17. November 2018

Schnipsel 2018, Siebente Sammlung

Das Verhältnis zur eigenen Heimat mag zwiespältig sein, ich mag mich da nicht wohlfühlen, nicht zu Hause, dennoch erklärt sie mir viel. Wie ich bin, wie ich geworden bin.


Wenn Wahlen bedeutungslos werden, weil doch, selbst bei Abwahl der Regierung, die alte Politik in Verwaltungen und Institutionen weiter geführt wird, dann ist der demokratische Konsens, der die Gewaltfreiheit garantiert, aufgekündigt.


Abtreibung, Sterbehilfe, Todesstrafe: Sämtliche Vorgänge, die mit der Tötung von Menschen zu tun haben, verursachen in mir einen heftigen inneren Konflikt. Einen zwischen Logik und Gefühl, ich weiß nicht, welchen Teil in mir ich vertrauen soll.


Sie ist sauer auf mich, weil sie davon träumte, wie sie mich mit einer anderen Frau in flagranti erwischte. OK, jetzt bin ich also auch verantwortlich für ihre Träume – ich liebe die Frauen, meine ganz besonders, sie sind so herrlich irrational.


RotRotGrün kommt in Bayern auf rund 30 Prozent. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, das interessiert die Medien einen Scheiß, die klammern sich mit ihren Darstellungen an die Subkultur in den Großstädten.


Will man wirklich wissen, wie Parteien ticken, ist die Unterscheidung zwischen ihrer jeweiligen inneren »DNA« wichtig und dem »Zeitgeistigen«. Letzteres ist nur sowas wie eine Mode, etwas was getragen wird, um nicht negativ aufzufallen.


Immer wenn in Deutschland groß gedacht wird, nach dem Großen, dem Erhabenen, dem Ewig gültigen gestrebt wird, ist es sein Niedergang. Das Kleinteilige, die Details, die Gartenzwerge und die Kleingärtner, ja das Kleinbürgertum auch, ist sein Wesen.


Der Begriff Nachhaltigkeit ist kein Prinzip der Natur, die nebulöse, teils religiöse oder spirituelle Bedeutung die dieser Begriff bekommen hat, insbesondere in Verbindung mit Zukunftsvisionen, könnte nicht falscher sein. Nachhaltigkeit dient lediglich der Regulierung von Prozessen.


Wir analysieren, wieder und wieder und wieder. Die Wahlergebnisse, die Fußballergebnisse, die Aktienkurse, die Umfragen, das Wetter, den Pickel am Arsch. Apropos, wir anal… Ach Scheiß darauf. Wichtigtuerei allenthalben, nur um offensichtliches zu relativieren.


Das Nachkriegsdeutschland wird so langsam Geschichte und mit ihm die Parteien die diese Zeit dominierten.


Die Grünen kehren zu ihren Wurzeln zurück und tragen zwei Selbstbildnisse vor sich her. Die des lokal verbundenen konservativen Naturschützers, sowie auf der Rückseite, das des universalen Weltretters linker Prägung. Ihr derzeitiger Erfolg beruht darauf, dass beide Bilder eine vorläufige friedliche Koexistenz vereinbart haben, und die hält so lange, wie der Erfolg beim Wähler hält.


Konservative wie Sozialdemokraten haben verschämt ausgeblendet, worin ihre Wurzeln Nahrung finden: im Volk, im eigenen Volk, dem deutschen Volk. Sie suchten andere Böden, in Ideologien, und dabei verkümmerten ihre Wurzeln. Erst jetzt bemerken sie es und wollen es doch nicht wahrhaben.


Die Narrative der Nachhaltigkeit sind überwiegend einer Neu-Romantik entsprungen und deshalb gerade in Deutschland, dem Land mit einem starken Hang zur Romantik, besonders erfolgreich.


Wenn Vorsoge bedeutet, dass ich beim Fahrradfahren ein Helm aufsetzen soll; statt zu rauchen, nur so komisch dampfen soll; oder ein Kondom beim, na ja, ihr wisst schon … Nein, die Vorsorge kann mir da überall, und noch bei mehr, gestohlen bleiben. Ich will leben, nicht sorgen.


Frauenbeine müssen eine irgendwie ganz sonderbare Anatomie haben. Die ganze Nacht durchtanzen – kein Problem. 500 Meter laufen, um an der Post was abzugeben – unmöglich.


Eine politische Partei muss sowas wie einen unverwechselbaren Charakter haben, der erkennen lässt, welche Entscheidungen oder Forderungen aus ihm kommen. Ist das nicht erkennbar, wie bei CDU und SPD, ist der Charakter der Beliebigkeit gewichen.


Geizkragen sind unangenehme Zeitgenossen, aber angenehme Vorfahren.


