21. Februar 2013

Enquete: Brüche und Transformationen

Um Inhalte ging es auch in dieser 28. Sitzung der Enquete Kommission des Deutschen Bundestages „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität.“⁽¹⁾ Hauptsächlich wurde aber heftig gestritten über den Wert von Handlungsempfehlungen zur Reduzierung des Rohstoffverbrauchs, vor allem welche Wirksamkeit diese im globalen Maßstab haben. Hierrüber gibt es einen heftigen Dissens zwischen Regierung und Opposition und eine Einigung auf gemeinsames Handeln ist schlicht unmöglich. Warum dies so ist, machten Fragen von Michael Müller⁽²⁾ und Meinhard Miegel⁽³⁾ klar: Ob wir uns denn heute in einer Anpassungsphase oder einer Übergangsphase (Müller), einer Bruchsituation oder einer Übergangssituation befinden (Miegel)? Von der Beantwortung dieser Frage hängt die innere Logik ab, warum eine sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft notwendig ist.⁽⁴⁾

Müller und Miegel gehen davon aus, dass wir in einem historischem Zeitalter leben, einem in dem die alten Erklärungsmuster oder Paradigmen nicht mehr gelten. Und von dieser Grundhaltung sind auch alle Erklärungen der Opposition durchdrungen, es ist die Rede vom Anthropozän⁽⁵⁾ und dass bestimmte Denktraditionen, die in der europäischen Moderne fest verankert sind, heute nicht mehr haltbar sind (Müller). Die Beschreibung der Gegenwart als Zeitalter des Anthropozän mache Brüche und Transformationen notwendig.

Diesen Ausführungen setzen die Regierungsvertreter nichts entgegen, sie interessieren sich mehr dafür ob bestimmte identifizierte Probleme gelöst werden können, und wenn ja, was der beste Rahmen dafür ist. Welche Auswirkungen haben nationale Alleingänge? Wann macht eine Vorreiterrolle eine Sinn und was ist der Unterschied zwischen Vorreiter- und Pionierrolle? Mit dem Begriff Transformation können sie nicht viel anfangen. Im Gegenteil, Frau Skudelny (FDP)⁽⁶⁾ fragt sich: „Wer transformiert mich eigentlich?“ und drückt damit ein tiefes Misstrauen gegenüber der von der Opposition geforderten sozial-ökologischen Transformation aus. „Es ist nicht alles schlecht“ meint sie ergänzend und stellt mit dieser Feststellung die ganze ideologische Deutung der Gegenwart, wie sie von der Opposition vorgenommen wurde, in Frage und beantwortet damit auch die Frage ob wir uns in Bruch- oder Übergangssituation befinden.

Eine andere Deutung des Begriffs Anthropozän nehmen die Regierungsvertreter nicht vor, es interessiert sie schlicht nicht, sondern Probleme werden identifiziert und nach Lösungen gesucht wie diese am besten bewältigt werden können. Diese Vorgehensweise ist gleichzeitig eine Stärke und eine Schwäche. Die Stärke liegt darin, dass die Unsinnigkeit der Oppositionsvorschläge aufgezeigt werden, die schlagen nämlich 32 nationale, 7 europäische und 4 internationale Maßnahmen vor, wie dem Ressourcenverbrauch und dem Problem der Nutzung öffentlicher Güter wie Atmosphäre, Meere oder Böden zu begegnen ist. Diese Vorschläge gehen von einer Stickstoffüberschussabgabe, um dem Overkill in der Landwirtschaft zu begegnen (Ott), über Transferzahlungen, bis hin zur Einflussnahme, in ihrem Sinne, in die Bildungspolitik (vom Kindergarten angefangen.) Ein Portfolio von Gängelungen, immer mit dem Hintergrund, das Anthropozän verlange dies. Wobei auch geflissentlich auf Erkenntnisse aus dieser Enquete verzichtet wird, wie etwa die weitreichenden Auswirkungen des Rebounds,⁽⁷⁾ die Unmöglichkeit von wirksamen internationalen Verträgen, oder Verlagerungseffekte. „Die Vorschläge der Opposition sind gewollt, doch nicht gut gemacht. Sie lösen nicht die Probleme die in den Kapiteln vorher herausgearbeitet wurden (Skudelny).“

