23. Februar 2017

Was ist Deutsch im Elfenbeinturm?

Manchmal sind die Fragen in einem Interview interessanter als die Antworten. In einem L.I.S.A Gespräch mit Peter Trawny über deutsche Identität(en) geschah dies. Georgios Chatzoudis fragte zu Beginn ob er dessen neues Buch richtig verstanden hätte.

CHATZOUDIS: Ich habe es so gesehen, es setzt eigentlich nach 1945 an. Auschwitz, NS, Bankrotterklärung Deutschlands, es ist fast unmöglich sich mit einer deutschen Identität, oder sich selbst eine deutsche Identität noch zu geben. Und dann kommt Adorno und schafft ein neues Identitätsangebot über die Frankfurter Schule. Die kritische Theorie, eigentlich eine Identität die, in seinen Augen, auf Ewigkeit mit Auschwitz verbunden ist, und er legt ein Konzept vor, das er Nichtidentität nennt. Das können wir gleich besprechen. Adorno ist gestorben 69 und dann kommen seine Nachfolger, und was Sie dann kritisieren ist, dass es eigentlich keine richtigen Nachfolger mehr gibt. Vielleicht einen noch: Habermas. Habermas mit seinem Konzept des Verfassungspatriotismus, der praktisch sagt, eine politische Identität, eine liberaldemokratische Identität, aber ohne jeden nationalen, man muss wahrscheinlich sagen, in deutschen Zusammenhang, ohne ethnischen Überbau. Während sich alle anderen Nachfolger Adornos aus der Frankfurter Schule verabschieden von der Öffentlichkeit. Die kritische Theorie verliert, und nur noch eine Theorie bleibt, die im Elfenbeinturm statt findet. Und das schafft eine Lücke, die von Leuten wie Sarrazin beispielsweise gefüllt wird, wir haben das alle erlebt, in der 21. Auflage »Deutschland schafft sich ab«. Und hier setzen Sie an und sagen: Stopp, wir Intellektuellen, wir Professoren müssen wieder das Feld der Öffentlichkeit besetzen. Richtig verstanden?

TRAWNY: Ja, tatsächlich sehr gut zusammen gefasst. ...

Ich weiß gar nicht über was ich am meisten lachen soll. Über die Illusion des Verfassungpatriotismus, oder auch über die Frankfurter, die Deutschsein auf ewig mit Auschwitz verbinden wollten? Doch geschenkt, darüber zu lächeln ist mir genug. Nein, richtig lustig ist dieses »beleidigt sein« der Professoren, so selbsternannte Intellektuelle, die die Kränkung nicht überwinden können, dass der Sarrazin ganz ordentlich Bücher verkauft. 22. Auflage, nicht 21, für »Deutschland schafft sich ab« - ein Skandal. Aber nur für die im Elfenbeinturm.

3 Kommentare :

  1. Ich habe es nicht gelesen, Henryk M. Broder 'Vergesst Auschwitz!' - Broder meinte damit keineswegs Geschichtsrevisionismus, sondern eine pseudohistorische kultische Überhöhung einer entleerten Political Correctness. Dennoch berührt es peinlich, wenn Björn Höcke eine 180 Grad-Wende in der Erinnerungskultur fordert. Es erinnert eher an die Aufgabe des Odysseus, zwischen Scilla (dem Aufsaugen der eigenen Identität) und Charybdis (einem wahrheitswidrigen Revisionismus) navigieren muss. Da darf man sich nicht auf falsche Lotsen verlassen.

    Im übrigen passt zum Thema der Aufsatz von Bassam Tibi der heut Morgen noch auf der Achse des Guten war, nun aber verschwunden ist.

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    1. Ist es der Artikel von Tibi?
      http://www.achgut.com/artikel/paarlauf_von_links_und_rechts_die_feinde_europas

      Fordert denn Höcke eine 180 Grad-Wende? Ich denke Erinnerung ist immer vielschichtig und braucht verschiedenste Perspektiven.

      Die angesprochene »Nichtidentität« finde ich interessant, weil sie praktisch eine Identität über Ideologie, oder von mir aus über Wissenschaft, definiert. Dies kann aber immer nur eine Facette sein, ein Tunnelblick auf die Identität.

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  2. Potzblitz! Der Artikel von Bassam Tibi ist zum Glück noch da, auch wenn mein lobender Kommentar wohl nicht veröffentlicht wurde. Aber wenn ich den über die Starseite und Such - und Menüfunktionen finden will, wurde ich nicht fündig.

    In der Tat fragt es nach der Identität, Werten und Leitkultur. Genau das, was CHATZOUDIS offenbar in seine Frage packte.

    Im Übrigen habe ich die gesamte Höcke-Rede gelesen. Ich würde sie differenziert beurteilen, aber er sprach tatsächlich von einer 180-Grad Wende - was mich entsetzte. Wie sollte man das verstehene, da er inbesondere nicht erläuterte, wie das konkret aussehen sollte.

    Ich verstehe Geschichte hier weder so, dass sie adequat durch eine Fixierung auf diese Schande rezipiert werden sollte, noch als dessen nagation im 180 Grad-Winkel, sondern dialektische als Akzeptanz von Licht und Schatten. Heroisierender Nationalstolz, der vor Geschichtsrevisionismus nicht zurückschreckt, verbleibt in einer Fixierung auf dieses Ereignis.

    Eine reife Geschichtsbewältigung will aus der Geschichte lernen, ohne sich darauf zu verengen. Eine Identität kann aber nicht ohne Selbsthass negiert werden, die sich dem großartigen kulturellen Erbe ignorant zeigt. Erst in dem Sich-stellen der Geschichte - auch der Verpflichtung aus den kulturellen Errungenschaften - kann sich die Identität entwickeln, die ich für mich in Anspruch nehme. Identität ohne Geschichte halte ich für eine Illusion.

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