10. Februar 2015

Wer flüstert in der Öffentlichkeit?

„Warum flüstert ihr DDRler immer so“, dies fragte eine Verwandte die mich 1983 im Notaufnahmelager in Gießen besuchte. Wir befanden uns im Speisesaal, nicht zur Essenszeit, doch einige Tische in der näheren Umgebung waren besetzt, und überall befanden sich Flüchtlinge oder Ausgereiste aus der DDR. Insgesamt war das Lager aber nur zu einem Bruchteil belegt, die großen Ausreisewellen sollten noch folgen.

Mir war nicht bewusst, dass ich flüsterte. Doch schnell wurde klar, sie hatte Recht, ich tat es. Aber warum? Es war mir in Fleisch und Blut übergegangen dann wenn unbekannte Personen in der Nähe waren, nur so laut zu reden, dass diese nicht mitbekamen was gesprochen wurde. Eine Überlebensstrategie in DDR, nicht nur als Oppositioneller, sondern generell. Den viel beschworenen Zusammenhalt in der Gesellschaft, mit gegenseitiger Hilfe, gab es in Wirklichkeit nicht, sondern die Gesellschaft war von Misstrauen geprägt. Nur im privaten Bereich, oder in den entstandenen Netzwerken oder in der Nachbarschaft, hier wurde geholfen, getauscht und Tipps gegeben. Das organisierte sich selbst und heute möchte man da an geschlossene Gruppen in Facebook oder dergleichen denken. Voraussetzung immer: man kannte und vertraute sich.

Wer heute im Restaurant, oder einem vergleichbaren Ort an dem sich fremde Leute begegnen, flüstert, der möchte nicht dass etwas sehr privates bekannt wird. Eine Unpässlichkeit vielleicht oder eine Nachricht über jemanden anderen, die auch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Jeder kennt solche Momente, sie haben fast immer mit der Privatsphäre einer Person zu tun. In der DDR war das anders, hier wurde auch und vor allem geflüstert, wenn man meinte, es könnten Rückschlüsse auf persönliche Meinungen oder politische Überzeugungen gezogen werden. Dieses konnte nur im Kreise derer besprochen werden denen man vertraute. Diskussionen und Auseinandersetzungen fanden in der Öffentlichkeit nicht statt, weil sie eine Gefahr für das System sein konnten, und mit entsprechenden Mitteln unterdrückt wurden. So zog sich also die politische Diskussion, vor allem dann wenn sie systemkritisch war, ins Private zurück, in dessen geschützte Umgebung.

Genau dahin, ins Private, sollen nun wieder Themen, die Diskussionen darüber, verbannt werden. Und zwar ganz konkret solche die durch AfD und diverse Montagsmaschierer, nun nicht mehr flüsternd, in die Öffentlichkeit getragen werden. Diese Themen sind rechts - jedenfalls in Augen derer die in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten das Meinungsklima prägten - und über rechts, so meint der Wachstumskritiker Harald Welzer in einer Phönix-Sendung, „bestand Konsens, dass das nicht diskutierbar ist.“ Diese Leute haben in der Öffentlichkeit nichts verloren, die sollen sich sich auf ihr Sofa zurückziehen, und dort ihre Vorbehalte pflegen. Wir leben eben „einer Demokratie immer mit öffentlicher und nichtöffentlicher Meinung“. Und weiter: „Wir haben Räume in der Gesellschaft für nichtöffentliche Meinung, wo die auch hin gehören, die können sich gegenseitig da unterhalten, über ihre Islamophobie und dergleichen“.

Welzer spricht nur aus, was gängige Praxis in der bundesdeutschen Wirklichkeit war. Alles was nicht einem öffentlichen 'Konsens' entspricht, wird in die Schmuddelecke gestellt, damit derjenige der dem Konsens widersprechen möchte, dies es sich nicht getraut um nicht peinlich zu wirken. Die Meinung wird nichtöffentlich, was nichts anderes als den Rückzug ins Private bedeutet. Damit ist sie allerdings nicht aus der Welt, sie wird nur noch geflüstert, sollte sich ein Unbekannter in der Nähe befinden.

Die Montagsmaschierer sind nun sowas wie ein Coming Out: Ja, wir sind so und stehen dazu. Es ist uns nicht peinlich mit unserer Meinung an die Öffentlichkeit zu gehen. Nun wird von der Konsens-Öffentlichkeit die große Nazi-Keule geschwungen, um die Leute wieder ins Private, aufs Sofa, zurückzudrängen. Ob es klappt? Wahrscheinlich nicht.

Die DDRler haben bei den Montagsdemos 89 erlebt, welche befreiende Wirkung es hat, nicht mehr flüstern zu müssen. Ich erinnere mich gut, wie peinlich es mir war, als mich meine Patentante in Gießen darauf ansprach. Die Erinnerung daran, jahrzehntelang dazu gezwungen worden zu sein, die eigene Meinung nur im geschützten privaten Bereich laut sagen zu können, lebt als kollektives Gedächtnis fort. Auch bei denen die das nicht mehr erlebt haben. Die Montagsdemos damals waren auch Demos gegen das Flüstern, heute sind sie es ebenfalls. Mit anderen Leuten, mit anderen Themen. Vielleicht wegen dem befreienden Erlebnis 89, als mit dem Schrei 'Wir sind das Volk' das Flüsterdiktat überwunden wurde, kennen die Ossis heute besser als die Wessis welche Themen wirklich in den privaten Raum gehören und welche nicht. Was in der Öffentlichkeit diskutiert wird, bestimmen nicht Leute wie Harald Welzer, sondern solche die es nicht mehr auf dem Sofa aushalten, die es satt haben eigene Meinungen nur flüstern zu dürfen. Sie wollen sich dafür nicht mehr schämen.