Diese Konzentration von Union und FDP auf Best Practice Maßnahmen, und damit auch die Bloßstellung der Oppositionsvorschläge als ideologischen Aktionismus, ist eine Stärke, die allerdings nicht richtig zu Geltung kommen kann weil gesamtgesellschaftliche Deutungen der Opposition überlassen werden. Deren Transformationsforderungen gründen sich hauptsächlich auf diese Deutungen und nicht auf die Identifizierung von einzelnen Problemen. Und deswegen reden die Akteure auch permanent aneinander vorbei. Obwohl die Regierungsvertreter keine Entgegnung auf die Beschreibung der Gegenwart als Anthropozän vornehmen, auch weil sie dem im Grunde schon zugestimmt haben, so machen sie doch durch die Anwendung der Best Practice Vorgabe deutlich, dass sie nicht an ein neues Zeitalter glauben, eines in dem die Erklärungsmuster der Moderne nicht mehr gelten sollen. Nur ausformulieren tun sie es nicht.

Würden sie das tun, könnten sie recht schnell erkennen, dass viele Behauptungen in der Enquete, und auch in der öffentlichen Debatte, schlicht Unsinn sind. Dazu gehört auch die gebetsmühlenhaft und bei jeder sich bietenden Gelegenheit vorgebrachte Erkenntnis, dass ökologischen Grenzen die Grenzen unseres Handelns markieren würden. Dies Spruch ist nichtssagend, weil er nur von einer Fortschreibung unseres gegenwärtigen Wissen ausgeht, und weder Fortschritte noch die Weiterentwicklung des Wissens, der Erkenntnisse und der Technik berücksichtigt. Schon immer häuften sich in der Menscheitsgeschichte in verschiedenen Zeiten Probleme die zu Lasten der Natur gingen, und noch immer hat die Menschheit Lösungen gefunden.

Auch die Opposition hat keine Antworten zur Lösung der identifizierten Probleme, das was sie vorschlagen ist unwirksam und nur dazu geeignet, eigene ideologische Vorstellungen in der Gesellschaft zu verankern. Erkenntnisse können da manchmal recht hinderlich sein. So erwähnte Hermann Ott (Grüne)⁽⁸⁾ in der Aussprache, dass es für ihn ein Hauptergebnis der Arbeit in der Enquete wäre, die Rolle des Rebound erkannt zu haben. Dennoch ist man sich auf Seiten der Opposition nicht zu schade gerade solche Maßnahmen vorzuschlagen, die unter diesem Aspekt des Rebound nutzlos sind. Sie führen zu keiner Verringerung der Ressourcennutzung, sondern schädigen nur diejenigen die sie durchführen. Dietmar Hexel (SPD)⁽⁹⁾ gibt dies sogar offen zu, und spricht davon, dass sie keine Strategie haben wie sie den Reboundeffekt verändern können: „Das bleibt der Zukunft überlassen.“

Union und FDP haben sich in dieser Enquete darauf beschränkt Probleme zu indentifizieren, und sind dabei schon den grünen Ideologen auf den Leim gegangen, indem sie Deutungsmuster der Opposition allzu unkritisch übernommen haben. Aufgefallen ist ihnen das erst, als es um die Handlungsempfehlungen ging und die eklatante Disharmonie von Erkenntnis und Lösungsvorschlägen der Opposition offenbar wurde. Grüne und SPD, nebst Linke, sind an einer Best Practice Strategie nämlich gar nicht interessiert und verkünden nur Lösungsvorschläge die zu ihrer Ideologie und ihrem gesamtgesellschaftlichen Deutungsmustern passen.

