30. Juni 2014

Mein Kommentar zum Artikel «Wie Deutschland sich der Zukunft verweigert»

Peter Heller zitiert in seinem Artikel «Wie Deutschland sich der Zukunft verweigert» im Science-Skeptical-Blog aus einem Papier des BMWi folgendes:
Die Wirtschafts- und Innovationstätigkeit einer Gesellschaft wird von ihren Wertvorstellungen beeinflusst.
Mein Kommentar dazu: Wertvorstellungen entstehen durch die Moral, und die ist einer ständigen Wandlung unterworfen.

Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse, oder besser, wenn scheinbar wissenschaftliche Erkenntnisse, Moral kreieren, wie zum Beispiel die Vorstellung, die Erde würde von uns Menschen "übernutzt", gibt es immer noch mindestens zwei Lösungsansätze. Pioniergeist oder Suffizienz. Das heißt, selbst wenn man von alarmistischen Grundannahmen ausgeht, heißt das nicht zwingend, dass eine Recyclingwirtschaft und -gesellschaft entstehen muss. Selbst unter solchen alarmistischen Grundannahmen kann eine Pioniergesellschaft innovativ sein. Bill Gates ist nicht gerade dafür bekannt, alarmistischen Behauptungen über den Klimawandel oder die Recourcen betreffend zu widersprechen. Doch er hat eine andere Antwort darauf als beispielsweise Faulstich.

Doch dann ist noch die andere Seite der Medaille. Die Menschen haben Bedürfnisse, beispielsweise Kippen und Cola, oder Müsliriegel. Hier und Jetzt. Diese Bedürfnisse müssen mit der Moral in Einklang gebracht werden, und über kurz oder lang geschieht das auch. Moral ist nichts statisches.

Doch in Deutschland haben sich Tabus etabliert, Kernkraftnutzung als Beispiel, oder Gentechnik. Obwohl sie eine Lösung aus dem Dilemma der alarmistischen Grundannahmen sein könnte, wird sie nicht einmal angedacht. Eine Abwägung zwischen Risiko und Nutzen findet nicht statt, das Tabu darf nicht angetastet werden und dieser Vorgang gleicht in meinen Augen den Ernährungsvorschriften in Religionen. Die hatten vielleicht mal ein praktischen Sinn, doch ist dieser heute nicht mehr relevant, zumindest dort wo Kühlketten funktionieren, oder Maschinen die Arbeit von Rindern übernehmen können. Dennoch bleiben die Verbote bestehen.

Hat es vielleicht früher einmal einen Sinn gemacht, auf Kernkraft zur Stromerzeugung zu verzichten, weil die ungelösten Fragen bezüglich "Atommüll" im Raum standen, oder auch verschiedene Sicherheitsbedenken, so ist das doch heute überholt. Doch das spielt in Deutschland keine Rolle. Eine Art negatives Totem ist entstanden. Identifizierung erfolgt über das Abgrenzungsprinzip entgegengesetzt zum normalem Totem. So will man, nein falsch, so darf man nicht sein. Die Moral gebietet es, das Totemtier nicht zu essen, weil die (meist primitive) Gesellschaft eben dieses Totem verehrt, die entsprechenden Mythen erklären dann die Moral, die wiederum zum Teil der eigenen Identität wird.

Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Denkverbote, die Tabus, bereits so tief im Selbstverständnis der Gesellschaft verankert sind, wie es ein Totem ist, oder religiöse Ernährungsvorschriften. Die Menschen wollen heute Kippen, Cola und Müsliriegel, und morgen fliegen und auf dem Mond Urlaub machen. Und dies werden nur Gesellschaften erreichen, in der Pioniergeist ein wichtiger Teil der Moral ist.


6 Kommentare :

  1. @QQ, zu Ihrem ScSk-Beitrag (http://www.science-skeptical.de/politik/wie-deutschland-sich-der-zukunft-verweigert/0012152/#comment-596803): “Doch in Deutschland haben sich Tabus etabliert, Kernkraftnutzung als Beispiel, oder Gentechnik. Obwohl sie eine Lösung aus dem Dilemma der alarmistischen Grundannahmen sein könnte, wird sie nicht einmal angedacht. Eine Äbwägung zwischen Risko und Nutzen findet nicht statt, das Tabu darf nicht angetastet werden und dieser Vorgang gleicht in meinen Augen den Ernährungsvorschriften in Religionen.”

    Nun, bei der Kernkraft kann man nicht sagen, dass man es in Deutschland nicht versucht hätte oder gar nicht angedacht war. Aber seit Ende der 80er Jahre war abzusehen, dass hier keine neue Generation von KKWs geben wird, nachdem auch die FDP das ablehnte.

