Mir wurde das Interesse am Feiertag „1. Mai“ in der DDR gründlich ausgetrieben, musste als Schüler mit der Klasse, der ganzen Schule, dann immer demonstrieren gehen. Doch das waren keine Demonstrationen, sondern Aufmärsche, und ich wurde gezwungen mitzumarschieren.
Zu Beginn, kurz bevor der Marsch durch die Stadt startete, wurden Plakate verteilt, irgendwelche dämliche Sprüche standen drauf. Die sollten wir ganz besonders gerade halten, wenn wir dann an der Tribüne vorbeigingen, um die Parteibonzen zu huldigen, die gnädig von oben herunterwinkten.
Immer wenn diese Plakate ausgegeben wurden, versuchte ich mich abseits zu halten, zu verstecken, damit ich keines ab bekam. Das fiel mit etwas leichter als anderen, da ich zu den Kleinsten in der Klasse gehörte. Das Problem war nämlich, diese ausgehändigten Propagandaschilder mussten nach Ende der Veranstaltung wieder abgegeben werden, was bedeutete, ich hätte den ganzen Marsch mit machen müssen.
Genau das wollte ich aber immer unbedingt vermeiden, mein Ziel war, mich unterwegs vom Acker zu machen, keinesfalls an der Tribüne vorbeizugehen und die Bonzen zu huldigen.
Soweit ich mich erinnere, klappte das auch immer. Irgendwo, wo sich die Gelegenheit ergab, verschwand ich aus der Masse, schlich mich davon, mit dem befreienden Gefühl in der Brust, dem System ein Schnippchen geschlagen zu haben.
Geblieben ist mir aus dieser Zeit, etwa Ende der Sechziger bis Mitte der Siebziger Jahre, eine tiefe Skepsis gegenüber Tribünen. Mit Verachtung schaue ich auf die, die sich von einer Masse feiern lassen und die Masse gleich mit. Noch immer ist der Impuls in mir lebendig, mich schnell von solchen Orten, an denen Menschen auf Tribünen stehen, zu entfernen. Nur dort, wo ich Menschen auf Augenhöhe treffe, verweile ich und verspüre diesen Impuls nicht.
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Dieser Text ist auch bei AchGut erschienen: hier.
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