3. September 2021

Die Briefwahl und meine Sandalen

„Aber der Moment, in dem er [der Wähler] dann wirklich wählt, ist beinahe heilig; heilig sind die versiegelten Urnen, die die Wahlzettel enthalten, heilig der Vorgang des Zählens.“ (Elias Canetti in „Masse und Macht, Das Wesen des parlamentarischen Systems“)

Die Briefwahl ist dieser Heiligkeit beraubt, es wird eine Verrichtung in etwa so, wie die Teilnahme an irgendeiner Online-Umfrage. Keinerlei Ritus ist noch damit verbunden, ich kann ungewaschen in Unterhosen am Frühstückstisch sitzen und meinen Wahlzettel ausfüllen.




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Wäre eine Briefwahl für den Wähler genauso bedeutsam wie die persönliche Stimmenabgabe im Wahllokal, dann bräuchten wir auch keine Abstimmungen im Bundestag mehr. Die Abgeordneten schicken ihren Zettel per Post, das Ergebnis wird dann in einer Pressemitteilung bekannt gegeben. Besonders linientreue Parlamentarier, die nie gegen ihre Fraktion stimmen würden, können gleich noch eine „Stimmeneinzugsermächtung“ ihrem Fraktionsvorsitzenden geben und müssen sich nicht mal mehr gedanklich damit beschäftigen, was sie gerade getan haben. Der bucht einfach die Stimme ab.

Nein, ich gehe persönlich ins Wahllokal, ziehe mir vorher etwas Vernünftiges an, trage sogar richtige Schuhe, obwohl ich sonst das ganze Jahr nur barfuß in Sandalen rumlaufe. Nur wenn es kalt wird, ab null Grad Celsius, benutze ich Socken und ab minus zehn wechsle ich dann zu richtigen Schuhen. Oder aber bei besonderen Anlässen, dazu gehört die Wahl zum Bundes- oder Landtag, trage ich Schuhe.

Der Ritus, der Gang in die Wahlkabine, das Einwerfen des Wahlzettels in die Urne, ja auch schon die Vorbereitung darauf, dass ich mich rasiere, etwas Anständiges anziehe, macht mir klar, dass meine Stimmabgabe wichtig ist, von den alltäglichen Verrichtungen und Gepflogenheiten getrennt.

Mag sein, dass es noch andere gute Gründe gibt, die Briefwahl abzulehnen, etwa weil Manipulationen denkbar sind, allerdings, für mich spielen diese Bedenken keine große Rolle, es ist die verlorene Heiligkeit der Handlung, die mich davon abhält, meine Stimme per Briefwahl abzugeben. Ich gehe persönlich ins Wahllokal, zeige mich und mache damit meinen Mitmenschen klar, wie wichtig mir dieser demokratische Vorgang ist, sogar meine geliebten Sandalen bleiben im Schrank.






2 Kommentare :

  1. Habe gerade eben in "Politico" einen Artikel zum Protrokoll beim Tod der britischen Monarchin gelesen:

    „London Bridge is down.“ Mit diesem Satz wird ein ranghoher Beamter den britischen Premierminister informieren, dass Königin Elizabeth II. tot ist. Und in GB läuft die „Operation London Bridge“ an. Die Aufbahrung der Queen läuft unter Code „Feather“, die Inthronisierung des neuen Königs ist die „Spring Tide“. Einheitlich werden alle Banner der staatlichen Social-Media-Accounts in schwarz erscheinen und als Profilbild das Behördenwappen verwendet."

    Was hat das nun mit ihren Sandalen zu tun? Viel, es zeigt dass ein Land oder eine Person noch Stil besitzen. Ebenso, wie manche in Badelatschen und Jogginghose zur Wahl gehen, wären in Deutschland die Abläufe mit den seelen- und herzlosen behördlichen Aktenzeichen xy/123/§35|Merk gekennzeichnet und gut ist.

    Nur Wenige besitzen noch das Gespür oder Gefühl für besondere Tage.

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