18. Juli 2018

Ein Tag am See

Eine Gruppe junger Männer, ein paar wenige Frauen waren auch dabei, trafen sich am See und begannen schon am Morgen mit der Party. Bier- und Wodkaflaschen gingen rum, es wurde rum geschrien und gepöbelt. Letzteres nehme ich mal an, ich konnte nicht verstehen, was sie sagten, in irgendeiner osteuropäischen Sprache geschah es. Wahrscheinlich kroatisch, ich glaubte auch die Bezeichnung ›Kurva‹ vernommen zu haben, jedenfalls wurde eine der Frauen so bezeichnet. Es war der Tag vor dem Endspiel der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft, vielleicht feiern die sich deswegen, so dachte ich mir. Die Zuordnung ist aber nicht so wichtig.

Für andere anwesende insgesamt eine sehr unschöne Situation: sich aggressiv gebärende, schon am Morgen halb besoffene junge Männer, an einem Platz, an dem ich mit meinen Kindern baden gehen und ein neues Schlauchboot ausprobieren wollte. Ich bin dann auch nicht der Typ, der ruhig bleibt, und machte deutlich, dass ich von ihnen erwarte, sich hier zivilisiert zu benehmen. Es hat nicht viel genutzt, komisch nur, als meine Frau einen der Pöbler mit dem Wort ›Respekt!‹ anschrie, war kurz Stille. Respekt! Respekt! Respekt! wiederholte er eher leise und es schien ihm zu dämmern, dass er den Bogen überspannt hatte. Später kamen dann noch andere Leute hinzu, die Pöbelgruppe vergrößerte sich, doch nun mit Leuten, die offensichtlich noch nüchtern waren und ihre angesoffenen Kumpane ein wenig zur Mäßigung rieten. Es wurde ruhiger, jedenfalls eine Zeitlang, bis die neuen ihren Rückstand beim Alkoholpegel aufgeholt hatten.

Mir wäre das ganze sicher nicht berichtenswert erschienen, ohne die Musik. Am Nachmittag war es dann mit dem Respekt nämlich ganz vorbei. Denn dann wurde Musik gemacht. Nein, die Gruppe musizierte nicht, sondern spielten eine Art Volkslieder mittels Ghettoblaster ab, oder wie auch immer man heute die Dinger nennt. Natürlich in voller Lautstärke, sodass man es noch auf der anderen Seite der Talsperre hören konnte. Es waren die Volkslieder oder jedenfalls so eine Art Volkslieder, die mich irritierten. Wenn es irgendwelcher Punk oder Rap gewesen wäre oder irgendwas anderes was gerade in der Jugendkultur ›in‹ ist, dann hätte es in mein Bild gepasst, dass ich eben von Zusammenkünften junger Männer, die einfach mal über die Stränge schlagen wollen, gehabt habe. Doch das geschah nicht, sondern volkstümliche Gesänge, vielleicht auch ein Mix aus Volksmusik und Schlager, aber eindeutig ethnisch/kulturell eingefärbt und von mir irgendwie Richtung Balkan eingeordnet, plärrten nun über den See. Es hatte was identitäres, und zwar in einer abgrenzenden und ausgrenzenden Variante. Jedenfalls so wie die Party angelegt oder sich ergeben hatte. ›Wir sind hier und wir sind so, wie wir sind und ihr anderen alle habt das hinzunehmen‹, wurde in einer exhibitionistischen Weise kund getan.

Natürlich war den jungen Leuten diese Außenwirkung bewusst, sie wurde nicht nur billigend in Kauf genommen, als Nebenwirkung der Zusammenkunft, sondern war ein wesentlicher Grund für die Art des Auftretens. Es ist kaum vorstellbar, dass sie sich genauso verhalten hätten, wären sie allein unter sich auf weiter Flur gewesen, ohne Publikum und ohne Personen, denen sie sich mitteilen konnten.

Nichts Besonderes also, Gruppenidentitäten werden gerne, gerade von jungen Männern, in aggressiver Art und Weise zu Schau gestellt, insbesondere wenn dann noch Alkohol im Spiel ist. Hier kam aber eine Komponente hinzu, nämlich die Heimat. Volkstümliche Gesänge aus einer anderen Gegend, als der in der sie sich befinden, können nämlich zweierlei wirken. Als Erinnerung woher man kam und gleichzeitig als Bestätigung für die eigene Identität, oder, und das war hier der Fall, als aggressiver Akt der Inbesitznahme eines Gebietes. Was unterscheidet diese Party eigentlich von dem Marsch der Oranier durch Belfast, fragte ich mich. Auch hier geht es darum, auf einem fremden Gebiet eigene, eine andere, Identität zur Schau zur stellen, um Macht zu demonstrieren. Fußballfans verhalten sich bei Auswärtsspielen ihrer Mannschaft oft ebenfalls nicht anders.

