„Mach kaputt, was dich kaputt macht“, so war einst aus Spontikreisen zu vernehmen, „kreative Zerstörung“ wird es heute eher genannt. Damit verwandt ist dieses neue Modewort „Disruptiv“. Kontinuierliche evolutionäre Entwicklung war der Weg in eine Sackgasse, aus der es nun nicht mehr weitergeht. Manche, wie die Katastrophisten, sind gar der Meinung, entscheidende Entwicklungsschritte werden erst durch Katastrophen ausgelöst. Aus dem was war, hätte nie das entstehen können, was es heute ist.
Die Zerstörungswut gegenüber dem Bestehenden, ohne eine schlüssige Antwort auf die Frage zu haben: „Wie geht es weiter?“ ist nicht ein Mangel an politischen Ideen, sondern den Wunsch nach Auflösung von Abhängigkeiten geschuldet. Das Neue, wie es die Zerstörer haben wollen, kann nicht aus dem Alten entstehen, dies muss erst weg. Es spielt dann auch keine Rolle mehr, ob das Alte sich im Laufe der Zeit bewährt hatte, ob es als Lösung für Probleme oder Aufgaben taugt – es muss weg!
Warum aber ist die Zerstörung des Bestehenden so wichtig? Auch ist diese heute allerorten zu beobachtende politische Zerstörungsabsicht nicht mit einer emotionalen Entladung zu vergleichen, wie sie beispielsweise bei Aufständen, Revolutionen oder Demos vorkommt, wo Autos und Häuser angezündet werden, oder Scheiben zu Bruch gehen, sondern mit dem geplanten Abbruch eines Hauses. Der Akt der Zerstörung geschieht nicht in einem emotionalen Ausnahmezustand, sondern ist kühl kalkuliert, „Das Neue kann nicht aus dem Alten erwachsen“.
Ulrike Guérot, Politikwissenschaftlerin und gern gesehener Gast im Talkshowzirkus der Medien, meinte denn auch in einer SWR-Sendung, in der es hauptsächlich um die EU ging: „Die EU kann strukturell die Krise nicht lösen, weil sie strukturell entscheidungsunfähig ist (ab 16:40 min)“ und weiter: „Es geht mir um den Hegelianischen Punkt, dass das Neue nicht aus dem Alten werden kann (ab 27:35 min) … Mit Hegel würde ich sagen: es muss erst etwas sterben, damit das Neue wachsen kann (ab 30:00 min).“
Freilich ist es nun hier eigentlich notwendig nachzufragen, von welchem „Neuen“ sie spricht, was nicht werden kann, ohne dass das „Alte“ zerstört wird? Doch das soll nicht Gegenstand dieses Textes sein, der dann in der Tagesaktualität aufgehen und den Blick auf die prinzipiellen Vorgänge verlieren würde. Soviel nur, Guérot schwebt eine EU-Republik vor und damit diese entstehen kann, muss eben die EU, wie sie jetzt ist, vergehen, die Nationalstaaten natürlich auch.
Geradezu etwas verschämt erwähnt sie, fast so nebenbei, Gramsci und seine Theorie zum Interregnum, ging dann aber darauf nicht mehr weiter ein. Genau dieser Punkt ist es, der einer besonderen Betrachtung würdig ist. Denn, so Gramscis Theorie, im Zustand des Interregnums – in dem das Alte vergeht, das Neue aber noch nicht herausgebildet ist – werden Kräfte frei, die schwer zu kontrollieren sind, weshalb die Linke unbedingt die Deutungshoheit über eben die Krise besitzen muss.
Hier kommt dann Gramscis Hegemoniebegriff zur Anwendung, in der die Medien einen herausragende Stelle einnehmen. Oder wie Pankraz einmal schrieb: „Antonio Gramsci (1891–1937), der Großideologe der italienischen KP, …, erfand die Theorie von der ‚kulturellen Hegemonie‘ – und erwies sich damit als ein fast genialer Vorwegnehmer unseres heutigen medialen Zeitalters. Entscheidend für den Sieg im Klassenkampf, so lehrte er, sei die Besetzung der „Schaltstellen“ in den großen Zeitungen und Radiosendern mit eigenen Leuten. Darauf müsse sich alle ‚fortschrittliche‘ Politik konzentrieren.“
Die Krise ist für die im evolutionären Sinne denkenden immer auch die Chance aus einer verfahrenen Situation herauszukommen, das Wörtchen „Disruptiv“ vereint sie dann mit den Katastrophisten, welche eben meinen, für entscheidende Weiterentwicklungen sind Krisen notwendig. Sie sind so etwas wie eine Unterbrechung im Spiel, die Karten werden neu gemischt.
Linksideologisch und in Gramscis Sinne geschulte allerdings – Ingo Lauggas spricht davon, dass man als linker Intellektueller an Gramsci nicht vorbeikommt – geht es darum, in der Krise die Deutungshoheit zu haben. Aufs Kartenspiel übertragen heißt das: Falsch spielen, mit gezinkten Karten. Wer die Hoheit, über die zu vergebenden Karten besitzt, gewinnt das Spiel.
Aber egal was auch immer diese Gesellschaftstransformierer vorhaben, immer geht die Zerstörung des Bestehenden voraus. Eine Öko- oder Nachhaltigkeitsgesellschaft kommt nicht von allein und ist auch nicht durch Argumente und politischen Wettstreit mittels Argumenten herbeizuführen. Zuerst braucht es die Krise, das Interregnum, in der dann mittels errungener Hegemonie in den Medien, der Politik, den Verwaltungen, die entscheidenden Weichen gestellt werden können. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, die eine Transformation möglich machen, was eben nicht geht, wenn das Alte noch lebt, noch gelebt wird.
Wer sich wundert, woher diese Zerstörungssucht am Bestehenden kommt, egal ob es sich um Nation, EU, Energieversorgung, ja selbst solche Dinge wie Familie oder Identität handelt, der muss sich mit den Linksintelektuellen beschäftigen. Sie beschreiben ja was sie tun und warum. Auch Ulrike Guérot verriet sich in einem Nebensatz. Nur den alten Spontispruch: „Mach kaputt, was dich kaputt macht!“ sagt heute keiner mehr, er müsste heute so lauten: „Wir machen kaputt, was dich im alten Leben hält! Denn dies muss vergehen, damit du zum neuen Menschen werden kannst!“ Nur darum geht es ihnen: die Schaffung des neuen Menschen!
Edgar L. Gärtner sagte es kürzer: "Wer den neuen Menschen will, muss die alten beseitigen."
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