12. Oktober 2019

Die Selbstgerechtigkeit der Heuschrecken

Nun färben sich die Blätter, der Herbst hält Einzug und in den Kirchen wurde schon das Erntedankfest gefeiert. In der Kirche meiner Kindheit war das immer ein wichtiger und besonderer Tag, auch meine Mutter gab dafür immer ein paar Blumen, extra schöne Äpfel oder was sonst aus dem Garten geeignet war, zur Dekoration her. Ja, sie hatte noch Hunger erlebt, in der Sowjetzone, als Kind, nach dem Krieg, nach der Vertreibung aus Schlesien. Wer dies durch gemacht hat, für den hat dieses Fest eine besondere Bedeutung.

Was wurde wohl dieses Jahr in den Kirchen gesprochen, dort wo dieses Fest noch gefeiert wird? Ich weiß es nicht, denn die Kirche ist mir längst fremd geworden, nicht mal mehr zu Weihnachten zieht es mich dahin. Manchmal morgens, wenn ich versäume schnell auf einen anderen Sender umzuschalten, dann höre ich im Autoradio irgendwelche Kirchenleute eine Morgenandacht sprechen, ein „Wort zum Tag“ oder wie immer sie es nennen. Regelmäßig bringen mich diese Reden in Rage, kürzlich besonders und ich wollte fast nicht glauben, was da ein Geistlicher durch den Äther schickte. Um Donald Trump ging es und dass der schon zehntausend Mal seit seinem Amtsantritt gelogen hätte . Mit „Lügenpräsident“ ist diese Ansprache überschrieben und es wird ausgeführt, dass Lügner in der Politik nichts zu suchen hätten, was man auch am Beispiel Boris Johnson sehen würde, der in Großbritannien politisches Unheil anrichten würde.

Eigentlich will ich diese Morgenansprache gar nicht weiter kommentieren, sie soll nur verdeutlichen, welcher Kulturwandel in den Kirchen vonstattengegangen ist. Statt Vergebung und Dankbarkeit als Grundströmung, ist dort nun Selbstgerechtigkeit und Verachtung auf andersdenkende zu finden. Selten so deutlich in diesem Beispiel hier, doch fast immer klar zu erkennen. Sei es, wenn es um die Flüchtlingsproblematik geht, oder ums Klima, völlig egal, wir sind auf der guten und richtigen Seite, wir wissen was Falsch und Sünde ist und wenn wir so weiter leben, wie wir leben, dann ist das der Erde Untergang. Womit wir bei den Gretas und den Fridays-for-Future-Hüpfern wären oder diesen selbstgerechten Extinction-Rebellen, deren Selbstdarstellung allerdings oft so peinlich ist, dass sie schon nicht mal mehr als Karikatur ihrer selbst durch gehen kann.

Der Herbst ist gekommen, die Blätter färben sich, einige sind schon gefallen, manche Zugvögel sind auch schon weg, vermehrt sind Igel zu sehen, die sich auf den Winter vorbereiten. Ein paar schöne Tage können wir noch erwarten, sie lassen ein bisschen Wärme spüren, wenn die Sonnenstrahlen den Morgennebel vertrieben haben. Wir können uns daran freuen, keine Ängste müssten sich in die Gedanken und Gefühle mischen. Ein Dach haben die meisten von uns über den Kopf, es regnet nicht rein, die Fenster sind dicht, die Speicher gefüllt, Kohle ist im Keller. Natürlich nur sinnbildlich in Form der eigenen finanziellen Ressourcen, einen richtigen Kohlenkeller haben wohl noch die Wenigsten.

Es ist also die Zeit, Danke zu sagen, für das was uns das Jahr bisher brachte. Der Altar in der Kirche, an der Dekoration hatte meine Mutter immer mit Freude mitgewirkt, zeugte von Überfluss, die Menschen konnten stolz auf das Geleistete sein und dankbar dafür, dass sie es schaffen konnten, nun keine Angst vor dem Winter haben zu müssen. Kein Krieg, keine Katastrophe hatte uns heimgesucht, in Frieden können wir nun den Wohlstand und den Überfluss genießen und uns an den Farben und Gerüchen des Herbstes freuen. Die Ernte ist eingebracht, der Winter noch fern, wer dies nicht in der Kirche feiern will, der tut es eben auf den Volks- und Weinfesten, die nun auch überall stattfinden und vor allem den erreichten Wohlstand und den Überfluss zelebrieren.

Schalte ich allerdings das Radio ein, schlage die Zeitung auf, oder schaue ich TV, dann vernehme ich einen neuen Zeitgeist, einen der mich anklagt für das Geleistete. Der Ernte wird nicht mehr gedacht, ihr gedankt, sondern sie verflucht, mit ihr unser ganzes Leben, weil wir angeblich damit den Planeten zerstören würden. Aus Erntedank ist Ernteverachtung geworden. Statt die Früchte unserer Arbeit zu schützen, um auch unbeschadet durch den kommenden Winter zu kommen, sollen wir auf sie verzichten, sie verteilen an die ganze Welt, und selbst genügsam leben. Eine Fabel fällt mir ein, die von der Heuschrecke und der Ameise, auch sie, die Heuschrecke, hüpfte, sprang und sang so lange es ihr gut ging, solange sie das fressen konnte, was die anderen schufen und dabei voller Selbstgerechtigkeit auf die emsigen Arbeiter herab schaute. Besonders Freitags hüpfen sie, die Heuschrecken, und tanzen und singen in Berlin bei ihren Straßenblockaden. Ihre Selbstgerechtigkeit gibt ihnen das Recht dazu.

Doch der Winter wird kommen und eine Gesellschaft welche die Ernte verachtet, statt ihr zu danken, wird den Frühling nicht mehr erleben. Das lehren uns die Fabeln der Alten, auch die Erzählungen derer, die den Hunger überlebten und nun mit Dankbarkeit den Altar zum Fest der Ernte schmücken. Der Zeitgeist, da bin ich mir sicher, ist wie das Hüpfen und Springen der Heuschrecken.

Doch in die Kirche werde ich nicht gehen, um der Ernte zu danken, zu vorhersehbar sind die Predigten, diese zeitgeistige Gedankenhüpferei. Gleich in Nachbarschaft – wenn ich nicht zu faul dazu bin, kann ich per Fuß dahin gehen – ist in Kürze das Filderkrautfest, und genau dahin gehe ich dann mit meiner Familie und meinen Kindern. Auf dem Weg werde ich ein paar Fabeln erzählen und die Besonderheit des lokalen Spitzkrautes erklären. Falls die Kinder nicht zuhören, dann kann ich natürlich nichts machen. Meine Frau aber, die ist ganz neugierig auf solche Geschichten, denn sie ist in den Tropen aufgewachsen und kennt das Erntedankfest aus ihrer Heimat nicht und was es für uns hier bedeutet. Sie hat als Kind auch den Hunger erlebt, wie meine Eltern, und kann sich deshalb auf Festen des Überflusses so richtig erfreuen. Und dankbar sein. Die Selbstgerechtigkeit der Heuschrecken nehmen wir an solchen Tagen einfach nicht zur Kenntnis.

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