Die Abgeordneten des 18. Bundestages haben schon ihre Plätze probiert, die Büros bezogen, und warten nun darauf, dass es richtig los geht. Solange die Koalitionsverhandlungen im Gange sind, solange wagt sich keiner richtig aus dem Häuschen. Gelegenheit also sich einmal anzuschauen, wer denn in den Bundestag eingezogen ist. Wie gelangten sie auf die begehrten Sitze? Bei den Direktkandidaten ist es klar, die haben ihren Wahlkreis gewonnen, bei den andern eigentlich auch, die sind über die Landeslisten ihrer Parteien nominiert.
Aber gerade dieses Verfahren führt in der Praxis zu sonderbaren Ergebnissen. Nehmen wir als Beispiel mal die Abgeordneten aus Baden-Württemberg. Hier hat die CDU alle Direktmandate gewonnen, hinzu kommen noch 5 Kandidaten aus der Landesliste, was wir aber unberücksichtigt lassen können. Von der SPD, den GRÜNEN und den LINKEN sind nur die nach Berlin gelangt, die auf einem entsprechend gutem Listenplatz platziert waren. Wie die sich in ihren Wahlkreisen geschlagen haben spielte keine Rolle, sie hätten, wenn es nur um sie selbst gehen würde, den ganzen Wahlkampf über im Bett verbringen können, oder in der Karibik, sie wären trotzdem gewählt worden. Die Landesliste machts möglich.
Tatsächlich haben die das natürlich nicht getan, sondern sich in Wahlkreisen als Kandidaten aufstellen lassen und hatten im Wahlkampf wahrscheinlich eher ein Schlafdefizit, und ganz sicher keinen Urlaub. Wie sie aber bei ihren Wählern angekommen sind, denn die Erststimme ist ja ausschließlich für den Kandidaten bestimmt, das hat keine Rolle gespielt. Ute Vogt von der SPD beispielsweise, hat mit 18% das schlechteste Erststimmenergebnis in BW eingefahren, sitzt aber dank ihres Listenplatzes im Bundestag. Parsa Ahmadi-Marvi hingegen, hat in seinem Wahlkreis, Karlsruhe Stadt, fast 30% bekommen, was das drittbeste Ergebnis landesweit war, doch der bleibt in Karlsruhe, weil er mit seinem Listenplatz Nummer 31 keine Chance hatte. Von den zwanzig SPD Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg haben erstaunlich viele keinen Zuspruch von den Wählern erhalten, und in ihren Wahlkreisen miserabel abgeschnitten. Wenn man das Wählervotum zugrunde legen würde, dann dürften neun von den zwanzig nicht nach Berlin gehen. Joachim Rücker aus Böglingen, Thomas Mengel aus Lörrach-Mühlheim, Claudia Süder aus Aalen-Heidenheim, Daniel Born aus Bruchsal-Schwetzingen, Michael Wechsler aus Esslingen, Vanessa Rieß aus Karlsruhe, Nicolas Schäfstoß, Thorsten Majer und der schon erwähnte Parsa Ahmadi-Marvi wären statt dessen Bundestagsabgeordnete.
Nicht viel anders bei den GRÜNEN. Hier sind es drei Kandidaten denen es nichts nützt in ihrem Wahlkeis besser abgeschnitten zu haben, als drei andere die nun im Bundestag sind. Immerhin drei von zehn. Bei den LINKEN ist es verhältnismäßig noch ungerechter. Wenn es nach dem Wähler gehen würde, dann wären drei von fünf Abgeordneten auszutauschen. Die CDU taucht in dieser Aufzählung nur deswegen nicht auf, weil sie in Baden-Württemberg alle Direktmandate gewonnen hat, vergleicht man die Ergebnisse in anderen Bundesländern, dort wo die Union nicht so stark ist, dann ergibt sich sicher das gleiche Bild.
Nun könnte man hier natürlich einwenden, dass das doch eigentlich egal ist und am Kräfteverhältnis im Bundestag nichts ändert, was aber nur stimmt, wenn man es aus der Perspektive der Parteien betrachtet. Für den Wähler und Bürger ist es nicht egal, der wählt mit seiner Zweitstimme die Partei, die Erststimme aber gilt dem Kandidaten. Hat der keine Chance auf das Direktmandat, wie es üblicherweise bei den kleinen Parteien von SPD bis FDP der Fall ist (jedenfalls in BW), dann kann sich der Wähler die Stimmabgabe auch schenken.
Doch auch das ist noch nicht einmal das Schlimmste an diesem Wahlsystem, sondern, dass der Kandidat sich in allererster Linie seiner Partei verpflichtet sieht und nicht dem Wähler. Der Listenplatz entscheidet ob er im Bundestag sitzt. Das würde sogar geschehen, wenn er keine einzige Stimme bekommt. Die Interessen der Partei sind allemal wichtiger, denn sollte der Kandidat eine abweichende Meinung haben, eine die den speziellen Wünschen und Vorstellungen der Wähler in seinem Wahlkreis näher kommt, dann wird er diese hinten an stellen müssen um nicht beim nächsten mal mit einem aussichtslosen Listenplatz bestraft zu werden.
Listenplätze fördern den Opportunismus und sind ein beliebtes und wirkungsvolles Machtinstrument um die eigenen Leute zu disziplinieren. Besser wäre es den Wähler sprechen zu lassen, der erstellt mit seiner Stimmabgabe die Liste. Es würde so nebenbei auch eine ganz andere Kultur in den Wahlkampf einziehen, wenn der Sozialdemokrat sich gegenüber dem grünen Kandidat abgrenzen muss, der Freidemokrat gegenüber dem Christdemokrat, und so weiter. Positionen würden erkennbarer werden. Es wäre ein Gewinn für die Meinungsfeinheit, die in dem bisherigem Wahlsystem eindeutig unterdrückt wird.
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AntwortenLöschenIn BW haben die Grünen eine Initiative gestartet mit der Listenplätze, die es im Landeswahlrecht bislang nicht gibt, eingeführt werden sollten. Als Grund gaben die Grünen an, dass das bisherige System Frauen benachteiligen würde und sie über Listen einen Ausgleich schaffen wollten.
AntwortenLöschenWie man sieht, auch hier geht es den Grünen eindeutig darum nichtdemokratische Verfahrensweisen einzuführen um der Parteieninteressen besser durchsetzen zu können. Der Wähler stört da nur.
Doch wie die WELT berichtet, scheint die Initiative gescheitert zu sein.