Ich kann mich gar nicht erinnern, wann mir in der Öffentlichkeit das letzte Mal eine verschleierte Frau begegnet ist. Demzufolge ist mir auch diese Debatte darüber etwas fremd. Vielleicht ist das an anderen Orten Deutschlands ein wenig anders als bei mir in der Provinz, doch sicher nicht wesentlich. Anders sieht es aus mit den Kopftüchern, und zwar genau diejenigen die eindeutig ein öffentliches Bekenntnis darstellen, ein Dresscode der Abgrenzung gleichermaßen, die sind nämlich überall zunehmend.
Wohl die wenigsten der Kopftuchträgerinnen werden zu ihrem Bekenntnis gezwungen, zumindest nicht vordergründig. Ihre Körperhaltung, ihr offensichtlicher Stolz lassen diesen Schluss zu. Das Kopftuch ist das Symbol ihrer Heimat, weniger in geografischer Hinsicht, als mehr in familiären Sinne. Diese kann die ideologische oder die religiöse Familie sein, meist ist es allerdings die biologische. Dort, in den sozialen Beziehungen werden Riten, Zuordnungen und Ausgrenzungen eingeübt und gelebt, das Individuum erwächst aus der Familie. Dies ist eine generelle Aussage. Die biochemischen Prozesse die beim Erwachsenwerden des Individuums ablaufen, durch Hormone insbesondere, gerade die welche Glück und Wohlbefinden beeinflussen, wirken weit stärker als irgendwelche Ideologien oder Religionen, die sich, wenn sie gut konstruiert sind, diese Prozesse zunutze machen.
Über diese biologischen Vorgänge wissen wir heute doch einiges, nicht zuletzt durch die Erforschung der Wirkungsweise von Drogen. Am Ende läuft alles auf den Wunsch der Wiederholung von Glücksmomenten hinaus. Das ist im Sport so, bei familiären oder religiösen Riten, im Spiel, oder eben durch Drogen.
Viele der Kopftuchträgerinnen, die ich nun beobachte, meist wenn ich die Kinder von der Schule abhole – beim Warten im Auto ergibt sich eine schöne Gelegenheit dies zu tun – wirken stolz, keineswegs schauen sie bedrückt drein, oder wie unter einem Diktat leidend. Manchmal bekomme ich noch zusätzliche Information zu diesen Mädchen, von meinen Töchtern, doch auch von ihnen hörte ich nie, dass sich die Kopftuchträgerinnen über ihr Los des Lebens, welches sie gezogen haben, beklagt hätten. Offensichtlich sind sie nicht unglücklich über ihr Dasein als muslimische Mädchen.
Manchmal hoffe ich, dass es ›nur‹ Trotz ist, die Fügung in Unvermeidliche, was mir wie ihr Stolz erscheint, doch wenn ich mir ihre Körperhaltung, ihre Mimik, ihre Art der Kommunikation mit ihren Schulkameradinnen anschaue, dann schwindet zumeist diese Hoffnung wieder. Jugendliche, Kinder sowieso, sind meist lausige Schauspieler und können selten ihre Gefühle verbergen.
An diesem Punkt der Beobachtung angekommen, erwachsen mir regelmäßig Zweifel, ob durch Aufklärung, von mir aus auch über die Narrative eines emanzipatorischen Feminismus, irgendwas bei diesen Mädchen erreicht werden kann. Eigentlich wäre das nötig, denn das Kopftuch ist ja nicht nur die Darstellung einer persönlichen Identität, sozusagen als Abgrenzung zu den Anderen, sondern auch ein Bekenntnis zu einem Weltbild mit eigenen Wahrheiten. Und das in mehrfacher Hinsicht, einer spirituell-religiösen Wahrheit sowie der biologischen, zur Wahrheit ihrer Familie. Dies wird erlebt, täglich, und diese eigene Zuordnung zu dieser Welt, – das ›stolze‹ tragen des Kopftuches dokumentiert dies – löst offensichtlich positive Gefühle aus. Heimat ist, nur nebenbei, für sie weniger ein Ort, als mehr eine Gemeinschaft, zuallererst die Familie.
Dagegen ist jede Argumentation machtlos und nutzlos, da sie ein Angriff nicht nur auf die eigene Wahrheitsordnung wäre, sondern auch eine auf die Gefühlswelt. Und gerade diese wird verteidigt, auch gegen jede rationale Argumentation. Diejenigen die mit Drogenabhängigen zu tun haben, wissen ein Lied von solchen Mechanismen zu singen. Erst wenn der Leidensdruck zu groß wird, besteht die Möglichkeit mit Argumenten durchzudringen.
Nur zur Klarstellung, ich setze nicht Drogenabhängige mit Muslimen, oder religiösen Menschen insgesamt, gleich, sondern zeige nur die Mechanismen auf, die im Individuum wirken und zumeist biochemischer Natur sind. Man kann es auch philosophisch ausdrücken und in der Sehnsucht nach Glück, sowie der Vermeidung von Schmerz, die Grundbefindlichkeiten des Menschseins beschreiben.
Bis hierher ist mir sicher auch die Zustimmung von Anhängern einer Multikultigesellschaft gewiss. Doch da ich ein solcher nicht bin, Multikulti sowieso für einen Mythos halte, erwachsen aus dem Verständnis über die Befindlichkeiten von Kopftuchträgerinnen für mich ganz andere Schlussfolgerungen.
Eine wäre, das weitere Vordringen von islamischer Symbolik im öffentlichen Raum kann nicht per rationaler Argumentation verhindert werden, weil diese zumeist nicht die Gefühlswelt der Muslime erreicht und daher sie eher zu Handlungen und Denkschablonen zur Verteidigung ihrer Gefühle zwingt. Also genau zum Gegenteil dessen, was eigentlich beabsichtigt ist.
Um in die biochemischen Prozesse des Glücksempfindens einzugreifen ist Zwang nötig, beispielsweise ein solcher, den Mädchen die Freude am eigenen Körper zu vermitteln. Sport, Bewegung und Spiel sind in diesem Zusammenhang besonders wichtig und auch, dass bei diesen Momenten der Freude auf jegliche religiöse Symbolik verzichtet wird. Sprich: Burkini und Kopftuch müssen aus dem Schulalltag verbannt werden.
Freilich wären damit auch massive Konflikte vorprogrammiert, vor allem in den Familien der Mädchen. Doch vor diesen Konflikten zu kapitulieren, würde bedeuten, dass wir unsere Freiheit preisgeben. In die Gefühlswelten der Eltern werden wir nicht mehr vordringen können und mit Argumenten erreichen wir sie diesbezüglich sowieso nicht. Also helfen nur klare Regeln.
Es sind nicht so viele Kopftuchträgerinnen in der Schule, doch immer, wenn ich diese beobachte, also fast täglich, immer dann, wenn ich im Auto vor der Schule warte, dann wünschte ich mir, sie könnten frei über ihr Leben entscheiden, und weiß doch, dass dies nicht möglich ist, da sie Gefangene ihrer eigenen Biochemie sind; der Glückshormone die ihre Kultur zulässt oder fördert. Ihnen wurde beigebracht Stolz und Glück zu empfinden, wenn sie sich verhüllen. Man sieht es ihnen an, wenn man genau hinschaut.
Doch dann kommen meine Töchter, die eine ihrer Art gemäß eher langsam und beobachtend gehend, die andere springend und im tanzenden Gang, aber beide mit langen offenem Haar. Manchmal, wenn sie ins Auto steigen, dann fasse ich mit der Hand hinein und sage: Ach, was habt ihr nur für schöne Haare. Sie lächeln dann, ich auch.
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