservatismus in Deutschland marginalisiert werden. Eine Deutschland ohne starken auf sich bezogenen Konservatismus mag ich mir besser nicht vorstellen, es wäre eines das von brillant ausformulierten Ideologien, das können die Deutschen gut, beherrscht würde.



Dossier: Heimat

11 Kommentare :

  1. Richtig, aber die deutsche Nation gab es schon vor dem Nationalsozialismus.

    AntwortenLöschen
  2. Die Verwendung von Begriffen kann unter PC natürlich immer überzogen diskutiert werden und alle Begriffe auf Zulässigkeit bis hin zur Zwangsneurose geprüft werden. Dennoch bleibt der Bedarf nach passender Wortwahl letztlich vom Mitteilungsinteresse geprägt. Was also soll mit 'völkisch' gemeint sein? Nur 'national' ?

    In meinem Artikel ähnlicher Tendenz auf https://philo.servin.de/das-unbehagen-mit-dem-volk/ gehe ich darauf ein:

    'Anders dagegen ‚völkisch‘. Immerhin kuriserte das Wort einer völkischen Gesinnung durch die Medien. Ich wusste zunächst nicht, was damit gemeint ist. Ein Nachschlagen zeigte:

    "1. (nationalsozialistisch) (in der rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus) ein Volk als vermeintliche Rasse betreffend; zum Volk als vermeintliche Rasse gehörend

    2. (veraltet) national"

    Darum ist dieser Begriff wohl unbrauchbar, wenn man Bezug nehmen will auf ein Staatsvolk, ohne sich in die Nähe der Nazi-Ideologie begeben zu wollen.'

    AntwortenLöschen
  3. Peinlichster Begriff : »Verfassungspatriotismus«?
    Keineswegs. Zwar ist es legitim, diese Art der Distanzierung vom Begriff 'Volk' und 'national' abzulehnen, aber es ist auch legitim, sich auf den Wertgehalt des GG möglichst in Reinform zu beziehen. Denn das GG ist nicht nur ein Vertrag oder Gesetz wie viele Andere, sondern drückt einen Minimalkonsens und Werteorientierung aus, die ich durchaus teile. Auch wenn mir ein solcher »Verfassungspatriotismus« persönlich zu wenig ist, so schätze ich doch jene, die sich so bezeichnen, weit mehr als jene, die diese Werte ablehnen oder mit Gleichgültigkeit betrachten.

    AntwortenLöschen
  4. @ Martin Landvoigt

    Was ich unter völkisch verstehe, ist im Text erläutert, nämlich die dreifache Verbindung von Kultur - Mentalität - Volk. Ich kann mit den Begriffen der Staatsrechtler, wie Staatsvolk, nicht viel anfangen. Das ist, in meinen Augen, so was konstruiert kollektivistisches. Wenn ich also das Wort Volk verwende, dann selten mit dem Staat als Ordnungsrahmen fürs Volk im Hintergrund, sondern mehr Kultur und vor allem Mentalität. Über die verschiedenen Mentalitäten der Völker wird nicht mehr gesprochen, oder wie sich der Philosoph und Anthropologe Prof. Dr. Ferdinand Fellmann ausdrückte: „Mentalitätsdifferenz darf im öffentlichen Diskurs wegen der political correctness allerdings nicht ins Feld geführt werden, da man sich damit des Rassismus verdächtig machen würde.“

    Der Begriff Staatsvolk nervt mich schon deswegen, weil ich einem Staat zugeordnet werde, aber meine Identität und Mentalität mit dem Staat und seinen Regeln nicht viel zu tun hat. Beispielsweise sind mir als gebürtigen Sachsen die Mentalität der Bayern, der Schwaben, der Österreicher oder der Deutsch-Schweitzer eher näher, als die der Rheinländer oder Preußen.

    Im übrigen empfehle ich zu diesem Thema noch den Meinungsbeitrag von Prof. Dr. Dieter Borchmeyer auf L.I.S.A dazu: „Der Literaturwissenschaftler und frühere Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, Prof. Dr. Dieter Borchmeyer, ist in seinem jüngsten Buch Was ist deutsch? – Die Suche einer Nation nach sich selbst der Frage nachgegangen, was die deutsche Identität in ihrem Kern ausmacht und welchen historischen Wandlungen "das Deutsche" unterworfen war und ist. Dabei ist der Kulturbegriff in seinem Werk von zentraler Bedeutung.“

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich habe vollen Respekt für jeden, der die Begriffe nach eigenem Denken und empfinden mit Inhalt füllt. Das ist allemal legitim und sollte sich keinem PC-Diktat unterwerfen. Vor allem, wenn man selber klar macht, wie es gemeint ist, kann man natürlich auch unscharfe oder verschieden verstandene Begriffe nutzen. Der Begriff 'Volk' ist aber in unserer Verfassung ein zentraler Begriff. Darum sollte man ihn auch benutzen und mit Inhalt füllen, auch Kultur ... Bei 'völkisch' bin ich mir da nicht mehr so sicher. Der Begriff ist eben verbrannt. Und es wäre m.E. an der falschen Front gekämpft, wollte man diesen Begriff wieder salonfähig machen.

      Ich finde 'Staatsvolk' gut, denn es ist trennscharf definierbar als Schicksalsgemeinschaft, ob nun ererbt oder erworben. Mentalität oder Sympathie ist mir in diesem Zusammenhang weniger wichtig. Identität habe ich vor allem individuell und durch kulturelle Bezüge - aber auch als Teil der Schicksalsgeeinschaft 'Volk', die ich hier nicht trennen will.

