Es war ein eiskalter Wintertag, damals Anfang oder Mitte der Siebziger. Schon mindestens eine Woche war das schon so, kaum Wind, kein Schnee. Wir nannten es Kahlfrost, ein Wetter also, welches die Bauern und vor allem die Gärtner nicht mögen. Ich als Jugendlicher, noch Schüler, auch nicht. Doch ein Stubenhocker war ich nicht, was hätte ich auch zu Hause tun sollen. In meinem Zimmer, was ich mir mit meinem jüngeren Bruder teilte, gab es nur ein altes Radio, dann war es dort immer kalt, weil es nur sehr unzureichend mit einem alten Kohleofen beheizt werden konnte. Das Wohnzimmer war das Reich der Eltern und deren Blicken ständig ausgesetzt zu sein, das wollte ich mir auch nicht antun. Also ging es nach draußen, bei jedem Wetter, egal, alles war besser als zu Hause zu sein.
In jener Zeit hing ich viel im Pfarrhaus rum, zum einen war der Sohn des Pfarrers in meinem Alter und einer meiner Kumpel, zum andern war es eine Zeit, in der die Religion eine sehr große Wichtigkeit in meinem Leben bekommen hatte und ich ständig das Gespräch mit eben dem Pfarrer suchte. Der konnte richtig gut zuhören und verstehen, ganz im Gegensatz zu seinem Sohn, der sich lieber nur selbst reden hören wollte. Aber das lag vielleicht auch am Alter, in der beginnenden Pubertät weiß man ja noch so wenig über sich selbst, also spricht man darüber und tut so, als wäre das wenige was man weiß – es dafür um so intensiver erlebt – der Weisheit letzter Schluss. Für so manche bleibt das so ihr Leben lang, allen späteren Erlebten wird misstraut, neuen Erkenntnissen sowieso, da sie nie mehr die Intensität erreichen, wie in diesen Jahren des Erwachsenwerdens.
„Mein Mann ist auf dem Friedhof, bei den Urnengräbern“, sagte mir die Pfarrersfrau als sie mich erblickte und ohne dass ich gefragt hätte. Es war klar, zu wem ich wollte. Was ich dann dort, auf dem Friedhof, erblickte, das war ein Bild zum Schießen. Der Pfarrer hantierte mit einem Spaten und einer Schaufel auf dem knochenharten Boden herum. Aus irgendeinem Grund hatte sich entschlossen, ein Urnengrab auszuheben. Das ist eigentlich keine große Aufgabe, so eine Urne ist nicht groß und muss auch nicht so tief vergraben werden, doch wenn der Boden tief durchgefroren ist, dann ist der wie Stein, mit dem Spaten kratzt man da bestenfalls ein paar Rillen hinein.
Warum er das tat und nicht irgendjemand damit beauftragte, das fragte ich mich damals nicht, auch heute nicht, weil er ein Typ war, dem immer wieder sonderbare Dinge einfielen, über die dann andere schmunzelten. Noch eine andere Person, ich glaube ein älterer Mann, stand mit dabei, an ihn habe ich aber sonst keine Erinnerung mehr und weiß auch nicht, ob er was mit der Urne, also dem oder der Toten, oder dem Grab zu tun hatte.
Also gesellte ich mich zu den Beiden und hörte mehr belustigt als erschrocken zu, wie der Pfarrer die heilige Erde eines Friedhofs verfluchte, weil sie eben so steif gefroren und widerspenstig war.
„Darf ich mal?“, fragte ich und ohne eine Antwort abzuwarten, nahm ich den Spaten in die Hand und versuchte auch mein Glück. Vielleicht gelingt es mir, dachte ich wohl, weil die beiden Schreibtischhengste dort offensichtlich für praktische Arbeit kein besonderes Talent hatten. Doch auch mir ging es nicht anders, mit dem Spaten konnte ich nichts ausrichten, nur als ich mit der Ecke auf dem Boden schlug und sah, wie ein Stück gefrorener Boden absplitterte, kam ich auf die Lösung: nicht die Aufgabe war unmöglich, sondern wir hatten nur das falsche Werkzeug. Eine Spitzhacke wäre gut, besser noch ein Presslufthammer.
