1. März 2023

Marotten und ein vermisstes Piepsen

Vor ein paar Tagen wurde mir bewusst, dass ich begonnen habe, mein altes Auto zu lieben. Den Mazda mit Dieselmotor konnte ich letztes Jahr billig erstehen, fast geschenkt bekam ich ihn. Allerdings, in meiner Gegend ist so ein PKW mit gewissen Einschränkungen verbunden, er bekam zwar bei der Zulassung eine grüne Plakette, damit können also auch Umweltzonen befahren werden, was mir schon wichtig ist, um meine spontanen Wochenendkurztrips Richtung Schwarzwald oder Schwäbische Alb unbeschwert genießen zu können und ich nicht vorher zu irgendwelchen Routenplanungen gezwungen bin. Aber, und das ist die Einschränkung, für Stuttgart, das nur einige wenige Kilometer nördlich von meinem Wohnort beginnt, nützt mir diese Plakette nichts, da existiert ein Dieselfahrverbot, jedenfalls für solche alten Diesel wie meiner.

Doch so schlimm ist das nicht, nach Stuttgart zieht es mich schon lange nicht mehr und nun habe ich einen Grund, den Ort zu meiden. Überhaupt, die Himmelsrichtungen, wenn sich mir Richtung Norden etwas in den Weg legt, wie eben die Stadt Stuttgart, dann stört mich das eher weniger, denn der Norden ist nicht mein Ding. Das ist nicht erst jetzt so, seit dem dort die ganze Landschaft mit Windräder verunstaltet ist, auch schon früher galt mein Interesse dem Süden, dem Westen und zum Teil dem Osten, soweit es Bayern betrifft. Schwarzwald und der Bodensee, auch mal der Allgäu, waren die erste Wahl für Ausflüge am Wochenende.

Warum das so ist, weshalb ich diesen Himmelsrichtungstick habe, konnte ich nie herausfinden, habe es allerdings auch nicht besonders intensiv betrachtet, auch nicht andere meiner Marotten oder Vorlieben, heute denke ich da vor allem an Speisen und Getränke, früher an Mädchen. Manche waren interessant, andere nicht. Falls ich es dann doch manchmal hinterfragte, egal ob es der Himmelsrichtungstick ist, oder die Mädchen, dann tat ich dies nie besonders gründlich oder intensiv und gab mich schnell mit irgendwelchen Selbstrechtfertigungen zufrieden. Aber ist das nicht generell so? Welche Dinge betrachten und untersuchen wir schon gründlich bei uns selbst? Das Wenigste, davon bin ich überzeugt!

Nur manchmal, wenn sich irgendwas verändert hat, Empfindungen auftreten, die vorher nicht da waren, dann kann es passieren, insbesondere wenn keine passenden schnellen Erklärungen zur Hand sind, dass wir nachdenken und versuchen der Sache auf den Grund zu gehen. So ging es mir, als ich entdeckte, dass ich begann mein altes Auto zu lieben.

Das war neu. Freilich schätzte ich immer die Freiheit, die mir mein jeweiliges Auto gab, diese Freiheit der spontanen Entscheidungen. Oder nennen wir es Unabhängigkeit, egal, ich mochte das Auto immer für das, was es mir lieferte, mir möglich machte, eben im weitesten Sinne die Freiheit. Doch dass ich deswegen ins Auto vernarrt gewesen wäre, nein, das gab es nie. Welche Marke ich gerade fuhr, welche Farbe es hatte, war mir herzlich egal. Niemals war eine Botschaft an meine Mitmenschen, Nachbarn oder Kollegen damit verbunden. Meine Selbstdarstellung hatte nie damit zu tun. Wenn ich dann doch mal angeben, mich gegenüber anderen wichtig machen wollte, dann erzählte ich von den Orten, an denen ich gewesen war, aber nicht, mit welchem Gefährt ich dort hingekommen bin.

Kürzlich nun passierte etwas, schon ein paar Kilometer war ich unterwegs, da stellte ich fest, dass ich vergessen hatte mich anzuschnallen. Normalerweise ist dieses Anschnallen heute ja ein Automatismus, auch bei mir, den praktisch niemand mehr reflektiert. Auch ich tue das nicht und will es auch hier nicht tun, die Nützlichkeit des Gurtes wird nicht in Frage gestellt und wer wollte schon bestreiten, dass dieses obligatorische Teil eines jeden Personenkraftwagen viele Menschenleben gerettet hat. Noch nicht einmal bin ich gegen die Gurtpflicht beim Autofahren, obwohl ich sonst die meisten mir per Gesetz aufgezwungen Verhaltensweisen eher kritisch sehe und sie auch manchmal ganz bewusst nicht befolge, einfach um mich mal wieder als eigenständiges Individuum zu empfinden und nicht als Teil einer folgsamen Masse.

Es war kaum Verkehr auf der Verbindungslandstraße zwischen zwei Ortschaften, ich hätte mich also gefahrlos während der Fahrt anschnallen können, aber ich wartete noch ab, es war so still, irgendetwas irritierte mich. Normalerweise ist es ja ein Automatismus: einsteigen, Tür schließen, anschnallen, Motor starten, losfahren. Manchmal allerdings muss das Anschnallen warten, wenn ich etwa aus einer engen Parklücke herauskommen muss, mit oft mehrmaligen vor und zurücksetzen. Dann schnalle ich mich erst an, wenn ich da raus bin.

Nun muss ich mich selbst zur Ordnung rufen, um nicht unendlich über das Thema Einparken zu abzuschweifen. Mit der Beichte meines Himmelsrichtungsticks habe ich mich sicher schon in Nesseln gesetzt, wenn ich nun noch meine Beobachtungen zum Einparkverhalten meiner Mitmenschen zum Besten gebe, was nicht ohne Vergleiche der Automarken oder dem Geschlecht der Fahrer geht, dann ist mir ein Shitstorm sicher. Also verkneife ich es mir hier, was nicht leicht fällt, denn manchmal liebe ich es zu provozieren. Auch so ein Tick von mir, der aber praktischerweise zuverlässig verhindert, dass ich mich als Teil einer, wie auch immer gearteten, Masse empfinde. Irgendwie scheinen die meisten meiner Marotten damit zusammenzuhängen, dass ich mich von der Masse ausgrenzen möchte, um mir selbst zu versichern: nein, ich gehöre nicht dazu.

Zurück auf die Straße. Erst jetzt also bemerkte ich, ich war nicht angeschnallt, doch der Gurtwarner war aus, kein Piepsen, keine Warnleuchte, nichts. Mit einem Lächeln im Gesicht griff ich über die Schulter, doch hielt augenblicklich inne, wollte den Moment noch ein wenig hinauszögern. „Danke, mein liebes Auto, dass du mich nicht mit Besserwisserei und Nudging nervst, meine Entscheidungen akzeptierst, auch meine kleinen Fehler“ sprach ich leise und zärtlich aus und streichelte noch das Armaturenbrett. Danach dachte ich noch ein wenig über Warnapps nach oder irgendwelchen Warnhinweisen auf Lebensmitteln, die immer wieder im Gespräch sind, und begann mich nach einer Gesellschaft zu sehnen, die sich ganz so wie mein altes Auto verhält und mich einfach nur selbst entscheiden lässt. Egal um was es geht.


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