Ich kann mit dem Begriff »Überbau« nicht viel anfangen. Er erklärt mir nur zu oberflächlich das Verhalten und Intuition der Akteure. Das gilt generell.


›Denken ohne Fühlen‹, das Schaffen vielleicht ein paar taffe Naturwissenschaftler, aber selbst da nicht alle. Ansonst ist Denken und Fühlen so eng verbunden, dass es wirklich intensive Reflexion benötigt, um auseinander halten zu können, was zu was gehört.


Ich konnte sie nicht ernst nehmen, meine oppositionellen Freunde in der DDR, weil sie mit feuchten Augen und feuchten Schritt Hermann Hesse lasen. Alle diese Romantiker fand ich später bei den Grünen im Westen wieder. Auch die schliefen mit ihrem ›Siddhartha‹. Wenn heute Kritik an den 68ern geübt wird, dann steht deren materielle und ideologische Gesellschaftskritik oft im Vordergrund. Ich finde aber, dass die religiöse Komponente, wie sie sich eben in der Verehrung des ›Siddhartha‹ zeigt, mindestens genauso wichtig ist.


Wenn ich mich im Ausland aufhalte, will ich dort sein, wo Menschen leben, die ihre Heimat lieben.


Einander an den Händen haltend folgten die CDUler Merkel, waren überzeugt, dass sie wüsste, was der richtige Weg ist. Nun müssen sie loslassen und sich orientieren. Viele werden sich die Augen reiben und nicht wahrhaben wollen, dass sie in die geistige Einöde geführt worden.


Die Nirwana-Sehnsucht durchdringt die links/grüne Gegenwart. Früher wurde in Kämpfen und Klassen gedacht und gefühlt. Heute in der spirituellen Auflösung all dessen, verbunden mit dem Eingang ins universale ganze.


Die Grünen ›liberal-konservativ‹? Die sind alles mögliche, manche auch konservativ, aber liberal sicher nicht. Jedenfalls nicht, wenn man liberal als Geisteshaltung begreift und nicht nur auf wirtschaftliche Aspekte reduziert.


Je länger ich mir den fad und schleimig gewordenen Parteiengulasch in Deutschland anschaue, die Mitläufer in den Verwaltungen ebenso, um so mehr finde ich den libertären Anarchismus sympathisch.


Falsche Propheten und falsche Visionen lassen sich recht einfach erkennen: Sie fordern Verzicht in der Gegenwart und versprechen dafür eine glückliche Zukunft.


Den verlorenen Charakter der CDU wird Merz nicht finden, vielleicht schafft er es, diese Partei zum Instrument seines Willens zu machen. Das dürfte nicht so schwer sein, die CDUler haben gelernt wie brave Schafe irgendwelchen Versprechen zu folgen.


Das weitere Vordringen von islamischer Symbolik im öffentlichen Raum kann nicht per rationaler Argumentation verhindert werden, weil diese zumeist nicht die Gefühlswelt der Muslime erreicht und daher sie eher zu Handlungen und Denkschablonen zur Verteidigung ihrer Gefühle zwingt. Also genau zum Gegenteil dessen, was eigentlich beabsichtigt ist.


Ich wünschte, ich hätte ein Pferd, dass ich nun satteln würde, um in den Sonnenuntergang zu reiten. Die Sehnsucht nach der Ferne nimmt wieder Besitz von mir, das hier und jetzt wird immer unerträglicher.


Im Laufe der Zeiten, im Laufe der Orte, die ich durchschritt, wechselten nicht nur diese, sondern auch die Freundschaftskreise. Was ich jeweils mitnahm aus diesen Kreisen, was ich lernte, das weiß ich ungefähr. Was dortblieb von mir, in der Zeit, an den Orten, bei den Freunden, weiß ich nicht mehr.


Sie weinte, das Mädchen, eine Klassenkameradin meiner Tochter. Ein Junge hatte ihre offenen Haare gesehen und sie fühlte sich elend und beschmutzt. Dieses Weinen, diese ihre Traurigkeit, ihre offensichtlich empfundene Scham, ist nicht nur Produkt der Lehre eines Imam oder der Religion, es hat seinen Ursprung in den Werten ihrer Familie, diese machte sie zu dem, was sie ist, wie sie empfindet – und vermittelt ihr ebenso, welchen Sinn ihr Dasein hat.

Höre ich heute Erzählungen über die Befreiung der Frauen aus der Knechtschaft der Religion, dann sind es meist solche, die mit dem Pathos der Aufklärung einhergehen. Vielleicht lassen sich einige wenige damit erreichen und ein Stachel des Zweifels beginnt in ihnen zu schwären. Doch die Tränen des Mädchens erzählen mir eine andere Geschichte. Der Stachel erreicht sie nicht, sie wehrt ihn ab, er schwimmt in ihren Tränen davon.