      Eine Akzeptanz der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft bestimmt auch ein positives Selbstbild. Nationalstolz ist für mich nicht an persönliche Leistung gebunden und grenzt keineswegs Menschen anderer Nationen aus, denen ich ebenso ihren Nationalstolz zubillige und sogar empfehle.

      Die Beziehung zwischen Volk und Kultur bleibt wichtig, ist aber lose gekoppelt. Denn beides ist einem - langsamen - Veränderungsprozess unterworfen und hängt an Werteprioritäten, die sich schwerlich in einem fest definierten Kanon fixieren lässt. Als Menschen wollen wir gestalten und streben nach Erhalt und Verbesserung - oder sollten es zumindest. Dies impliziert eine dynamische Substanz, die überhaupt veränderbar ist. Weder ein statisches Festschreiben, noch eine amorphes Unwesen kann den Kulturbegriff wirklich fassen.

      Der Beitrag von Prof. Dr. Dieter Borchmeyer ist hervorragend. Vielen Dank für diese Empfehlung!

      Löschen
    2. Ich kämpfe an keiner Front, ich betrachte nur. Den Begriff »völkisch« habe ich sehr bewusst gewählt, auch in der Gewissheit damit zu provozieren. Jemand der sich im Kampf befindet, wird so was nicht tun, da er weiß, dass er damit Angriffsfläche bietet. Damit beginnt aber die Selbstbeschränkung im Denken, und davor habe ich viel mehr Angst, als vor irgendwelchen Gegnern.

      Die Provokation ist eigentlich nur die Ermahnung, Worte oder Begriffe immer im Kontext zu lesen. Deshalb gibt es für mich keine »verbrannten« Worte. Ich lasse mir die Deutungen Anderer nicht vorschreiben, ich deute selbst. Ich will auf die Sachen selbst zurückgehen, wie das Husserl mal formulierte. Und ich habe leider kein anderes Wort gefunden als völkisch, mit dem ich das ausdrücken könnte, was ich ausdrücken möchte. Wer da empfindlich reagiert, darf ja gerne ein anderes Wort benutzen. Vorschläge sind willkommen.

      Natürlich ist der Begriff Volk in unserer Verfassung ein zentraler Begriff. Aber die ist erst vor ein paar Jahrzehnten entstanden, das Volk gibts viel länger. Ist es möglich das Selbstbild in der Verfassung zu sehen? Ich halte dies für möglich, doch ist es eine arg eingeschränkte Sicht.

      Löschen
  5. Was mir auffällt und was mich stört - es ist heute immer von Erzählungen bzw. Narrativen die Rede. Einen gelernten Wirtschaftswissenschaftler irritiert das. Der Begriff steht für die Abkehr vom rationalen Diskurs, von Politik als Prozess, vorbereitet durch das theoriegestützte Analysieren von Fakten, umgesetzt durch Mittel, die in logischer Verbindung zum gesetzten, logisch konsistenten, widerspruchsfreien Ziel oder Zielen stehen, korrigiert, wenn die Wahl der Mittel sich als falsch oder unzureichend erwiesen hat. Das Narrativ, die Erzählung, erinnert mch nicht ohne Grund an Lagerfeuer, an denen raunend große Geschichten von einer leuchtenden Zukunft erzählt werden, Eingeweihte nehmen die anderen an die Hand, die Fahnen flattern, die Lieder schallen, die Massen marschieren... Hatten wir das nicht schon mal ?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, mit Narrativen wird mitunter Schindluder getrieben, oft sind sie konstruiert und haben mit den wirklichen Prozessen nichts zu tun. Allerdings können wissenschaftliche Erklärungen uns selten unsere Gefühle erklären, gerade dafür sind die Narrative wichtig. Dass Narrative wirkmächtig sind, steht für mich außer Frage, es wird ja gerade dann offensichtlich, wenn sie missbräuchlich verwendet werden und eben Wirkung erzielen.

      Löschen
    2. Friedrich Kirchner1. Dezember 2017 um 16:28

      Ich meine, es braucht sie nicht. Wir haben eine Verfassung, eine Wirtschaftsordnung, über die zugrundeliegenden Wirkungszusammenhänge und Annahmen über den Menschen kann man sich bei Adam Smith, Immanuel Kant und Karl Popper informieren. Ansonsten hat jeder seine eigene Erzählung.Und die ist meistens groß genug.

      Löschen
  6. Der Begriff des Narrativs ist kein zwingend rationaler Diskursbeitrag, sondern ergibt sich zum Teil als Verbalisierung einer Befindlichkeit. Ob das Narrativ die Befindlichkeit erzeugte, beeinflusste oder nur abbildet, bleibt darin offen. Es wäre allerdings schwach, in der Analyse darauf zu verzichten. Denn Menschen sind selten bis nie rein rationale Wesen. Unterschwellige und implizite Narrative wirken auch ... und wenn man sie nicht in den Diskurs aufnimmt um so schlimmer!
    Das Narrativ ist auch als Metapher oder als Mythos - je nach Kontext - zu verstehen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. „Das Narrativ ist auch als Metapher oder als Mythos - je nach Kontext - zu verstehen.“

      Sicher. Mythos, Transzendenz, Metaphysik - alles das lässt sich ins Narrativ einarbeiten. Das muss kein Nachteil sein, wenngleich rein naturwissenschaftlich orientierte Menschen damit möglicherweise ihre Probleme haben und meinen, sie wären frei von derartigen Empfindungen oder Überzeugungen.

      Löschen