3. September 2023

Auf dem Dach

Häuser haben doch so viele verschiedene Orte, Räume, Nischen, Kammern, fast alle sind mit Emotionen verbunden. Die Küche mit ihren Gerüchen, die Schlafzimmer und ihre Geheimnisse, der Kampfraum Wohnzimmer, in dem sich nur entspannen konnte, wer die Macht im Hause besaß, eben die Eltern. So jedenfalls meine Erinnerung an mein Elternhaus in einer Siedlung, die kurz vorm Zweiten Weltkrieg erbaut wurde. Fünfzehn Kilometer waren es bis Zwickau, vielleicht dreißig bis Chemnitz, aber das ist nicht so wichtig, Siedlungen dieser Art finden sich in ganz Deutschland.

Wenn ich nun an mein Elternhaus denke, dem wichtigsten Ort meiner Kindheit, so ergibt sich kein klares Bild, ein einheitliches Gefühl fürs ganze Haus stellt sich nicht ein. Manche Räume, wie das Wohnzimmer, wirken fremd, als ob ich mich da nie wohlgefühlt hätte. Eigentlich trifft das auf alle Wohnräume zu, sogar das Kinderzimmer, was ich mit einem Bruder teilen musste. Richtig angenehm wird es mir in meinem Rückblick eigentlich nur, wenn ich an den Dachboden denke. Gerümpel stapelte sich dort, Sachen, die aussortiert, aber noch nicht weggeworfen worden waren.

Auch andere Nebenräume sind mir durchaus angenehm in der Erinnerung, verschiedene Schuppen mit Werkzeugen oder mit Kohle zum Heizen. Der Hühnerstall natürlich, oder der Heuboden, unser selbstgemachtes Heu brauchten wir für die Karnickel. Irgendwo gab es immer Plätze, an die ich mich zurückziehen konnte, Platz für Träume, ein bisschen Freiheit.

Schaue ich mir heute diese Siedlungshäuschen an, mit ihren großen Grundstücken um die tausend Quadratmeter, dann wirken die so steril, kein Gestank vom Mist- oder vom Komposthaufen, alles ist so ordentlich und aufgeräumt, die Zurschaustellung ist wichtiger geworden als Nützlichkeit. Sogar das gemähte Gras wird mittels Biotonne entsorgt. Mag sein, dass mich ein wenig die Nostalgie ergriffen hat, doch möchte ich versichern, meine Erinnerungen an die Vergangenheit sind durchaus durchwachsen, mal positiv, mal negativ und so wechselhaft wie das Wetter.

Wohlfühlräume und die Unwohlfühlräume zu sortieren und zu vergleichen, geht nicht ohne den Aspekt Macht ins Blickfeld zu nehmen. Überall dort, wo die Eltern ihre Vorgaben, ihre Verhaltensanweisungen befehlen konnten, also in allen Wohnräumen, fühlte ich mich unwohl, gegängelt und bevormundet. Das betrifft natürlich nicht nur das Elternhaus, sondern auch die Schule und je älter ich wurde, erweiterte sich diese Liste und betraf am Ende das ganze Land. Ob meine Sehnsucht nach Freiheit bereits als DNA bei meiner Geburt vorhanden war, oder ob sie erst durch das Elternhaus entstanden ist, kann ich nicht beurteilen. Sicher ist nur, die Sehnsucht nach Orten der Freiheit, hat sich nicht erst in der Schule entwickelt, als Reaktion auf kommunistische Indoktrination und den entsprechenden Geboten und Verboten, sondern war schon vorher vorhanden.

Gemeinsam ist allen Unwohlfühlräumen, egal ob im Elternhaus, in der Schule oder wo auch immer, dass in ihnen irgendwer Macht über mich hatte. Dort gab es keine Geheimnisse zu entdecken, nicht einmal Träume entwickelten sich, bestenfalls Alpträume, während in den Wohlfühlräumen so etwas wie Freiheit zu spüren war, wenigstens die Freiheit der Gedanken und die waren am freiesten auf dem Dachboden.

Irgendwann in den 1960er Jahren, ich weiß nicht mehr genau wann, kauften sich die Eltern ihren ersten Fernseher. 1966 wurde ich eingeschult, irgendwann um den Dreh muss es gewesen sein. Natürlich stand der nicht auf dem Dachboden, aber die Antenne in Richtung Westen, die war auf dem Dachboden installiert worden. Nicht auf dem Dach, wo sie jeder sehen konnte, sondern darunter, von den Dachziegeln verdeckt. Erst später traute sich der Vater, als in der Nachbarschaft schon viele Westantennen auf den Dächern zu sehen waren, die unsere ebenfalls zu zeigen.

Diese Antenne auf dem Dachboden, die der Vater unbedingt brauchte, aber doch verleugnete, wurde mein Freund, in ihrer Nähe fühlte ich mich wohl. Ich stellte mir vor, welche Geschichten sie mir zu erzählen hätte. Oft saß ich stundenlang in ihrer Nähe und erträumte mir eine andere Welt. Nie habe ich meinen Eltern darüber erzählt, welche Erlebnisse ich dort hatte, wusste, wenn ich das tue, dann wird mir dieser Ort verboten sein.

Es ist nur eine kleine persönliche Geschichte, die ich hier erzählt habe, nichts Dramatisches, nichts Aufregendes passierte. Aber mir erklärt sie, warum für mich Deutschland kein Wohlfühlort mehr ist. Es hat mit den Gängelungen, Sprechverboten und Verhaltensgeboten zu tun, die nun nicht mehr von den Eltern, sondern von Medien und der Politik verhängt werden. Meine Gedanken können nicht in einer solchen Gesellschaft frei sein, die Sehnsucht nach einem Wohlfühlort ist wieder ganz aktuell.



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