10. Mai 2018

Schnipsel 2018, Zweite Sammlung

 
Meine Frau ist Filipina, hat noch die philippinische Staatsbürgerschaft und nicht vor in die deutsche zu wechseln. Die Kinder haben beide Staatsbürgerschaften, eben die der Eltern. Wer weiß, so denke ich heute manchmal, für was das noch gut sein kann, wenn es mit Deutschland und Europa so weitergeht.

 
Ich hatte immer Alternativen im Denken, immer konnte ich mir vorstellen, in einer anderen Welt, als der mich gegenwärtig umgebenden, zu sein.

 
Als meine Freunde und Kumpels, die welche später bei den Grünen und anderen Esoterikern landeten, mit Hingabe Hesse lasen, Joan Baez, Bob Dylan oder Leonard Cohen hörten, hörte ich lieber Led Zeppelin und las Canetti, Kerouac und Diderot.

 
Mitläufer und Opportunisten in totalitären Systemen, sind diese Art von Opfer, die sich freiwillig und zum scheinbar eigenen Vorteil, mit ihren Freiern und Zuhältern ins Bett legen. Sie sind im Grunde Prostituierte.

 
Warum der Blick von Ex-DDRlern geschärfter ist: Unter dem besonderen Druck einer Diktatur werden halt oftmals Dinge erkennbar, die eigentlich überall vorkommen, nur eben selten so offensichtlich werden. Wird ein Mainstream aber totalitär, zeigen sich die gleichen Symptome wie in einer Diktatur.

 
Die Reformbewegungen in der Union, die Abweichler bei den Sozialdemokraten, einzelne Stimmen der FDP, ja gar die weich gespülten in der AfD, erinnern mich ans ›Neue Forum‹, an Leute also, die etwas am Leben halten wollen, was aber nicht überlebensfähig ist: damals die DDR, heute die alte Bundesrepublik.

 
Was Autorität betrifft, bin ich eher bei Arnold Gehlen oder Sloterdijk, die meinen, dass Orientierung an Autoritäten eine Folge der Instinktarmut des Menschen sei (aus dem Kopf, habe jetzt nicht nachgeschlagen). Vorstellbar ist, dass in einer gefühlten Bedrohungslage, doch so was wie Restinstinkte wirksam werden, die dann nach Autoritäten suchen, von denen sie hoffen, sie würden aus der Bedrohungslage heraus helfen. Dann aber sortieren sich die Menschen, in Freunde und Feinde. Und um zu verstehen, wie dieses sortieren geschieht, lese ich lieber bei Carl Schmitt nach.

 
Wahrscheinlich handelt es sich bei der Amokfahrt in Münster um einen Werther-Effekt.

 
Als ich, in der DDR, ab 1976, eine Maler- und Lackiererlehre machte, meinte der Lehrmeister mal, dass wenn wir uns in der Farbgestaltung unsicher sein sollten: Braun in Kombination mit Grün geht immer. Eigentlich gehören diese Farben zusammen.

 
Das Christentum entwickelt seine ganze spirituelle Kraft, wenn man ihm alle Machtoptionen vorenthält. Ist der Islam dazu fähig, dem es ja in allererster Linie um die Sicherung und Ausbreitung seiner Machtsphäre geht (Canetti)? Was bleibt vom Islam, nimmt man ihm jede Möglichkeit der Macht?

 
Hilft uns die Logik weiter, um Wahrscheinlichkeiten auszuloten? Das Problem dabei ist, die Logik der Anderen zu verstehen. Nur von der eigenen auszugehen ist bequem, damit ist es nicht mehr notwendig, sich mit alternativen Logiken auseinanderzusetzen. Statt Wahrheitsfindung wird dann Rechthabenwollen zum Ziel des Nachdenkens.

 
Ich sollte Geschichten erzählen, politisches kommentieren ödet mich immer mehr an.

 
Es ist mir unmöglich in den derzeitigen Konflikten (Plural!) zwischen »dem Westen« und Russland einzuschätzen, wer von beiden der größere Lügner ist.

 
Wenn ich mir Fremde beim Lügen ertappe, dann berührt mich das nicht persönlich. Belügen mich allerdings meine Frau oder meine Kinder, dann tut es weh. Da ich mich grob dem Westen zugeordnet sehe, schmerzt es eben, ihn beim Lügen zu ertappen.

 
Was ist es, was mich berührt? Will es mich schlagen, streicheln, greifen, oder nur untersuchen und von meinem Wesen erfahren. Es ist unfair, das mich Berührende zeigt sein Gesicht nicht, ich kann nur ahnen, was es ist, wenn ich in mich selbst blicke.