    Im letzten Satz schwingt die Unterstellung mit, dass diejenigen, die sich gegen Kernkraft, Gentechnik usw. aussprechen, vorher keine Nutzen-Kosten-Abwägung gemacht haben, sondern das aus einem Tabu heraus tun. Damit unterstellen Sie, dass Gegner bestimmter Technologien irrational, und Befürworter stets rational urteilen. Mit diesem Vorurteil hat man dann auch immer in Diskussionsforen zu kämpfen, wenn man sich kritisch zu der einen oder anderen Technologie äußert. Schade. Mir ist schon bewusst, dass es immer Menschen geben wird, die die Marktwirtschaft als wahre moralische Legitimation ansehen und andere wiederum als vollkommen unmoralisch und verdorben. Diese Stimmen sind zudem in solchen Diskussionen oft unerträglich lautstark, ich hoffe aber auf die Beharrlichkeit der gemäßigten und konstruktiven Diskussionspartner, denn nur von denen kann man wirklich etwas lernen.

    (Dieser Kommentar erschien im Blog «Primaklima» und wurde von mir hier eingefügt. QQ)

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  2. @ shader,

    „Aber seit Ende der 80er Jahre war abzusehen, dass hier keine neue Generation von KKWs geben wird, nachdem auch die FDP das ablehnte.“

    Hat die FDP dies wirklich? Aber egal. Ich stimme Ihnen zu, dass es politisch nicht mehr durchsetzbar war, in Deutschland neue Kernkraftwerke zu bauen. Über neue Generationen wurde kaum geschrochen, der Ausblick blieb lediglich hinsichtlich der Kernfusion bestehen.

    Die Disskussion in den 80ern hatte ja noch viele andere Aspekte. Da spielte der Kalte Krieg noch mit rein, und vieles mehr. Nur ist die Frage, kann man eine damilige Entscheidung heute noch genauso begründen? Ich glaube nein. Einerseits hat sich die Welt politisch gewandelt, andererseits hat es Weiterentwicklungen in der Technologie gegeben. Dass heißt, Kernkraft oder Gentechnik wird abgehnt mit Begründungen aus der Vergangenheit, die aber heute nicht mehr gültig sind, die vielleicht auch nie rational waren.

    Dennoch hat die jetzige Disskussion um die Kernkraft Deutschland nicht erreicht, bis auf wenige Ausnahmen wird es als Tabuthema behandelt. Alles soll schön nachhaltig sein und regerativ. Dabei sind die Probleme, oder die eingebildeten Probleme, anders viel besser lösbar. Die vermeintliche Klimakatastrophe könnte man viel besser mit neuen Generationen von Kernkraftwerken angehen, die Gentechnik könnte den Flächenverbrauch reduzieren, also alle die Probleme die in der grün-ökologistischen Ecke kreiert werden, und die die Nachrichtenspalten füllen.

    Nein, diese Technologien, die eine Antwort auf die vermeintlichen Probleme darstellen würden, werden tabuisiert mit Begründungen aus der Vergangenheit. Das dies immer noch wirkt, hat eben damit zu tun, dass sie Eingang in die allgemein akzeptierte gesellschaftliche Moral gefunden haben.

    Doch das wird sich ändern, weil sich die Moral der Realität anpassen muss. Irgendwann fliegen dann auch Tabus über Bord.

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  3. “Hat die FDP dies wirklich? Aber egal.”

    Ja. Es gibt ja wirklich gute Sender wie BR alpha (seit letzter Woche ARD alpha), die bringen kurz nach Mitternacht die Tagesschau vor 25 Jahren. Für mich als interessierter Mensch auch in jüngerer Geschichte eine gute Gelegenheit, die jugendliche Erinnerung von damals mit Zeitzeugnissen abzugleichen. Ende der 80er Jahre war das Thema Kernkraft ziemlich en vogue in der alten Bundesrepublik. Alle damaligen relevanten Parteien waren sich zumindest dahin einig, dass neue Kernkraftwerke zumindest von staatlicher Seite nicht mehr in Frage kommen.

    “Die Disskussion in den 80ern hatte ja noch viele andere Aspekte. Da spielte der Kalte Krieg noch mit rein, und vieles mehr. Nur ist die Frage, kann man eine damilige Entscheidung heute noch genauso begründen? Ich glaube nein.”

    Auch wenn es eher eine rhetorische Frage war, ich finde das kommt auf die konkrete Entscheidung an. Politische Einschätzungen sind auch dem Wandel unterworfen, genauso die Relevanz von einzelnen Argumenten.

    “Dass heißt, Kernkraft oder Gentechnik wird abgehnt mit Begründungen aus der Vergangenheit, die aber heute nicht mehr gültig sind, die vielleicht auch nie rational waren.

