26. Juni 2022

Parteien und Werkzeuge

Noch nie habe ich eine Europa-, eine Bundestags- oder Landtagswahl versäumt, außer in den Jahren, als ich im Ausland lebte. Dabei bin ich kein Anhänger einer Partei, schon gar nicht Mitglied, im Grunde lassen sie mich alle kalt und wenn manchmal im Fernsehen zu sehen ist, wie Parteivorsitzende auf Parteitagen bejubelt werden, dann empfinde ich das eher als Peinlichkeit. Natürlich verstehe ich die Emotionen, Fans eines Fußballvereins verehren auch ihre Idole, in meinen Augen ist das in etwa gleichzusetzen. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich auch kein Anhänger irgendeines Vereines bin, schon gar nicht, wenn es mit Sport zu tun hat.

Zum Nichtwähler bin ich dennoch nicht geworden, obwohl mich Parteien kaltlassen. Ein Bekannter, dem ich meine Distanz zu Parteien berichtete, meinte mal salopp „Ja, ja, das ist immer die Frage: Was sollen wir wählen, Köpfe oder Programme?“ Die Frage ist gar nicht so unwichtig, denn theoretisch versucht ja unser Wahlrecht, mit der Idee von Erst- und Zweitstimme, hier einen Spagat hinzubekommen und will beides, wobei natürlich für die Machtverhältnisse im Parlament die Zweit-, die Parteienstimme entscheidender ist. Theoretisch jedenfalls, doch da in unserer politischen Praxis die Kandidaten immer auch Früchte ihrer Parteien sind, ist die Frage danach, ob wir Köpfe oder Parteien wählen, eigentlich akademisch.


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Manchmal allerdings schaffen es besonders talentierte Politiker, eine Partei zum Instrument ihres Willens zu machen, wie das der Adenauer-Biograf Dr. Hans-Peter Schwarz einmal in einer Rede schlüssig darstellte. Ganz gelingt das natürlich nie, schon weil innerparteiliche Konkurrenten auf Fehler und somit auf ihre Chance warten, aber gerade gute Machtpolitiker verstehen es, innerparteiliche Opposition unwichtig zu machen. Man schaue sich nur an, was aus der CDU unter Merkel geworden ist, über Helmut Schmidt hörte ich oft: „Guter Mann, aber in der falschen Partei“, auch als Gerhard Schröder Kanzler war, wurde die SPD von vielen gewählt, die eigentlich der SPD nicht besonders nahestanden. Gibt es solche Persönlichkeiten an Spitzenpositionen, werden also vorwiegend die Köpfe gewählt. Natürlich nur imaginär, weil, eine Direktwahl des Bundeskanzlers wird ja dem Wähler verweigert. Aber auf unser Wahlrecht und warum es dringend reformiert werden sollte, möchte ich hier nicht weiter eingehen, vor Jahren schrieb ich ein paar Gedanken dazu auf und im Grunde gilt das immer noch.

Hier will ich wirklich nur in der Selbstbetrachtung der Frage nachgehen, warum ich nicht(!) zum Nichtwähler wurde, denn eigentlich mag ich weder die Parteien noch die Köpfe, die sie hervorbringen, am ehesten noch verstehe ich die Ideen, vielleicht Ideologien oder die Philosophie, für die sie stehen. Wobei allerdings schon lange jede Illusion verflogen ist, Programme wären wichtig. Belustigend finde ich manchmal, insbesondere kurz vor Wahlen, wenn die Gegner sich über ihre Programme und Wahlversprechen streiten, so als ob diese Absichtserklärungen in der Vergangenheit jemals nach einer Wahl noch beachtet worden wären. Den Luxus können sich nur Parteien erlauben, die nicht an die Macht gekommen sind und keine Machtoption haben. Für alle anderen gelten nun andere Prioritäten und ist der Wahlkampf vorbei, die Koalitionen geschmiedet, die Posten verteilt, wird so gut wie alles, worüber da in oberpeinlicher Weise gestritten wurde, zur Nebensache.