 
Komme gerade zurück vom Brötchen holen. Schön draußen. Die Luft, die Luft ist so klar. Das ist der wesentliche Unterschied zu den Tropen. Dort ist sie schwer und süßlich, hier scheint sie wie gereinigt. Die Versuchung ist groß, zu glauben, es wäre bei atmosphärischen Belangen, den zwischenmenschlichen, auch so.

 
Kindlich neugierig möchte ich wieder sein, beneide meinen Jüngsten darüber, eigentlich alle Kinder. Kommt die kindliche Neugierde im Alter wieder, werde ich meine Sehnsucht danach erfüllt bekommen? Ich befürchte: Nein! Ich werde gezwungen zu kämpfen und genau das macht mir Angst.

 
„Meiden Sie öffentliche Plätze, seit es zuletzt mehrere Angriffe mit Fahrzeugen auf Passanten gegeben hat?“ Fragt Civey. Das tue nicht, aber ich meide Plätze, an denen heute die gewöhnliche Kriminalität dort höher ist als früher. Aber danach fragen die ja nicht.

 
Es wird oft von einer anderen Eigentlichkeit ausgegangen. Eigentlich geht es doch nicht um das Gesagte, der Jargon verrät es. Und so weiter. Gewissensprüfungen werden vor Sachprüfungen gestellt.

 
Der Eindruck verfestigt sich: „Aufgabe der europäischen Innenpolitik ist, zu verhindern, dass Deutsche so was wie eigene Interessen entwickeln und sie gleichzeitig für diese (Selbst)Entmündigung zahlen zu lassen.“

 
Vor der Bundeswehr hatte keiner mehr Respekt, nicht in Europa und nicht anderswo. Doch die DMark war eine Macht, die musste zerstört werden. Weniger vielleicht aus Angst vor der wirtschaftlichen Macht Deutschlands, sondern mehr wegen des identitätsstiftenden Charakters der DMark.

 
Immer wird versucht etablierte Begriffe mit neuen Deutungen zu versehen. Ist normalerweise ein ›linkes‹ Spiel, doch auch Liberale erliegen der Versuchung. Beispielsweise Heimat mit Verfassungspatriotismus zu koppeln.

 
Die Leute hängen ja alle möglichen Dinge aus allen möglichen Gründen auf – Mistelzweige, die sollen Glück bringen – Knoblauch, der hält Vampire fern – Schrumpfköpfe waren irgendwo auch ganz beliebt – nur warum Kruzifixe hierzulande aufgehängt werden, das haben alle vergessen.

 
Zwei junge Kerle auf einem Fahrrad ohne Licht auf der Hauptstraße in Schlangenlinien fahrend. Dann ein dicker Mann in mittleren Alter ebenfalls auf einem Fahrrad ohne Licht auf der gleichen Straße. Erinnerungen an eine bessere Zeit werden wach, heute Abend. Ich fuhr langsam mit dem Auto, ganz freiwillig und lächelte.

 
Meine Tochter wollte vom Religionsunterricht zu Ethik wechseln, ich überließ ihr die Entscheidung. Der Wechsel kam nicht zustande, denn, so sagte sie mir, den Lehrer, den sie bekommen hätte, wäre ein Vollgrüner. Das wollte sie dann doch nicht und blieb bei Religion.

 
Ja, wer kennt sie nicht, all die Zitate von Max Weber.

 
Verdammt, ich will einfach nur sein, wie ich bin und verspreche auch, niemanden anderen böses zu tun, solange man mich in Ruhe lässt. Nur wo darf ich sein, wie ich bin, gibt es einen Ort in diesem Land, wo das möglich ist? Wenn ja, kenne ich ihn noch nicht.

 
Manchmal möchte ich Libertärer sein. Das Problem ist allerdings, dass die Freiräume, welche die Libertären schaffen, sofort von Ideologen ausgenutzt werden. Libertäre müssten wehrhaft sein, das schaffen sie nicht, weil sie, gemäß ihrer Liberalität, schwer Gegnerschaft definieren können.

 
Kollektivisten sind oft so gestrickt, dass jeder der dem Kollektiv nicht angehören will, automatisch ein politischer Gegner ist. Beispielsweise die Nachhaltigen, die mich in ein Schicksalskollektiv zwingen wollen, dessen Grundannahmen ich für prinzipiell falsch halte.

 
Nachhaltigkeit in Zusammenhang mit biologischen Prozessen in der Natur ist Unsinn, genauso der Gleichgewichtsgedanke. Dynamische Systeme fallen von einem Ungleichgewicht ins andere. Nur Einzelprozesse können nachhaltig gestaltet werden, haben dann aber nichts mit dem sogenannten biologischen Gleichgewicht zu tun. Gäbe es wirklich ein aus tariertes biologisches Gleichgewicht als Prinzip in der Natur, wäre damit jegliche Evolution unmöglich, die ja nur durch Ungleichgewicht funktioniert.