    Dennoch hat die jetzige Disskussion um die Kernkraft Deutschland nicht erreicht, bis auf wenige Ausnahmen wird es als Tabuthema behandelt.”


    Sorry, aus Ihrer (und anderer) Sicht mag das durch plausibel klingen, mir gehen die Schlussfolgerungen ein bissel arg schnell. Zum einen müssen Argumente, die schon in der Vergangenheit angewendet wurden, nicht automatisch heute keine Gültigkeit haben. Zum anderen sehe ich nicht, dass man sich immer nur alter Argumente bedient. Fukushima ist ja an sich kein altes Argument, sondern eine neue Erfahrung mit einer eigentlich bekannten Technologie. Auch das ist eine typische Situation, die im Laufe der Zeit auftreten kann, dass neue Beobachtungen zu einem Prozess existieren, die man mit in neue Entscheidungen einfließen lässt. Beispiel: Acrylamid in der Essenszubereitung. Entstanden ist es schon immer, doch erst spät hat man festgestellt, dass auch eine erhöhte Acrylamiddosis im Blut zu finden ist, wenn man bestimmte Produkte häufiger isst und das mit den Produktionsprozessen zu tun hat.

    In der Regel ist es eher so, dass man technische Prozesse mit der Zeit kritischer sieht als früher und seltener umgedreht. Das hat auch etwas mit dem gestiegenen Sicherheitsbedürfnis moderner Gesellschaften zu tun.

    Und generell zum “Tabuthema”. Ich habe den Eindruck (kann mich auch täuschen), sobald über ein Thema in der Öffentlichkeit kaum oder gar nicht gesprochen wird (oder über eine bestimmte Einstellung zu einem Thema), dann ziehen Sie den Schluss, aha, es ist ein Tabuthema. Ich bin jetzt kein Geisteswissenschaftler, aber ein Tabu wird schon an schärferen Kriterien festgemacht. Ein wesentliches Merkmal ist aus meiner Sicht, das man keinerlei rationale Begründung für eine Entscheidung anführt. Das sehe ich bei genannten Beispielen nicht wirklich gegeben.

    (wird fortgesetzt...)

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  4. (Fortsetzung...)

    Generell sehe ich es so, dass die mediale Öffentlichkeit immer nur wenige Themen im Brennpunkt für eine gewisse Zeit behandeln kann. Wenn ein Thema oder Ansicht nicht in diesen Fokus reinkommt, heißt das noch lange nicht, dass es sich um ein Tabu handelt. Im übrigen kann man nicht wirklich sagen, dass die Kernkraftwerke in den letzten Jahren so gar nicht Thema in der öffentlichen Wahrnehmung waren. Wie dem auch sei, es gibt eigentlich hunderte von Themen, von denen ich denke, dass sie unbedingt mehr öffentliche Aufmerksamkeit verdient würden. Aber man kann das nicht erzwingen. Ich sehe das sogar teilweise(!) als marktwirtschaftlichen Prozess. Welche Themen medial behandelt werden, ist zum großen Teil (nicht in allen Fällen) das Ergebnis aus Angebot und Nachfrage von Themen. Wenn das gesellschaftliche Interesse nicht sehr groß ist, ist es selbst mit starken medialen Push kaum möglich, daraus ein Riesenthema zu machen. Umgekehrt, wenn intrinsisch zu einer bestimmten Ansicht ein hohes gesellschaftliches Interesse besteht, dann fällt es den Medien schwer, auf Dauer an dem Thema vorbeizukommen.

    Ich erlebe es sehr häufig in Foren (nicht zwangsläufig über das Klima oder Energiepolitik), wo User oft nicht verstehen können, warum ihr Spezialthema so wenig Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit genießt, ja, sogar eher Außenseiterstatus hat. Da spielt wohl auch eine gewisse Betriebsblindheit mit. Auch ich muss mich immer vergegenwärtigen, dass nicht jeder die Klimadebatte in hoher Intensität mit dem aktuellsten Stand verfolgt, jeder hat so seine eigenen Themen, die er für wichtig hält.

    P.S.: Zum besseren Verständnis, ich verwende “Themen” und “Ansichten” hier als Synonyme, nicht das der Einwurf kommt, dass Themen nicht tabuisiert werden, aber bestimmte Ansichten schon.

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  5. Herr Hader,

    Sie haben recht, wenn sie meine Verwendung des Begriffs Tabu kritisieren, wenn es so angekommen ist, als dass nicht darüber gesprochen wurde. Ein Beispiel, es war unter Journalisten lange bekannt, dass Westerwelle schwul ist, doch die Journalisten hielten sich, zu der Zeit noch, an ihre Ethik, dass das Privatsache sei. Erst als er sich selbst bekannte, wurde das Tabu durchbrochen, war dann keines mehr.