Wenn es Zeiten gibt, in denen mich der Politikbetrieb so richtig belustigt, oft aber auch anekelt, dann ist das die Zeit des Wahlkampfes. Und dennoch ging dieser Ekel nie so weit, dass ich zum Nichtwähler wurde. Der Grund dafür ist einfach: Ich bin bekennender Protestwähler. Nie ging es mir darum, eine Partei zu wählen, um sie an die Macht zu bringen, sondern mir war nur wichtig, wie ich diejenigen, die ich nicht an der Macht sehen möchte, taktisch am besten schaden kann. Das geht nicht als Nichtwähler, selbst wenn deren Anteil besonders hoch ist, so wirft das nur eine schwachen vorübergehenden Schatten auf den Erfolg der Wahlgewinner und wird kurz bedauert, dann aber gleich wieder vergessen.

Für Leute wie mich, Protestwähler also, müsste es so etwas wie eine Negativstimme geben, die derjenige erhält, den ich keinesfalls an der Macht sehen möchte. Kandidat oder Partei XY bekommt beispielsweise zehn Ja-Stimmen, sowie drei Nein-Stimmen, gezählt werden also sieben. Nein, besser doch nicht, ich verwerfe diesen Gedanken sofort wieder, denn die meisten Nein-Stimmen werden diejenigen einsammeln, die polarisieren, was zu Folge hätte, dass Positionen, die von der Mitte etwas abweichen, keinerlei Chance haben. Nur die Weichgespülten, Angepassten, diejenigen, die sich bedeckt halten, hätten die Chance, ein positives Saldo zu erreichen.

So gehe ich also zu Wahl – ja ich gehe, Briefwahl mag ich nicht – und gebe eine Positivstimme ab. Der Auswahlprozess, wer meine Stimme bekommt, macht mir allerdings bewusst, dass ich möglicherweise doch kein reiner Protestwähler bin, sondern eher ein Taktiker.

Ach ja, schon wieder: kaum ist eine Selbstbezeichnung ausgesprochen, stimmt sie nicht mehr. Ein paar Schritte nur gegangen, oder ein paar Worte gesagt, und schon ergibt sich eine neue Perspektive. Gerade bei Definitionen ist dies oft zu beobachten. Gut, dann bin ich eben ein taktierender Protestwähler, egal, mir bedeuten diese Art von Bezeichnungen sowieso nicht viel, will einfach nur von mir und meinen Perspektiven berichten. Kaum etwas davon hat den Status von Allgemeingültigkeit, zumindest nehme ich das nicht für meine Beschreibungen in Anspruch. So kann ich auch in Bildern oder Gleichnissen reden, so etwas liegt mir mehr, als die Formulierung von Definitionen, und ich wüsste nicht, wie anders ich meinen Auswahlprozess erklären könnte.

Als gelernter Handwerksmeister, der jahrelang auf dem Bau gearbeitet hat, fällt mir natürlich sofort, als Metapher, der Umbau eines Hauses ein. Mit dem Bild einer Gemeinschaft als Haus wird ja auch gerne in der Politik gespielt, in der Wirtschaft sowieso, warum soll ich es dann nicht auch tun. Ständig gibt es was an Häusern zu tun, nicht nur, wenn es um einen Umbau geht, sondern auch in Form von Renovierungen oder Werterhaltungsmaßnahmen. Politik lässt sich also auch beschreiben und vergleichen mit dem, was im, am oder mit dem Haus geschieht. Bevor allerdings irgendwas geschieht, stellen sich ein paar grundsätzliche Fragen: fühle ich mich wohl, wird mein Haus meinen Ansprüchen gerecht, dann wird das, was zu tun ist, nicht über Werterhaltungsmaßnahmen hinaus gehen. Im Branchenbuch finde ich Firmen dafür, oder unterhalte mich mit dem Nachbar, mit welchem Anbieter von Dienstleistungen er gute Erfahrungen gemacht hat. Gärtner, Maler, alle möglichen Handwerker bieten ihre Dienste an.

Fühle ich mich aber nicht mehr wohl, dann stehen möglicherweise größere Arbeiten an, das Prozedere ist allerdings gleich: ich beauftrage jemanden, bestimmte Aufgaben auszuführen. Das gilt auch, sollten irgendwelche größere Schäden entstanden sein, beispielsweise nach einem Sturm, dann brauche ich einen Dachdecker. Auch den finde ich im Branchenbuch.