Ich empfinde Mitleid mit ihr, möchte ihr helfen und kann es doch nicht. Alles was ich ihr sagen könnte, würde ihr nicht die Familie ersetzen.

Ich schäme mich nicht meiner Empathie für dieses und anderer muslimischer Mädchen, sie einfach da, obwohl ich ein entschiedener Gegner ihrer Religion bin.


Ich bin das erste Mal mit 19 Vater geworden, das letzte Mal mit 50. Also kenne ich die Vorteile und Nachteile sowohl des jungen als des älteren Vaterseins. Für mich ist das ältere Vatersein schöner, allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es auch für das Kind besser ist. Da habe ich ernsthafte Zweifel. Junge Väter machen sicher mehr falsch, wenn man denn Erziehungsrichtlinien glaubt. Aber Energie und Zuversicht, ganz einfach Lebensfreude, können jüngere Väter sicher besser vermitteln.


Manchmal denke ich, ganz wie die Katastrophisten, dass uns nur eine große Krise aus den geistigen Verirrungen der Gegenwart heraus helfen kann – wenn keine Mittel mehr für Schnapsideen zur Verfügung stehen und der simple Überlebenswille bestimmend wird.


Eine Wahl ist ihrem Wesen nach ein Bürgerkrieg, zivilisiert nur deswegen, weil auf das Mittel der Gewalt verzichtet wird, der Unterlegene sich fügt und der Überlegene auf Rache verzichtet. Wird bei Wahlen gefälscht oder betrogen, dann steht die Gewalt wieder im Raum.


Ein Generationenvertrag bedeutet auch, und kann nur funktionieren, wenn tragfähige Generationen geschaffen werden. Verweigert sich eine Generation dafür zu sorgen, dass eine nächste entsteht, hat sie den Vertrag gekündigt und keinen Anspruch auf Versorgung mehr.


Für mich war die ›Spiritualität‹, von der die Grünen erfasst sind, noch nie ein Rätsel. Vor allem deswegen, weil sie feuchte Augen und Glückseligkeit bekamen, wenn sie Hermann Hesse lasen.


Er wurde bestohlen, einen Moment zu lange vertraute er seiner Umgebung. Das wird ihm nicht mehr passieren, denn nun ist ja das Vertrauen auch weg.


Manche Fragen sind wie Schneebesen, der Gefragte schäumt auf, sobald er sie vernimmt.


Soll ich Karl Kraus verfluchen, nur weil es Canetti tat? Ich muss es nicht, habe nie die Fackel gelesen, nur die ›Letzten Tage der Menschheit‹.


Ich fände eine Männerquote für Lehrer an Grundschulen nicht schlecht. Männliches Denken und männliche Sichtweisen bekommen die Schüler ja nicht mehr vermittelt.


Am Klingelschild meiner Eltern steht der Vor- und Zuname meines Vaters, mit dem Anhängsel: »und Frau«. Ich habe sonst für Feministinnen nicht viel übrig, aber wenn sie meinem Vater wegen dieses Klingelschildes eins reinhauen würden, sie hätten mein Beifall.


Habe mich heute Morgen schon aufgeregt, las ich doch dieses Zitat von Ludwig Wittgenstein: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“

Aber vielleicht erklärt es mir auch, warum Logiker die Welt nie verstehen werden.


Das Latente, im verborgenen vorhandene, nur fühlbare lässt sich in Worte sehr selten fassen, und doch gehört es zu meiner Welt. Kunst beispielsweise wäre ohne des lediglich fühlbare gar nicht möglich.


Hass ist eine natürliche Ressource des Menschen, die beinahe beliebig aktiviert werden kann und immer mit dem Wunsch nach Selbstbehauptung zu tun hat. Hassen ist menschlich und nicht durch Liebe ersetzbar. Bestenfalls kann er kultiviert werden, im Pluralismus vielleicht. Doch das müssen andere beschreiben, Liberale können das eventuell. Ich weiß nur, dass Hass und Liebe keine Antagonisten sind, sie existieren nebeneinander, im gleichen Körper.


Ein kleines Stückchen eigenen Boden, auf dem er Radieschen oder Rosen pflanzen kann, ein kleines Häuschen dazu – das ist des Kleinbürgers Traum. Würde eine Politik für diese Menschen gemacht, wäre die Nation glücklicher.


Bin ich unterwegs, nimmt sie sich ein altes verschwitztes T-Shirt von mir aus der Wäsche, zum Kuscheln. Kann es nach bald 20 Jahren Ehe einen größeren Liebesbeweis geben?



Dossier: Aphorismen


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