Umfragen der Großen Meinungsforschungsinstitute haben im beginnenden Wahlkampf große Aufmerksamkeit, nicht nur beim Wähler, sondern vor allen für die Kandidaten und Parteien, die an den Ergebnissen ablesen können, wie ihr Programm, ihre Themen und ihre Performance ankommen. Schon Adenauer vertraute auf diese professionelle Hilfe, und ließ sich nicht nur vom eigenen Gefühl leiten, wie was ankommt. Puritanischen Wahlkampf, einer der sich lediglich auf die Darstellung der eigenen Positionen beschränkt, hat es in des Bundesrepublik nie gegeben. Zwar war er weit entfernt von einem Spektakel wie in den USA, dennoch wurde schon zu Beginn auf die Macht der Bilder und Gesten gebaut. Die Demoskopie lieferte die Vorlagen, die dann in Narrative und Bilder umgesetzt wurden um die Gefühle der Wählerschaft anzusprechen.⁽¹⁾ Dies hat sich bis heute nicht geändert und in unserer Mediengesellschaft kommt den Journalisten gewissermaßen die Aufgabe zu diese Bilder zu transportieren, weshalb diese mindestens genau so begierig auf die neuesten Meinungsumfragen sind.
Nun können Journalisten auch Stimmungen herbei schreiben, oder zumindest bestehende so verstärken, dass die Politik Handlungsbedarf sieht (Ein kleines Beispiel: Mit einer etwas wohlwollenderen Presse hätte Bundespräsident Wulff nie zurücktreten müssen). Aber nicht nur in solchen einzelnen Personalien zeigt sich die enge Verflechtung von Demoskopie - Journalismus - Wähler - Parteien, auch wenn es um die großen Themen geht, ist diese gegenseitige Abhängigkeit unübersehbar. Das führt uns natürlich zu der Frage, wer denn eigentlich Trends in der Politik macht, entstehen diese von allein in der Bevölkerung weil diese entsprechende Lebensumstände geändert haben möchte, oder Erwartungen an die Zukunft dargestellt werden? Sicher beides, wenngleich auf unterschiedlichen Ebenen. Konkrete einzelne Themen, nehmen wir einfach mal den Mindestlohn als Beispiel, werden im Wahlkampf benutzt um ein größeres Thema zu verdeutlichen, hier die Verteilungsgerechtigkeit. Traditionell ein eher linkes Thema, was von deren Gegnern dann nicht bestritten wird in der Form dass es hier keine Probleme gäbe, sondern es wird mit dem Argument gekontert, dass Regulierungen in diesem Bereich zur Schwächung des Gesamtsystems führen, bei dem dann keiner etwas davon hat.
Den Wahlkampf bestimmen auch deshalb bestimmte Themen, weil Parteien übergreifend Situationen als suboptimal anerkannt werden. Anhand dieser Einschätzungen, die natürlich in den Medien besprochen werden, werden müssen und sollen, baut sich die Wahlkampfstrategie auf. Wir müssen den Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen helfen sagen die einen, wir müssen die Umstände so ändern, dass immer weniger Menschen gezwungen sind derartige Arbeitsverhältnisse anzunehmen, sagen die anderen. Keiner aber zweifelt den Umstand an, dass es eben diese Arbeitsverhältnisse gibt. Und je häufiger das Thema in den Medien besprochen wird, um so wichtiger wird es im Wahlkampf. Hier wird eine Raum geschaffen in dem sich Demoskopen, Journalisten und Politiker gegenseitig befruchten und ein Meinungsklima schaffen, welches bestimmend auch für andere Bereiche der Politik wird.
