28. Februar 2013

Wollt Ihr den totalen Ökologismus?

In der Enquete Wachstum des Bundestages stellte der Sachverständige Michael Müller, SPD Politiker und Mitglied diverser Umweltorganisationen, in Frage, ob die Mechanismen der Industriegesellschaft heute noch Zukunft haben. Ständige Ausdifferenzierungen, Beschleunigungen sowie die Inanspruchnahme von fossilen Lebensgrundlagen, stellt er in ihrer Sinnhaftigkeit in Frage. Doch es geht noch weiter, fest verankerte Denktraditionen der Moderne seien nicht mehr haltbar. Damit ist er nicht allein, selbst so besonnene Menschen wie der Biochemiker Gottfried Schatz sieht in Ausdifferenzierungen, oder Spezialisierung, eine Gefahr für die Naturwissenschaften. Ein Entfremdung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften hätte dazu geführt, dass einerseits unsere Erkenntnisse permanent wachsen, doch diese nicht mehr in einem größeren Zusammenhang gesehen werden können und wünscht sich neue Formen der Geisteswissenschaften, die den Naturwissenschaften nach Jahrhunderten der Feindschaft wieder die Hand geben und einen größeren Sinnzusammenhang herstellen. Doch diese angesprochenen funktionalen Ausdifferenzierungen geschehen allumfassend, zum Beispiel in autonome Gebiete wie Kunst, Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Recht und Religion und kennzeichnen die liberalistische Moderne, wie Max Weber oder Niklas Luhmann, sowie weitere Modernisierungstheoretiker, darin erkannt haben. Dies wäre geradezu die Signatur der Moderne.

Doch nicht nur in Politik und Wissenschaft sind diese Differenzierungen allgegenwärtig. Menschen trennen zwischen Privat und Geschäft, Familie und Einzelperson, persönlichen Überzeugungen und Religion und dergleichen Unterscheidungen mehr - alles Bereiche mit jeweils eigener innerer Logik und Begründungen. Funktionale Ausdifferenzierungen führen zu Vorstellungen von autonomen Lebensbereichen nicht nur in Gesellschaft und Politik, sondern bis rein ins persönliche Selbstbild. Ein Gesamtzusammenhang dieser einzelnen Felder kann immer schwieriger hergestellt werden, weder Religion noch geisteswissenschaftliche Philosophie bilden einen allumfassenden Rahmen oder den Kitt der diese Einzelfelder gesamtgesellschaftlich oder für jeden Einzelnen zusammenhalten.

Dies muss gewissermaßen als Kollateralschaden der Moderne angesehen werden, ganzheitliche Narrative die uns das Leben, die Welt und den Kosmos erklären gibt es nicht. So wie jedes einzelne Individuum eine Balance zwischen verschiedenen Anforderungen und Narrativen finden muss, so gilt dies auch für Gesellschaften in jedweder Form. Einen Rückfall in voraufklärerische Zeiten ist ausgeschlossen, Wissenszuwachs und die damit zwangsläufig einhergehende Spezifizierung lassen sich nicht ungeschehen machen. Ein permanenter Aushandlungsprozess entstand und betrifft das Individuum für sich allein ebenso wie Gesellschaften.

An Versuchen ganzheitliche Strukturen zu schaffen hat es nicht gemangelt, Denkmuster und Narrative die alles unter einem übergeordneten Leitbild gruppieren wollten und somit in jedes Einzelgebiet hineinwirken sollten. In gewisser Weise ließe sich damit alles Politische erklären, Aushandlungsprozesse zu steuern und einen gemeinsamen Sinn geben. Solange dies im Wettstreit um die besten Erklärungen und Lösungen geht, und niemand von sich behaupten kann, die Wahrheit gefunden zu haben und eigene Erkenntnisse und Narrative über die der anderen stellt, wird es auch kein Problem für die Freiheit. Diese nämlich, die Freiheit, ist die eigentliche Triebfeder der Moderne und führt letztlich zu eben diesen Ausdiffenzierungen in allen Lebens- und Gesellschaftsbereichen.

Aushandlungsprozesse werden gestoppt, wenn sich Ideologien zu etablieren beginnen. Im weiteren Sinn gehören da auch Religionen dazu, vor allem dann, wenn sie auf einer Unterscheidung zwischen wahr und falsch beruhen. Sämtliche monotheistischen Religionen betrifft dies, ebenso Ideologien wie Kommunismus und Faschismus, um nur die herausragendsten zu nennen. Schon die umgangssprachlichen Begriffe wie wahrer Glaube oder richtige Einstellung machen deutlich, dass es eben auch einen falschen Glauben und falsche Einstellungen gibt. Dies führt zur Polarisierung und letztlich zur Feinschaft, was aber im täglichen Leben meist verborgen bleibt. Es werden Verträge geschlossen, auf verschiedenste Weise kommuniziert und kooperiert. Erst im Ernstfall enthüllt sich der wahre Charakter dieses Prinzips, wonach sich die Menschen assoziieren und dissozieren. So jedenfalls Jan Assmann in einer Vorlesung über Ursprung und Wesen von religiöser Gewalt.

Ideologien müssen nicht zwangsläufig zur Spaltung in Freund und Feind, oder zur Unterscheidung zwischen wahr und falsch führen, da diese auch das Bestreben zur Hegemonie haben. Ausdifferenzierungen, wie sie in einer modernen freiheitlichen Gesellschaft entstehen, werden unter die Hegemonie der Ideologie gestellt. Gerade unter der Ideologie des Ökologismus sind derzeit solche Bestrebungen zu erkennen. Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind die Vokabeln die dafür verwendet werden um die ökologistische Ideologie in sämtliche andere Kulturbereiche, in die Wissenschaft und Politik, die Wirtschaft, ja bis ins Private hinein zu tragen. So wie in voraufklärerischen Zeiten alle Wissenschaft und Politik mit Gottes Wort, welches wahr ist, in Einklang gebracht werden musste, so ist es heute der Ökologismus der sich als alles bestimmend entwickelt. Sämtliche politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen sollen dem Nachhaltigkeitspostulat unterliegen oder dem Klimaschutz, als Oberbegriff dem Ökologismus eben. Ausdiffernzierungen und Aushandlungsprozesse wie sie die Moderne kennzeichnen werden unterdrückt.

Zusammengefasst lässt sich sagen, diese Hegenomiebestrebungen des Ökologismus auf alle Lebensbereiche laufen auf einen Totalitarismus unter dem Deckmantel Ökologismus hinaus. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür lieferte unlängst die Meldung, wonach 20% des EU-Haushaltes für den Klimaschutz bereitgestellt werden. Dies nicht, und das ist hier besonders wichtig, als eigenständiger Posten, sondern in alle wichtigen Ausgabenbereiche integriert. Unzählige weitere Beispiele könnten aufgezählt werden. Der Ökologismus will die in der liberalistischen Modere entstandenen Ausdifferenzierungen in autonome Gebiete überwinden und durch eine totalisierende und hegemonisierende Ideologie ersetzen. Und da der Ernstfall ausgerufen ist, kann es keine Aushandlungsprozesse mehr geben, und zwingt uns zum totalen Ökologismus.

Michael Müller hat Recht, mit den Denktraditionen der Moderne ist dies nicht vereinbar.



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