Dossier: Heimat



6 Kommentare :

  1. Abgesehen davon, dass ich Ihnen zustimme, sind diese Bürger, welche sich für ihre Meinung nicht schämen wollen, keine, die nicht selbst andere in Schmuddelecken stecken.
    Und Schmuddelecke ist noch stark untertrieben.
    Wer die gesamte deutsche Presselandschaft (außer den Verschwörungstheoretikern von Compact und Klopp-Verlag) in Schlachtrufen als Lügenpresse bezeichnet, die Parlamentarier als Volksverräter und den Staat als Lügenstaat, hat das Flüstern schon vor längerer Zeit hinter sich gelassen. Da wagen sich nicht vom ökosozialen Mainstream verunsicherte Untertanen ängstlich an die Öffentlichkeit. Da laufen die ganz normalen Bürger die einst in Rostock Lichtenhagen gaffend das "Abfackeln" eines Asylbewerberheim beklatschten.
    Oder die bei einem Massenunfall auf der Autobahn um die Verletzten herumfahren und sich in der Bahn wegsetzen, wenn neben ihnen ein Schwarzer Platz nimmt. Ja, sollen sie sich artikulieren, nur hinhören könnte man schon mal. Auch den Rednern, denen sie zujubeln.
    Ich begrüße diese Meinungsäußerungen ausdrücklich, spiegeln sie doch mit den parallelen Hilferufen an Putin und ihrem Antiamerikanismus und Antiliberalismus nicht nur wieder was auch ihre politischen Gegner fordern. Sie geben das traurige Bild ab, wie sich Feinde der Meinungsfreiheit untereinander die Meinung verbieten.
    Und dass es nicht nur Bürgerbewegungen gibt, die sich aus Volksdemokratien heraus, sondern auch solche, die sich in sie hinein bewegen.
    Und Bürgerbewegte.
    Als jemand der wie ich in den Westen gegangen ist, hatten Sie, lieber Glitzerwasser, sicher individuelle Gründe - bei mir waren es jedenfalls auch die Ossis (und nicht nur das SED-Regime) die mich raustrieben.
    Die, die nie im Westen ankommen werden, weil sie dort nicht hinwollen.

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  2. Lieber Erling Plaethe, Überzeichnungen sind nach einem Coming Out normal. Aber ich halte es für problematisch, die 'Lügenpress-Rufe' mit mangelnder Hilfsbereitschaft an Autobahnen oder Sympathisanten bei brennenden Asylbewerberheimen in Verbindung zu bringen. Das ist genau das Bashing gegen das sich die Menschen wehren.

    In dem Moment in dem die Überzeichnungen diskutiert werden, gehen sie auch wieder zurück. Das Problem ist ja gerade, wenn politische Themen nur im privaten Bereich diskutiert werden, kann auch nicht auf diese eingegangen werden, sie verfestigen sich sozusagen ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon mitbekommt.

    Solche Leute wie Welzer wollen nicht diskutieren, und diese Haltung halte ich für wesentlich gefährlicher als sämtliche Pegida oder vergleichbare Märsche.

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  3. (11.02.2015) Ich habe mir nach lesen des Artikels diese Sendung bei Phönix angetan.
    Drei mit gleicher Meinung, nur Patzelt durfte den Hofnarren spielen.
    Selbst da war er den anderen Akteuren haushoch überlegen.
    Schlimm ist Welzer. Böse ist nicht etwa rechtsextrem, nein böse ist alles was rechts ist. Ok, auch Linksextremismus. Ein bisschen.

    [Kommentar zu diesem auch bei der Achse des Guten erschienen Artikel]

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  4. (11.02.2015) Sehr richtig, was Sie da schreiben.

    Auch mir ist es schon, mehr als einmal, aufgefallen, dass Gespräche, die sich zuerst um unverfängliche Themen wie Fußball, oder das Wetter, drehten, sofort in einen Flüsterton umschlugen, sobald man anfing, sich z.B. über Pegida zu unterhalten.

    Dieses Phänomen kennt wohl jeder, der gerne mal politisch unkorrekte Themen anspricht, was das über den “freiesten Staat, der jemals in Deutschland existierte”, aussagt, überlasse ich dem Betrachter…..

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  5. (12.02.2015) Oder wie Nur vor mehr als einem Jahr sagte:

    (sinngemäß) Das erste Mal seit 1945, dass man sich nicht mehr traut den Mund aufzumachen.

    [Kommentar zu diesem auch bei der Achse des Guten erschienen Artikel]

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  6. Dr. Gerd Brosowski15. Februar 2015 um 19:55

    (12.02.2015) Das Standardwerk über den Terror zur Stalinzeit des englischen Historikers Orlando Figes hat den Titel “Die Flüsterer. Leben in Stalins Russland”. Ich zitiere aus der Einleitung dieses sehr empfehlenswerten Buches: “....erinnert die Tochter eines Parteifunktionärs mittleren Ranges, die in den dreißiger Jahren aufwuchs: ” Wenn wir zufällig etwas hörten, was die Erwachsenen einander zuflüsterten…, so wussten wir, dass wir es gegenüber niemandem wiederholen durften. ....Manchmal ermahnten sie uns :“Die Wände habe Ohren” oder : “Hüte Deine Zunge”, und dann wussten wir, dass eine Bemerkung nicht für unsere Ohren bestimmt war.” “

    Wenn das Flüstern beginnt, hört die Freiheit auf. Es ist gut, wenn jemand, der in einer Diktatur gelebt hat, wieder daran erinnert. Danke für den Beitrag!

    [Kommentar zu diesem auch bei der Achse des Guten erschienen Artikel]

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