3. April 2013

Der Wald, die Deutschen und die DMark

„In keinem modernen Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland“, meinte Elias Canetti in seinem Hauptwerk Masse und Macht, und beschreibt den Wald als ein deutsches Massensymbol. Doch der deutsche Wald in der deutschen Seele war nicht wie der tropische Urwald, welcher eher eine chaotische ungegliederte Masse darstellt, sondern klar geordnet, mit der Betonung des Aufrechten. In dieser Gemeinschaft der Aufrechten fühlt sich der Deutsche wohl, beschützt, aufgenommen. Da will er dazugehören, so will er sein. In hunderten Liedern und Gedichten wird der deutsche Wald beschrieben. Und er wurde auch instrumentalisiert, zu Spielball von politischen Botschaften. Johannes Zechner, FU Berlin, meinte gar, dass
„die Dauerwaldidee nicht nur auf (natur-)wissenschaftliche Studien und Schlussfolgerungen, sondern auch auf die in jener Zeit unter Intellektuellen weit verbreiteten kulturkritischen Strömungen zurückzuführen [ist]. Ohne die starke ideologische Aufladung des „deutschen Waldes“, die vor allem in den 1920er bis 1940er Jahren erfolgt sei, wäre außerdem die Waldsterbensdebatte der 1980er Jahre so nicht möglich gewesen, da nur aufgrund dessen in Deutschland zahlreiche unterbewusste Deutungsmuster des Waldes abrufbar gewesen seien.“
Canetti geht noch weiter, eigentlich meinte der Deutsche mit dem Wald das Heer:

Das Massensymbol der geeinten deutschen Nation, wie sie sich nach dem französischen Kriege von 1870/71 bildete, war und blieb das Heer. Jeder Deutsche war stolz darauf; es gab nur vereinzelte, die sich dem überwältigenden Einfluß dieses Systems entziehen vermochten.
[...]
Wald und Heer hängen für den Deutschen auf das innigste zusammen, und es läßt sich das eine so gut wie das andere als das Massensymbol der Nation bezeichnen; sie sind in dieser Hinsicht geradezu ein und dasselbe.
Nach dem ersten Weltkrieg, als den Deutschen durch den Versailler Vertrag die allgemeine Wehrpflicht verboten war, wurde dies von vielen als große Demütigung empfunden und militärisches Auftreten, wie zum Beispiel bei den Nationalsozialisten, nährte Sehnsüchte nach dem Heer. Ein identitätsstiftendes Symbol war den Deutschen geraubt worden, das wollte man wieder haben. Und man bekam es zurück, zusammen mit dem Gefühl: „Wir sind wieder wer“. Freilich war dieses Glück nur von kurzer Dauer und die darauffolgende Katastrophe hat den Deutschen erst einmal jede Lust auf Militär und Heer genommen. Dennoch halten sich bis heute noch hartnäckig die Überzeugungen, dass doch die Wehrmacht mit den ganzen Verbrechen der Nazis nichts zu tun hatte. Besonders verbreitet war diese Einstellung in der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Ein neues Heer aufzubauen, eines das Identitätsstiftend für die Deutschen ist, kam nicht in Frage. Die Bundeswehr hat nie eine besondere Rolle in der Gesellschaft gespielt, wurde wohl weitestgehend akzeptiert, weil ein Land sich eben auch militärisch schützen muss, Begeisterung konnte diese neue Armee aber nicht mehr auslösen. Das wichtigste Massensymbol der Deutschen war zerstört. Doch der Wald blieb, er hatte alles überstanden und blieb weiter Ort der Sehnsüchte und Träume. Heimatfilme bekamen Hochkonjunktur und immer spielte der Wald darin eine hervorgehobene Rolle.

Langsam, fast unmerklich anfangs, wurde die Lücke die das Heer hinterließ von einer ganz neuen Armee aufgefüllt: der des Geldes. Das Wirtschaftswunder und die DMark entwickelten sich zu einer Stärke und einen Einfluss auf die Gesellschaft, die dem entsprach was früher das Heer war. Die DMark wurde zum neuen Massensymbol der Deutschen. Sie war standhaft und hart und zeigte an: Wir sind wieder wer. Mit diesem neuen Massensymbol der Deutschen veränderte sich auch ihr Selbstbewusstsein und ihr Selbstbildnis. Alles militärische war nicht mehr so wichtig, es genügte voll und ganz, wenn man die Waffen herstellte die die ganze Welt haben möchte. Statt mit Panzern seine Nachbarn zu überfallen, verkaufte man sie ihnen. Und noch vieles mehr.

Die DMark wurde zum Mythos, erfuhr geradezu religiöse Verehrung, da sie das Versprechen eines bessern Lebens, eines Aufbruchs zu neuer Größe, wahr gemacht zu haben schien. Massensymbole sind eben auch austausch- und veränderbar, das Heer brauchte man nicht mehr. Dass der Aufschwung nach dem Krieg möglicherweise ganz andere Gründe hatte, als nur die neue Währung, nämlich die Freiheit im weitesten Sinne, sowie die Marktwirtschaft, wurde wohl nicht völlig ausgeblendet, doch das konnte ja nicht der eigenen Nation zugeordnet werden. Dies gab es anderswo auch, die DMark aber nicht.

Welche Kraft dieser Mythos noch bis in die jüngste Vergangenheit hatte, sieht man auch an der Deutschen Wiedervereinigung. Die Menschen, wenngleich nicht alle, riefen Freiheit und wollten die DMark und die Freiheit die damit verbunden ist. Freiheit und DMark waren eins.

Nun gibt es sie nicht mehr, diese Währung die für die Deutschen mehr war als nur Geld, sondern ein Massensymbol mit identitätsstiftender Wirkung. Der neue Euro kann diese Rolle nicht übernehmen. Die Deutschen befinden sich auf der Suche nach einem neuen Massensymbol und die Befindlichkeiten sind vergleichbar mit denen die durch den Versailler Vertrag ausgelöst wurden. Verräter, so in den Augen vieler, hatten der Auflösung des Heeres zugestimmt, und heute, sind es eben auch Verräter gewesen die die DMark preis gegeben haben. Die Deutschen, soviel scheint klar, befinden sich in einer Identitätskrise auch weil ihr wichtigstes Massensymbol verloren gegangen ist.

Die DMark wie sie war, wird aber nicht wiederkehren. Sie wird keine identitätsstiftende Wirkung mehr entfalten können und bestenfalls nostalgische Gefühle hervorrufen. Aber vielleicht kommt auch eine andere nationale Währung, eine die den gleichen Namen aufweist, zur der die Deutschen aber nur noch ein pragmatisches Verhältnis haben werden. Was nicht das schlechteste wäre, dann könnte man sich auf das konzentrieren was die wirkliche Ursache für den Erfolg der DMark war: Die Freiheit, die Marktwirtschaft und vor allem, die Menschen die das für sich nutzen wollten und tatkräftig auf eine bessere Zukunft hingearbeitet haben.



Dossier: Heimat

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