Natürlich gehört mir das Haus Deutschland nicht allein, nicht mal der Ort Wolfschlugen, in dem ich lebe. Das sind dann Eigentümergemeinschaften und die sind oft nicht ganz unproblematisch, als Handwerksmeister kann ich ein Lied davon singen, wie schwierig es manchmal ist, mit verfeindeten Eigentümern klarzukommen. Da es aber hier ums Prinzip geht, ist das nicht relevant. Der Eigentümer, die Eigentümer, haben eine Vorstellung davon, was am Haus getan werden muss und beauftragen eben eine Firma dafür.

In meinem Bild sind also die Bürger die Eigentümer des Hauses Deutschlands, Parteien die Dienstleister. Den Parteien gehört nichts am Haus, rein gar nichts, sie dürfen tätig werden, wenn sie von mir mit meiner Wählerstimme beauftragt werden.

Ein Seufzer! Ach, wenn es nur so wäre! Wo bleibt in meinem Bild die Idee von der politischen Führung durch die Parteien, das nehmen sie ja für sich in Anspruch. Richtig, das passt nicht in mein Bild, da sollen sie dienen und nicht führen. Doch ich verteidige mein Gemälde, es gefällt mir einfach zu gut, als dass ich dem Führungsanspruch der Parteien darin Raum geben möchte, und gehe deshalb zur Wahl. Dabei gehe ich rein pragmatisch vor, schließlich bin ich gelernter Handwerker, und benutze die Partei oder den Kandidaten, die meine Stimme bekommen, als mein Werkzeug – oder sollte ich vielleicht besser nicht Werkzeug sagen, sondern Waffe, schließlich geht es mir ja um die Verteidigung meines Bildes.

Ob Werkzeug oder ob Waffe, die Unterscheidung ist hier nicht so wichtig, entscheidend ist, ich habe ein Problem erkannt, das mit meinem Haus zu tun hat. Derzeit: da gibt es Leute, die wollen es transformieren und werben auf allen Kanälen dafür, diesen Auftrag zu bekommen. Wo das nicht klappt, erschleichen sie sich die Aufträge, so was kenne ich auch ganz gut aus meiner Handwerkerpraxis. Ich will aber nicht, dass mein Haus transformiert wird; es mag nicht immer so komfortabel und wohnlich sein, wie ich es mir wünsche, aber was grundsätzlich anderes will ich keinesfalls. Also verteidige ich es, indem ich ein Werkzeug zur Verteidigung in die Hand nehme, eines, was mir erstens zur Verfügung steht und zweitens nicht so gefährlich ist, dass ich mich bei der Handhabung verletze. Manchmal ist auch Schutzkleidung angesagt, jeder der schon mal mit einer Flex irgendwelche verwinkelten Bauteile auseinander schneiden musste, weiß, wie nützlich solcher Selbstschutz ist. Ich muss also aufpassen, dass mir das Werkzeug, welches ich in die Hand nehme, nicht zu nahe kommt. Auf die Parteien angewandt, bedeutet diese Schutzkleidung, dass ich mir ihre Ideologien vom Leibe halte, auch dann, wenn ich eine davon wähle.

Es geht rein um das Ergebnis, welches ich anstrebe. Manchmal muss ich dafür ein Werkzeug in die Hand nehmen, mit dem zu arbeiten keine wirkliche Freude macht. Sei es drum, wenn die Flex nicht mehr gebraucht wird, wird sie weggelegt, die Schutzkleidung ausgezogen und eine angenehmere Beschäftigung gesucht.

Werkzeuge, Dienstleister oder Parteien gehorchen in meinem Bild mir, keinesfalls ist es umgekehrt und wenn gar einer sagt, er müsse mich mitnehmen oder abholen – wir kennen alle diese Politikersprüche – dann ist er sofort raus aus dem Auswahlprozess. In meinem Bild von Deutschland will ich weder transformiert noch abgeholt oder mitgenommen werden. Vor solchen Dienstleistern will ich mich schützen und erteile ihnen Hausverbot. Wer mich dabei am besten unterstützt, bekommt meine Stimme.

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