Zu Beginn des Jahres war sich die Mehrzahl der Journalisten einig, dass das Thema „Soziale Gerechtigkeit“ den Wahlkampf bestimmen würde.⁽²⁾ Ob dies eine realistische Einschätzung war, oder nur den Wunsch nach einem den mehrheitlich links-grünen Journalisten genehmen Thema geschuldet ist, wird sich im Einzelfall nicht klären lassen. Wenn man sich die Wahlprogramme der Parteien anschaut, muss man allerdings zu der Auffassung gelangen, dass diese Einschätzung auch von den Wahlkampfstrategen geteilt wurde. Umverteilungskonzepte überall, höhere Steuern, mehr Regulierung, mehr Staat. Selbst die FDP konnte sich diesem Trend nicht verschließen und fordert keine Steuersenkungen mehr und bringt mit ihrem Konzept zu Lohnuntergrenzen auch so etwas wie den Mindestlohn ein. Am weitesten preschen aber die Grünen vor, soweit, dass es sogar der SPD zu viel der Umverteilung wird und vorsichtig auf Distanz zum bevorzugten potentiellen Koalitionspartner geht.
Alle Debatten dieser Art haben eines gemeinsam, es fehlt an einem großen Ziel, einer Beschreibung wie es in und mit unserer Gesellschaft weitergehen soll. Der gegenwärtige Stand wird festgeschrieben und nur die Verteilung neu geregelt. Eingebildete und tatsächliche Ungerechtigkeiten, die noch dazu immer erst im Auge des Betrachters entstehen, befördern den Neid. Besonders deutlich erkennbar in der Forderung nach höherer Besteuerung von Besserverdienenden. Die klammheimliche Freude darüber das der Staat sich nun der Dienste von Hehlern bedient, und sich CDs mit Daten von Schweizer Bankkunden besorgt, um Steuersündern auf die Spur zu kommen, steht in eigenartigem Kontrast dazu, dass dieselben Leute durch die Einführung des maschinenlesbaren Personalausweises das Ende der Demokratie kommen sahen.
Ist ein solches Neidklima aber erst einmal entstanden wird es auch schwer kontrollierbar. Der Neid frisst sich immer weiter und ruft nach immer mehr Staat. Die von Rot-Grün losgetretene Umverteilungsdebatte baut im Grunde auf dem Neid gegenüber anderen auf. Jeder kann sich da wiederfinden und das geht dann soweit, dass auch der politische Gegner mit diesen Neidreflexen arbeitet. Mittels EEG finanzieren die Kleinen die Größeren, ist ein oft gehörter berechtigter Vorwurf. Der dann aber auch vom Gegner anerkannt wird und Reformen versprochen werden. Ein Beispiel wie eine losgetretene Kampagne zum Bumerang werden kann.
Es geht aber noch weiter, die fehlende Beschreibung einer Zukunft auf die es sich lohnt hin zu arbeiten, verbunden mit einem Klima des Neides gegenüber anderen, lässt auch das Projekt Euro in einem ganz anderem Licht erscheinen. Nicht die Frage nach den Chancen steht im Vordergrund, sondern die nach der Gerechtigkeit. Bei jedem Rettungsschirm wird klarer welche Summen wo hin fließen sollen und je nach politischer Grundeinstellung werden die Südländer, die Banken, die Großindustrie oder andere Regierungen beschuldigt sich dem Solidaritätsprinzip versagt zu haben um sich auf Kosten anderer zu bereichern. Es sei dahingestellt welche dieser Vorwürfe wirklich zutreffend sind und welche nicht, in einem allgemeinen Neidklima ohne Zukunftsvision werden diese Betrachtungen politisch relevant.
Die Begriffe Umverteilung und Gerechtigkeit lassen sich sehr gut in Erzählungen über den Euro einweben. Das ist an sich nicht neu und wird von Kritikern des Euro schon lange getan, ohne jedoch auf eine breite Resonanz gestoßen zu sein. Der Euro wurde nicht geliebt, dennoch galt er als Zukunftsprojekt welches Europa voranbringen sollte. Der Blick in die Zukunft war ein optimistischer. Die vielen Geburtsfehler wurden wohl erkannt, konnten aber dennoch die positive Grundhaltung der Zukunft gegenüber nicht trüben. Mit Einzug der Gerechtigkeitsdebatte ist dies anders geworden, und einen nicht unerheblichen Anteil daran haben diejenigen die das Thema Verteilungsgerechtigkeit als Wahlkampfthema auserkoren haben. Das betrifft eben nicht nur die Frage nach den Mindestlöhnen, sondern auch das Renteneintrittsalter oder Diskussionen über die Vermögensverhältnisse in den Krisenländern.