Doch bevor ich den Mund aufmachen konnte, hörte ich den Pfarrer geradezu euphorisch ausrufen: „Ha! Ich habs, jetzt weiß ich wie es geht“. Sagte es und verschwand. Mit einem Topf in der Hand, aus dem es kräftig dampfte, kehrte er nach einer Weile zurück. „Wir machen das nicht mit roher Gewalt, sondern mit Köpfchen“ meinte er unter der Verwendung des „wir“. „Wir“ waren das aber nicht, sondern nur er, der auf diese Idee gekommen ist. Doch wenn er „ich“ gesagt hätte, dann wäre das wohl einer Herabsetzung meiner Wenigkeit, und des anderen alten Mannes gewesen. Also übertrug er seine grandiose Idee auch auf uns, indem er „wir“ sagte.
Ich weiß, jetzt drängt sich natürlich ein Kalauer auf, doch nein, er hat nicht gesagt „wir schaffen das“. Zu gerne würde ihm dieses Zitat nun in den Mund legen, doch ich darf es nicht, schließlich will ich ja eine wahre Begebenheit schildern, nichts hinzufügen und nichts weglassen. Also jedenfalls nicht mehr als die Veränderungen die immer geschehen, wenn man sich später an etwas zurückerinnert, weil man ja das Ergebnis kennt.
In dem Topf war heißes Wasser und während er etwas murmelte wie „die Physik hilft hier weiter“, goss er dieses Wasser langsam auf den Boden. Doch dieser zeigte sich ziemlich unbeeindruckt, bestenfalls ein paar Millimeter tief wurde er weich und ließ sich punktuell mit der Schaufel weg Kratzen.
Ich hatte mir in der Zwischenzeit aus dem Werkzeugschuppen – wie gesagt, ich war oft dort und kannte mich aus – eine Spitzhacke geholt und begann dann, nachdem der Pfarrer mit resigniertem Gesicht ein paar Schritte zurückgetreten war, den Boden zu bearbeiten. Das war mühselig, aber funktionierte.
Ab hier verlässt mich nun meine Erinnerung. Ich weiß nicht mehr, wie tief ich grub, nur, dass irgendwann der Pfarrer mich aufforderte aufzuhören. „Ich lasse das morgen von jemand machen“ meinte er dazu „du brauchst dich jetzt hier nicht so abzumühen“.
Warum aber habe ich diese kleine Geschichte hier und jetzt erzählt? Ganz einfach: weil am Sonntag Wahlen zum EU-Parlament sind und die Parteien betrachte ich eben wie Werkzeuge. Ich habe keinerlei emotionale Bindung zu irgendeiner Partei und die Vorstellung, ich würde in einer Mitglied sein, ist mir völlig fremd. Sie sollen mir Zunutze sein und meine Interessen vertreten. Oder zumindest eine Lösung für ein erkanntes Problem anbieten.
Nun könnte ich aufzählen, was ich mir von der EU in der Zukunft erhoffe, und das wäre zuallererst: dass das EU-Parlament aufgelöst wird, dieses völlig unnütze Werkzeug ist zu so gut wie zu gar nichts zu gebrauchen. Für länderübergreifende Debatten würde ein Sender wie Arte völlig ausreichen – den schaut auch kaum einer an (ich allerdings schon). Dann hätte ich gerne die DMark wieder, der Euro wird sowieso im Desaster enden, da wird nur ständig neues heißes Wasser auf den Boden vergossen (Stichwort Target-Salden und so weiter und so fort).
Mit der Spitzhacke gehört Hand an die EU gelegt. Bevor wir an die Gestaltung von Europa denken können, muss erst einmal das, was nicht funktioniert, kontrolliert abgebrochen werden. Bei jeder Renovierung beginnen die Arbeiten damit, dass Unnützes entfernt wird. Das EU-Parlament ist so was.
Aber welche Partei könnte denn nun mein Werkzeug sein? Sie werden es erraten haben, es ist die AfD, die ich am Sonntag wählen werde. Nicht weil sie mir besonders sympathisch ist, Werkzeuge müssen lediglich nützlich sein und dem Zweck angemessen eingesetzt werden können. Sollten einmal andere Aufgaben anstehen, dann gibt es dafür eben ein anderes Werkzeug. Doch momentan sind Schaufel oder Spaten, die sogenannten Altparteien also, gänzlich unnütz oder richten gar, wie das heiße Wasser, sogar noch Schaden an.
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