 
»Bauchmiezeln«, eines der schönsten Wörter aus Sachsen, finde ich. Kennt man es auch anderswo? Bauchmiezeln hat nicht die versteckte Hinterhältigkeit wie sie im Wort mit eigentlich gleicher Bedeutung »Baupinseln« zu erkennen ist.

 
Die Medien scheinen das Thema »Heimat« kapern zu wollen um den Begriff, nach alt bekannter Manier, in ein ideologisches Korsett zu zwängen. Dabei können die noch nicht mal zwischen »Heimat« und »Zuhause« unterscheiden. Das sind nämlich zwei Paar Stiefel. Ein Zuhause kann ich auch in der Fremde finden, doch die Heimat erklärt mir meine Wesensart, meine Prägung.

 
Ich werde mich erst dann ins allgemeine USA-Bashing einreihen, wenn die Amis Israel im Stich lassen.

 
Wer die Freiheit liebt, aber Israel nicht unterstützt, hilft der Unfreiheit. Ich empfinde für Israel so, wie es Kennedy in Berlin für West-Berlin ausdrückte, und heute eben so heißen sollte: „Ich bin ein Israeli.“

 
Tiere töten in Regel aus zwei Gründen: um zu fressen oder um Rivalen zu beseitigen. Beim Menschen kommen zwar noch eine ganze Menge Gründe hinzu, von der Eifersucht über die Habsucht bis hin zur Kränkung oder empfunden Gesichtsverlust. Wahrscheinlich wurde schon aus jedem möglichen und unmöglichen Grund getötet. Doch diese Gründe sind meist gesellschaftlich geächtet, sie kommen vor, werden aber als Verfehlung angesehen. Nicht so beim Fressen oder beim Rivalen beseitigen, das wird kollektiv ritualisiert und wir nennen es Krieg.

 
Seit Monaten geistert mir der Spruch von Hannah Arendt durch den Kopf: „Nur Kinder gehorchen. Wenn ein Erwachsener gehorcht, dann unterstützt er in Wirklichkeit die Organisation oder die Autorität oder das Gesetz, die Gehorsam verlangen.“ Und so langsam mache ich einfachen Beamten, die Lehrer in den Schulen, die Verwaltungen usw. usf. verantwortlich für die Unterstützung einer falschen und gefährlichen Entwicklung. Am Ende will wieder keiner schuldig gewesen sein, wenn der Karren an die Wand gefahren ist, „ich habe doch nur meine Pflicht getan“, sagen sie dann wieder.

 
Warum Sozialdemokraten immer falsch liegen: Sozis analysieren Probleme wie Naturwissenschaftler, quasi wie im Labor, versuchen eindeutige und eineindeutige Verbindungen herzustellen, und glauben, damit Fehler erkennen und beheben zu können. Es ist eine Denke, die von der Reduzierung lebt. Aber Gesellschaften sind komplexe dynamische Systeme, mit Wechselwirkung, Rückkoppelungen, überhaupt einer Dynamik, die sich nicht mit derartigen reduzierten Modellen abbilden lässt. Lösen Sozis vermeintlich ein Problem, schaffen sie gleichzeitig eine Fülle neuer, die Kollateralschäden ihrer Entscheidungen sind meist schlimmer, als das was sie verbessern wollen, oder sogar verbessert haben.

 
Warum soll ich mich mit einer Ideologie beschäftigen, dem Marxismus beispielsweise, wenn ihre Praxisanwendung so viel Unheil angerichtet hat. Ich lehne sie also ab, ohne sie studiert zu haben, weil sie eben in der Praxis gescheitert ist. Das Recht der Verachtung nehme ich mir deswegen einfach raus, auch bei anderen Ideologien. Mit manchen Ideologien muss ich mich leider beschäftigen, weil sie in der Praxis noch nicht erprobt wurden. Dazu gehört die Nachhaltigkeitstheorie, die weniger Ideologie ist, nur so daherkommt, eigentlich aber eine Religion ist.

 
Ach, der Steinheimer meint, er hätte auch was zum #Kruzifix zu sagen. Es hört sich so an, wie alles was er von sich gibt, man also nicht weiß, ob es vorne oder hinten raus kommt.

 
Was soll den das sein: Wertekunde? Etwa der Versuch humanistische Bildung so einzudampfen, dass es auch Kulturfremde verstehen, oder die Wiederbelebung des jämmerlichen Staatsbürgerkundeunterrichts der DDR? Was auch immer es sein soll, es kann nicht funktionieren, weil die Kultur des Islam keine anderen als die eigenen Werte akzeptiert.

 
Der Glaube an das Schicksal stirbt aus, der moderne Mensch glaubt es selbst in der Hand zu haben – mit der Folge, dass Unterschiedlichkeit als Ungerechtigkeit angeklagt wird.



Dossier: Aphorismen

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