Der sich derzeitig abzeichnende Erfolg der „Alternative für Deutschland“ (AfD) muss auch vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Stimmung gesehen werden. Ist es gerecht, wenn wir Risiken eingehen müssen weil andere ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben? Dies fragen sich immer mehr und eine Antwort bekommen sie nicht. Für denjenigen der brav seine Steuern bezahlt und akzeptiert dass das Renteneintrittsalter auf Grund demografischer Entwicklungen zur Disposition steht, ist der Punkt der Akzeptanz überschritten wenn die Zinsen seiner privaten Altersvorsorge auch noch zusammenschmelzen wie Schnee in der Sonne. Und die fehlende Perspektive macht den Jüngeren zu schaffen, denen sämtliche Eurorettungsmaßnamen als Flickschusterei vorkommen müssen, gerade geeignet die nächste Klippe zu umschiffen, und die einen Kompass vermissen, einem der anzeigt wohin der Weg denn gehen soll und mit welchem Kurs zu rechnen sei. Die Jungen empfinden es als ungerecht dass ihre Zukunft geopfert wird um gegenwärtige Krisen zu bewältigen.
Der Wahlkampf würde anders verlaufen, und die Eurokritiker würden nicht so großen Zulauf haben wenn diese Gerechtigkeitsfrage, die mitunter geklärt werden muss, nicht ohne jegliche positive Zukunftsvision präsentiert worden wäre. Hier rächt sich auch noch zusätzlich, dass durch die Umwelt- und Klimadebatte sowieso eine pessimistische Zukunft gezeichnet wurde.
Von einer Gesellschaft die sich hauptsächlich damit beschäftigt ist Vorhandenes gerecht zu verteilen kann man keinen Aufbruch in die Zukunft erwarten. Doch da der Neid als legitimes Mittel in der Politik Einzug gehalten hat, wird von denen die die empfundene Ungerechtigkeit verursacht haben, nicht mehr erwartet dass sie Gerechtigkeit herstellen können.
Den Trend, dass die Frage nach der „sozialen Gerechtigkeit“ den Wahlkampf bestimmen wird, haben die Demoskopen möglicherweise richtig vorausgesehen, nur nicht welche Auswirkungen dies auf allgemeine politische Stimmen haben würde. Die Eurogegner haben jedenfalls dadurch ordentlich Rückenwind bekommen. Wie stark sie letztlich am Wahltag profitieren wird daran liegen welches Zukunftsbild sie vermitteln wollen. Ein pessimistisches oder ein optimistisches. Momentan ist dies noch nicht erkennbar.
Verweise / Erläuterungen
(1) Aus der Rezension des Buches: Adenauer-Wahlkämpfe. Die Bundestagswahlkämpfe der CDU 1949–1961: „Mittels dieser wissenschaftlichen Methode loteten die Wahlkampfplaner Stimmungslagen und Erwartungshaltungen aus, die dann über die Medien der Wahlkampfwerbung bedient wurden.“
[Holger Löttel: Rezension zu: Paul, Dominik: Adenauer-Wahlkämpfe. Die Bundestagswahlkämpfe der CDU 1949–1961. Marburg 2011, in: H-Soz-u-Kult, 08.05.2013, ]
(2) Am Sonntag, 06.01.2013, stand der Presseclub unter dem Motto: „Jetzt schlägt's 13 - worum es im Wahljahr geht.“
[Glitzerwasser: EEG und Wahlkampf 2013]
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