Womit wir wieder beim Anthropzän wären. Wenn schon die Regierung meint diesen Begriff für die Beschreibung der Gegenwart verwenden zu müssen, dann wird es auch höchste Zeit diesen mit eigenen Inhalten zu füllen. Solchen die ohne die katastophistischen⁽¹⁰⁾ Vorstellungen von Übergangs- und Bruchsituationen der Geschichte auskommen. Oder sie gestehen sich ein, den Grünen auf dem Leim gegangen zu sein, aber dies wird man wohl nicht erwarten dürfen.

Verweise / Erläuterungen

(1) Website mit der Videoaufzeichnung dieser 28. Sitzung der Enquete des Deutschen Bundestages „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“. Ebenso dort Download verschiedener Dokumente wie Berichtsentwurf und Änderungsanträge.
[bundestag.de: Enquete Wachstum: 28. Sitzung am 18. Februar 2013]

(2) „Michael Müller. Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion von 1994 bis 2005. Parlamentarischer Staatssekretär von 2005 bis 2009. Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands. Präsidium des Deutschen Naturschutzrings.
[bundestag.de: Michael Müller]

(3) „Nach Ansicht des Publizisten Meinhard Miegel hat sich die Wachstumsphilosophie erschöpft. Die Grenze der wirtschaftlichen Steigerung sei erreicht. Daher müsse anstelle des materiellen ein immaterieller Wohlstandsbegriff treten.“
[dradio.de Die Grenze ist erreicht]

(4) Siehe auch den Bericht von der 26. Stitzung der Enquete.
[glitzerwasser: Die Enquete und das Nichtprofitprinzip in der Wirtschaft]

(5) Der [...] Begriff, Anthropozän, wurde von Paul Crutzen geprägt und wird vor allem dann verwendet, wenn der schädliche Einfluss des Menschen auf die Natur und die Geosysteme beschrieben wird.
[glitzerwasser: Anthropozän und Technium]

⁽⁶⁾ „Judith Skudelny, FDP, Rechtsanwältin, Verheiratet; zwei Kinder. Rechtsanwältin in einer mittelständischen Kanzlei mit den Schwerpunkten Sanierungs- und Insolvenzrecht. Politisch engagiert seit 1993, zunächst bei den Jungen Liberalen, der Jugendorganisation der FDP; seit 1998 Mitglied der FDP. Seit 2004 Mitglied des Gemeinderates Leinfelden-Echterdingen; 2009 Wiederwahl in den Gemeinderat und Einzug in den Deutschen Bundestag.“
[bundestag.de Judith Skudelny]

(7) „Energieeffizienzmaßnahmen allein haben also wenig bis keine Auswirkung auf eine angestrebte Schonung von Ressourcen, manchmal führen dieses gar ins Gegenteil, dass hinterher mehr verbraucht wird als vorher.“
[science-Skeptical.de: Energieeffizienz, Rebound und Backfire]

(8) „Doch hier ist er in eine Falle getappt, weil er an anderen Orten erst in jüngster Vergangenheit andere Positionen vertreten hat, oder eigene Erkenntnisse verschweigt, die er aber nachweislich hat. Hier möchte ich besonders auf seine Tätigkeit als Leiter der Projektgruppe 3 in der Enquetekommission »Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität« hinweisen.
[glitzerwasser: Ott bei Friedman, oder wie mit falschen Ängsten Politik gemacht wird]

⁽⁹⁾ „Dietmar Hexel gehört seit 2002 dem Geschäftsführenden Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) an. Dort verantwortet er die Felder Struktur-, Industrie- und Dienstleistungspolitik, Mitbestimmung und Corporate Governance, gewerkschaftliche Organisationspolitik und -entwicklung sowie den DGB-Rechtsschutz.“
[bundestag.de: Dietmar Hexel]

(10) „ Im Gegensatz zum klassischen Aktualismus (oder vielmehr: Gradualismus) geht man bei der katastrophistischen Betrachtung der Natur auch von einmaligen und unumkehrbaren Ereignissen aus, die sehr rasch vorübergehen können und dennoch große und bleibende Veränderungen bewirken.“
[wikipedia.de: Katastrophismus]


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