30. September 2019

Offlinegedanken

Ich habe keine Ahnung von dem, über das ich nun schreiben werde. Vorhin habe ich mir im Bahnhofszeitungsladen ein kleines Notizbuch und einen Kugelschreiber gekauft, weil ich ein paar Gedanken fest halten möchte, die mir gekommen sind. Ich besitze kein Smartphone, aus Prinzip, nur ein altes Tastenhandy für den Notfall. Anrufen geht damit, SMS auch, sonst nichts. Meinen Laptop ließ ich zu Hause, also habe ich keine Chance auf Internet. Für die zwei Tage, die ich unterwegs bin, wollte ich mich damit nicht belasten. Kurz und gut: ich bin offline.

Um mich herum das übliche Bild, rund 80 % der Mitreisenden im Zug sind in ihre Smartphones vertieft und was sie da tun, das sehe ich nicht, selten nur sind ein Lächeln im Gesicht oder eine sonstige Reaktion zu erkennen. Nur eine junge Frau sehe ich ein Taschenbuch lesen, einen Mankell-Krimi, wie ich erspähen konnte.

Vor ein paar Stunden, beim Frühstück im Hotel, sprach ich mit zwei Bekannten – die im gleichen Hotel übernachteten und gestern ebenfalls auf dem gleichen Treffen in Berlin waren – über die Verrücktheiten der Zeit. Greta kam zur Sprache, Merkel, Macron, viel Politik halt, der Klimahype und die Energiewende natürlich auch.

Gerade als es um die letzten beiden Themen ging, also um Sachverhalte und nicht um Personen, stellten wir resignierend fest, dass die Argumente die gegen diese beiden Dinge nun schon seit vielen Jahren auf dem Tisch liegen, und die doch stichhaltig erscheinen, von einer Mehrheit nicht zur Kenntnis genommen werden. Ich bin mir sicher, die Menschen hören diese Argumente, doch sie prallen an ihnen ab, sie erreichen nicht ihr Denken. Warum das so ist, konnten wir uns nicht erklären, wenn man mal außen vor lässt, was üblicherweise als Begründung angegeben wird: Verblendung, Ideologisierung, Mitläufertum usw., weil man eben irgendeine Erklärung für ein erkanntes Phänomen braucht.

Hier preschte ich nun mit einem Erklärungsansatz heran, der natürlich nicht neu ist, aber auch nur meist als Ausrede gebraucht wird, wenn das Verhalten von Menschen, manchmal gar das eigene, irgendwie unlogisch erscheint: „Die Gefühle bestimmen das Denken, nicht die Argumente, die dienen am Ende nur der Rechtfertigung.“

„Nehmen wir die digitale Welt, dort sind alle Informationen in Einser und Nullen gespeichert, aber diese sind nur abrufbar oder veränderbar, wenn wir als Hilfsmittel Elektrizität haben, der Strom transportiert die Information“, führte ich noch weiter aus, um dann den Bogen zu schlagen zum menschlichen Denken oder meiner Idee davon, wie es gehen könnte: „Die Emotion transportiert das Argument und ohne Emotionen lassen sich Argumente, oder Wissen insgesamt, weder speichern noch abrufen, die Emotion ist für das menschliche Denken und Wissen in etwa das, was die Elektrik in der digitalen Welt ist.“

Weiter bin ich mit meinen Überlegungen nicht gekommen, wir wurden durch etwas abgelenkt und das Gespräch nahm eine andere Richtung. Später, auf dem Bahnhof, kam es mir wieder in den Sinn und ich wollte erstens diesen Gedanken nicht vergessen und zweitens mehr zum Thema wissen. In der Regel bedeutet dies: Google fragen! Doch das geht nicht, ich bin offline. Also schreibe ich nun diese Zeilen in mein neu erworbenes Notizbuch, etwas krakelig, der Zug schaukelt und ruckelt eben ein bisschen, doch ich werde es später sicher lesen können.

Was hätte ich denn Google gefragt, wenn es die Möglichkeit dafür gegeben hätte? Nun, irgendwas über biochemische Prozesse im Hirn wahrscheinlich, die durch Nervenimpulsen ausgelöst werden oder solche die durchs Denken entstehen, welche Hirnareale für was zuständig sind und dergleichen mehr. Denn ich habe wirklich keine Ahnung wie Denken, naturwissenschaftlich betrachtet!, überhaupt funktioniert. Welche biochemischen Prozesse da ablaufen – gut, von Hirnströmen habe ich natürlich gehört – ob und welche Theorien es darüber gibt, oder wer schon mal was Schlaues dazu gesagt hat. Es könnte ja sein, dass meine Gedanken völliger Humbug sind und andere längst bewiesene naturwissenschaftliche beschriebene Vorgänge das Denken steuern. Von den Philosophen kennen wir ja ihre Aussagen, wonach das Streben nach Glück eine Grundkonstante des Menschen sei. Aber wenn sich das auch aufs Denken auswirkt, könnte es ja auch eben naturwissenschaftlich beschreibbare Vorgänge geben, die erklären, warum wir manche Argumente bereitwilliger annehmen als andere.

Aber ich bin offline, also spinne ich meinen Gedanken weiter. Was heißt „spinnen“, ich suche nur eine Erklärung dafür, warum Argumente sehr bekannt sind – stichhaltige Argumente wie die gegen die Energiewende beispielsweise – und doch irgendwie nicht zur Kenntnis genommen werden. Es könnte ja sein, dass prinzipiell Argumente in der Bedeutung überschätzt werden, weil das Denken über Empfindungen gesteuert wird, möglicherweise.

Nachtrag

Nun bin ich wieder zu Hause und online und habe doch keine der im Text aufgeworfenen Fragen gegoogelt, ihn nur abgetippt. Auch auf die Gefahr hin, mich lächerlich zu machen, so stehe ich zu diesen meinen Überlegungen, die ich erst nicht gegenchecken konnte und es nun nicht mehr will. Was mich zur nächsten Frage bringt: Wie verändert es unsere Gedanken, wenn wir sie ständig überprüfen können? Ich bin mir sicher, wäre ich online gewesen, ich hätte diese meine Gedanken so nicht niedergeschrieben, wahrscheinlich gar nicht erst aufgeschrieben, sondern wäre bei der Recherche zu den angesprochenen Themen sicher abgelenkt worden, oder Zweifel hätten ein mutiges weiterdenken unmöglich gemacht. Kann sich Individualismus überhaupt entwickeln in einer Onlinegesellschaft, mit ihrer permanenten Möglichkeit der Selbstüberprüfung der eigenen Gedanken?

1 Kommentar :