    Über die Kernkraft wird natürlich gesprochen, aber es traut sich kaum einer der in der politischen Öffentlichkeit steht, diese zu befürworten. Das ist das Tabu. Das Thema wurde moralisch schlecht aufgeladen, genauso wie die sogenannten EE moralisch gut. Das Tabu ist der Politik. In den Medien lassen sich heute, schon durchs Internet, Tabus im eigentlichen Sinne nicht mehr aufrecht erhalten.

    Argumente verlieren nicht automatisch ihre Gültigkeit. Nur ändern sich die Umstände und die Bewertungen, deshalb muss geprüft werden, welche Argumente noch verwendet werden dürfen im Sinne einer faktenbezogenen Diskussion, und welche Argumente, vor allem wenn sie der Vergangenheit entspringen, auf die emotionale Ebene abzielen. Sprich Ängste schüren.

    Ihrer Einschätzung des gestiegenen Sicherheitsbedürfnis kann ich mich weitestgehend anschließen. Wenngleich ich hier auch noch andere Vorgänge am wirken sehe. Und zwar eine sehr konservative Grundhaltung im Sinne von bewahren, festhalten an das an was man sich gewöhnt hat und deswegen eine scheinbare Sicherheit vermittelt.

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  6. "Ein Beispiel, es war unter Journalisten lange bekannt, dass Westerwelle schwul ist, doch die Journalisten hielten sich, zu der Zeit noch, an ihre Ethik, dass das Privatsache sei. Erst als er sich selbst bekannte, wurde das Tabu durchbrochen, war dann keines mehr."

    Das ist, Quentin Quencher, sogar ein ziemlich gutes Beispiel, wie ich finde. Man hat damals nicht darüber diskutiert, ob das nun gut oder schlecht ist, einen Politiker zu outen. Und man tat es einfach nicht, jemanden in der Öffentlichkeit zu outen. Man hat es einfach so akzeptiert, stillschweigend, eine Tradition aus vergangenen Jahren, kurzum ein Tabu. Außenstehende wussten noch nicht mal, dass es einen schwulen Parteivorsitzenden gab und ein derartiges Tabu.

    "Über die Kernkraft wird natürlich gesprochen, aber es traut sich kaum einer der in der politischen Öffentlichkeit steht, diese zu befürworten. Das ist das Tabu."

    Und genau an der Stelle verstehe ich Ihre Argumentation nicht. Zuerst haben Sie ein wirklich gutes Beispiel für ein Tabu angegeben und bringen im Vergleich die Kernkraftdiskussion, was schon rein qualitativ nicht zusammenpasst. Es geht schon damit los, dass es sehr wohl öffentliche Debatten über die Kernkraft gibt, wo deren Vertreter ihre Pro- und Kontra-Argumente hervorbringen. Allein eine derartige Debatte hat beim ersten Beispiel gar nicht existiert. Erst als man an diesem Tabu heftig rüttelte, wie zum Beispiel durch Rosa von Praunheim. Er hatte in den 90er Jahren eine Reihe von Prominenten geoutet und damit im wahrsten Sinne des Wortes ein Tabubruch begangen. Wer bei der Kernkraftdebatte Argumente pro Kernkraft bringt, begeht hingegen kein Tabubruch, sondern gibt die Meinung einer Gruppe wieder, die momentan nicht in der Mehrheit ist.

    "Das Thema wurde moralisch schlecht aufgeladen, genauso wie die sogenannten EE moralisch gut."

    Das hat mit Sicherheit auch stattgefunden und es gibt schon einige "Experten", die bestimmte Themen gerne moralisch aufladen. Allerdings wird die Moral von einzelnen Leuten nicht automatisch auf eine ganze Gruppe oder Gesellschaft übertragen.

    Ich kann mich letztlich nur wiederholen, wenn es zu einem bestimmten Thema eine Meinung gibt, die von einer Mehrheit getragen wird, dann muss das nicht wirklich an einem angeblichen Tabu liegen. Der uns bekannte Webbaer meinte parallel im Primaklima, dass es Meinungen gibt, mit denen man sich in der Masse unbeliebt macht. Das ist glaube der Sachverhalt, den einige als Tabu bezeichnen, wenn man als Mensch so eine unliebsame Meinung kundtun will. Ich bin nur der Ansicht, dass das nichts mit einem Tabu zu tun hat, sondern eine normale Beobachtung auf dem Meinungsmarkt ist. Wer Sympathiepunkte bei anderen sammeln will (weil er sie vielleicht fürs eigene Ego braucht), der sollte tatsächlich von einigen Meinungen abstand nehmen. ^^

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