Respekt! Respekt! Respekt! wiederholte einer der schlimmsten Krakeeler aus der Gruppe und klopfte sich dabei auf die Brust. Will heißen: Jawohl, ich will auch Respekt! Wer gibt mir Respekt! Dass sein Auftreten nicht dazu geeignet war, sich Achtung und Respekt zu verschaffen, mag er nicht bemerkt zu haben. Aber wenigstens ein Erfolgserlebnis hatten sie an diesem Tag. Stück für Stück suchten sich die anderen Besucher einen etwas entfernteren Platz auf der Wiese am See, ich mit meinen Kindern auch.

Wie schon angedeutet, wahrscheinlich schnell hätte ich diesen Vorfall wieder vergessen oder ›zu den Akten gelegt‹, wie man so schön sagt, wäre da nicht, ja wäre da nicht die Volksmusik gewesen, die aber hier in dieser Szenerie eher wirkte wie die Klänge von Trommeln und Posaunen, welche die Recken in die Schlacht führen. Der Raum wurde dadurch in Besitz genommen, mit Erfolg an diesem Tag.

Als wir uns am frühen Abend wieder auf den Weg nach Hause machten, die Schlauchboote, die Grill- und Badesachen im Auto verstaut hatten, war die Party noch im vollen Gange. Langsam fuhr ich über den Parkplatz und schaute nach den Nummernschildern. Alle Besucher kamen aus der näheren Umgebung: Tübingen, Esslingen, Freudenstadt, Calw, Stuttgart, Pforzheim – keine auswärtigen Nummern, schon gar keine ausländischen.

Natürlich sprachen wir auf dem Heimweg über den Tag, gaben dabei aber der Pöbelgruppe nicht all zu viel Raum. Dennoch drängt sich mir Akif Pirinçcis Buch ›Umvolkung‹ in den Sinn. Gleich zu Beginn schreibt er über den Film ›Die durch die Hölle gehen‹ und macht am Beispiel von russischen Einwandern in den USA klar, wie unterschiedlich Integration sein kann. Michael, Nick und Steven leben sozusagen zwei kulturelle Identitäten, einmal als Amerikaner, die sie mit ganzem Herz und Geiste sind, und gleichzeitig die familiäre, bei der ihre russische Familienidentität und Herkunft mehr in den Vordergrund tritt. Es ist aber nicht vorstellbar, dass Typen, wie die Figuren in dem Film, in der Öffentlichkeit ihre familiäre Identität aggressiv zur Schau gestellt hätten, diese blieb privat, hatte auch mit ihrer Lebenswirklichkeit nicht viel zu tun, sondern war mehr eine Verbindung zur Herkunft und zur Familie.

Ihr Herz und ihr Geist gehörte zu Amerika, selbst nach dem Krieg, der sie zu körperlichen und/oder seelischen Krüppeln machte, sangen sie ›God Bless America‹ in ihrer Stammkneipe und suchten nicht Zuflucht in den russischen Liedern ihrer Vorfahren, so wie das die Pöbelgruppe am See tat. Diese beiden Beispiele zeigen den Unterschied eindeutig auf: Michael, Nick und Steven waren assimiliert, nicht nur integriert. Friedliche Einwanderung kann und darf nur das Ziel Assimilation haben, Integration ist ohne Aggressivität gegenüber der ansässigen Bevölkerung nicht machbar. Es sei denn diese gibt ihre Identität freiwillig auf, mindestens aber den Raum her; es wird Platz gemacht für die, die sich den Raum nehmen.

Obwohl es mir danach war, habe ich mich nicht ernsthaft mit der Pöbelgruppe angelegt, zu hoffnungslos unterlegen wäre ich gewesen und Hoffnung darauf, dass sich andere anwesende mir anschließen, die hatte ich nicht. Und so sind auch wir zurückgewichen, haben Platz gemacht, auf der Wiese am See.



Dossier: Heimat

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