30. Juli 2013

Schokolade als Zukunftsinvestition

Ich weiß nicht viel von meinen Großeltern, ein Opa ist in Stalingard vermisst und nie wieder aufgetaucht, seine Frau hat noch bis Anfang der 70er gehofft er könnte noch am Leben sein, irgendwo in Russland, bis sie einsah, dass es wohl besser sei, diese Hoffnung aufzugeben. Kurz darauf ist sie dann auch gestorben. Von der anderen Oma weiß ich auch nicht viel, obwohl ich sie noch kennenlernte, blieb eigentlich nur eine Erinnerung, diejenige dass sie mir und meinen Geschwistern, wir schliefen in Doppelstockbetten in einem Zimmer, Abends manchmal heimlich Schokolade brachte, nach dem Zähneputzen, was zu häufigen Disputen mit meiner Mutter führte, wenn die es mitbekam.

Eine Frage die ich mir stelle, haben sich meine Großeltern und Urgroßeltern eigentlich zu der Zeit als sie in der Blüte ihrer Jahre waren, Gedanken um mich gemacht. Gut, ich war noch nicht geboren, aber dass sie Enkel haben würden, das war ja klar. Dass irgendeiner von den eigenen Kindern kinderlos bleibt, so etwas wurde ja gar nicht gedacht. Kinder kamen einfach und gehörten dazu. Haben meine Großeltern irgendwelche Zukunftserwartungen für ihre Kindeskinder gehabt, oder meinten sie, die Kinder und Enkel müssten einfach nur das Werk ihrer Vorfahren weiterführen? Etwas was wohl in Familien mit großer Tradition üblich ist, im Adel etwa. Oder wollten sie einfach nur, dass wir es heute besser haben, ohne konkrete Erwartungen. Ich tippe eher auf letzteres, sie kannten die Zukunft nicht, hofften einfach nur, dass diese eben besser sein würde.

Wenn einer meiner Vorfahren große Ideen gehabt hat, dann war es der Opa der in Stalingrad blieb, der war nämlich Kriegsfreiwilliger und aus seinen Feldpostbriefen zu schließen, blieb er auch mit ganzer Hingabe Soldat und war von der Richtigkeit seines Tuns, auch und gerade im Hinblick auf die Zukunft, überzeugt. Zu vermuten ist auch, dass er Nazi war, dies lässt sich aber aus den Briefen nicht heraus lesen. Gerne würde ich mich heute mit ihm unterhalten und erklären, dass erst die Niederlage der Wehrmacht mir ein besseres Leben ermöglichte, besser als er es sich vorstellen konnte. Falls er Humor hatte, würde er lachen können darüber.

Machen wir einen großen Schnitt und kehren in die Gegenwart zurück. Momentan beginnt der Wahlkampf für die nächste Bundestagswahl und Politiker, nicht alle, entdecken die Kinder und Enkel als Projektionsflächen für eigene Vorstellungen. Denen soll es gut gehen, weshalb wir heute diese oder jene Entscheidung treffen sollten. Gerade die Politiker die für oder gegen große Ideen eintreten, werden nicht müde zu erklären, was in Hinblick auf die Kinder und Enkel notwendig wäre.

Entweder geht es ums Geld (Schuldenkrise, Europa) oder um die Umwelt (Klimakatastrophe) und bei beiden Themen wird eine Bedrohung für die Nachkommenschaft ausgemacht, welche wir heute schon angehen oder bekämpfen müssen. Und immer wenn solche Dispute geführt werden, frage ich mich, was wäre gewesen, wenn meine Vorfahren Entscheidungen getroffen hätten die auf mein Wohl abzielten. Die hätten das nur mit dem Wissen ihrer Zeit machen können und dabei entweder ganz allgemein einer großen Idee folgen können, oder konkret materielle Werte vererben.

Eigentlich brauche ich beides nicht. Große Ideen die ich fortführen muss, die aber in den allermeisten Fällen bereits nach ein oder zwei Generationen an Bedeutung verlieren, weil die Wirklichkeit nicht den Ideen folgt und ganz andere Umstände schafft auf die die Denkschablonen der Vergangenheit nicht mehr so richtig passen, und materielle Werte, nun, die nehme ich natürlich mit, wenn damit keine Verpflichtung verbunden ist, wie beispielsweise beim Adel. Aber eigentlich brauche ich nur Möglichkeiten der Entfaltung, und die innere Kraft diese Möglichkeiten zu erkennen und auch anzunehmen.

Falls meine Großeltern etwas für mich tun wollten, dann hat es nicht geklappt. Die große Idee endete im großen Desaster und materiell war auch nicht viel, das war ebenfalls in Luft aufgegangen. Dafür dass die großen Ideen regelmäßig scheitern ist kein Krieg nötig, da genügt auch Inflation, Kommunismus oder was auch immer, sicher ist nur, dass sie meist scheitern.

Wenn wir also heute etwas für unsere Enkel tun können, dann ist es als erstes sicherzustellen, dass wir überhaupt welche haben, und auch wenn sie noch nicht geboren sind, Vertrauen zu ihnen zu entwickeln. Diejenigen die heute das Wohl der Kinder und Enkel ständig im Mund führen haben vor allem eines: Kein Vertrauen darauf dass unsere Nachkommen ihr Leben auch ohne unsere Anweisungen meistern können.

Ein Stückchen Schokolade, heimlich nach dem Zähneputzen gegeben, ist eine viel bessere Zukunftsinvestition als sämtliche große Ideen, die wenn sie den Kindern und Enkeln aufgeladen werden, nur eine schwere Hypothek darstellen. Auf die Anweisungen meiner Mutter, dass es keine Schokolade im Bett geben sollte, darauf pfiff meine Oma, sie wusste eben was wichtig ist und was nicht. Vielleicht musste ich deswegen ein paar mal mehr zum Zahnarzt, wenn ich es aber dagegen aufwiege, auf das Gefühl zu verzichten, dass man mir vertraut, dann liegt letzteres deutlich schwerer in der Waagschale des Positiven.

Deshalb meine Aufforderung an die Politiker im Wahlkampf: Schwafelt nicht so viel von den Kindern und Enkeln, vertraut einfach darauf, dass die ihre Probleme schon regeln können, und schaut lieber zu, dass ihr die gegenwärtigen Probleme löst, dass ist eure Aufgabe. Die Zukunft gestalten die die in der Zukunft leben, wer heute versucht Zukunft zu gestalten, um damit gleichzeitig zukünftige Generationen zu bevormunden, richtet meist nur Unheil an.


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