5. September 2013

Und Du?

Nun sind sie da, die Plakate der Parteien die im Bundestagswahlkampf um unsere Stimme werben. Wobei diese Art von Werbung kaum Informationen bereit hält, was auch praktisch kaum möglich ist, sondern nur Aufmerksamkeit herbeiführen kann, und gleichzeitig eine politische Botschaft in Form eines Gefühls vermitteln soll. Für das Kunstmagazin „art“ hat sich der Kunstgeschichtsprofessor und Spezialist für politische Ikonographie, Martin Warnke, die Plakate genauer angeschaut und ziemlich verrissen.

„Missglückte Botschaften“ wird dann auch folgerichtig der Beitrag überschrieben. Darstellung und Inhalt passen nicht zusammen mit der Botschaft die vermittelt werden soll. Kann vorkommen, sagt man sich dann, vor allem wenn die beiden Themen die die Menschen so mit am meisten interessieren, weil es den eigenen Geldbeutel betrifft, fast völlig ausgeklammert werden: Energiewende und Eurorettung. Letzteres kommt zwar bei der AfD vor, weil die Kritik an der Eurorettung ein Kernpunkt ihrer politischen Botschaft ist, doch sonst kaum. Die Energiewende wird wiederum hauptsächlich nur von den Grünen thematisiert, aber hier ist sie nur Mittel zu dem Zweck, grüne Befindlichkeiten zu transportieren. Gefühle zu vermitteln ist eben eine der wichtigsten Aufgaben von derartiger Wahlwerbung. Doch was soll dieses aufdringliche „UND DU?“ auf den grünen Wahlplakaten bedeuten? Warnke kann auch nicht viel damit anfangen und sieht eine Diskrepanz zwischen der nunmehr routinierten Politik der Grünen und veralteten Sponti-Sprüchen, „die hier ziemlich sinnlos wirken“, wie er meint. Hier irrt Warnke, so finde ich.

Diese Frage, die ausgesprochen „Und wie stehst Du zur Sache“ heißen müsste, ist keine Botschaft an den Wähler, sondern eine Abfrage nach der richtigen Gesinnung. Sie meint eben nicht: „Und welche Bedürfnisse hast Du?”, sondern fragt danach welche Gesinnung Du hast? Das mag ein veralteter Sponti-Spruch sein, im Kontext der Bevormundungspartei Die GÜNEN, die ja bei jeder sich bietenden Gelegenheit der Bevölkerung erklären möchten was das richtige Handeln ist, individuelle Wünsche spielen da in der Regel keine Rolle, sondern immer steht die grüne Gesinnung, der gefährdete Planet, im Vordergrund, ja in diesem Kontext ist es lediglich ein Appell ans grüne Bewusstsein. Verbunden mit der Botschaft: „Wir sind schon da, wo Du noch hinkommen musst“ UND DU, bist Du noch nicht so weit, dann beeile dich.

Spontan, als ich ein solches Plakat der Grünen das erste mal sah, fiel mir das Agitationslied „Sag mir, wo du stehst“ der tiefroten DDR-Singesang-Gruppe „Oktoberklub“ ein. Der Text geht folgendermaßen:
Sag' mir wo du stehst (3x)
Und welchen Weg du gehst
Sag' mir wo du stehst (3x)
Und welchen Weg du gehst

Zurück oder vorwärts du mußt dich entschließen
Wir bringen die Zeit nach vorn' Stück um Stück
Du kannst nicht bei uns und bei ihnen genießen
Denn wenn du im Kreis gehst dann bleibst du zurück

Sag' mir wo du stehst (3x)
Und welchen Weg du gehst

Du gibst wenn du redest vielleicht dir die Blöße
Noch nie überlegt zu haben wohin
Du schmälerst durch Schweigen die eigene Größe
Ich Sag' dir dann fehlt deinem Leben der Sinn

Sag' mir wo du stehst (3x)
Und welchen Weg du gehst

Wir haben ein Recht darauf dich zu erkennen
Auch nickende Masken nützen uns nicht
Ich will beim richtigen Namen dich nennen
Und darum zeig mir dein wahres Gesicht

Sag' mir wo du stehst (3x)
Und welchen Weg du gehst
Sag' mir wo du stehst (3x)
Und welchen Weg du gehst
Und darum zeig mir dein wahres Gesicht, ist genau die Botschaft die hinter diesem Sponti-Spruch „UND DU?“ steht.

Alle anderen Parteien werben um ihre Standpunkte, verpacken diese in gefühlsbetonte Botschaften, doch die GRÜNEN werben nicht, sie versuchen dem Wähler einzureden, dass seine Standpunkte die falschen sind. Oder wie Wikipedia zu diesem unsäglichem Lied schreibt:
Im Lied wird der Adressat Du von einem gleichsam gewissenserforschenden Kollektiv, das sich selbst auf der Seite des gesellschaftlichen Fortschritts sieht („wir bringen die Zeit nach vorn“), aufgefordert, Dich zu erkennen zu geben, sowie zur Abkehr vom zurückbleibenden Im-Kreis-Gehen, zum Ablegen der nickenden Maske und zur Offenbarung des wahren Gesichtes.
Wird Zeit, dass wir diese grünen Agitatoren, dieses gewissensüberprüfende Kollektiv, mitsamt ihren arroganten Wahlkampfsprüchen dorthin schicken wo sich der Oktoberclub schon befindet: Auf den Müllhaufen der Geschichte.

4 Kommentare :

  1. Danke für die interessante Analyse, die auch meine Bauchreaktion auf das provokative "Und du?" wiedergibt. Der Name der Partei steht dabei nicht (oder jedenfalls nicht groß) auf den Plakaten; das zeugt von Selbstbewußtsein und Vertrauen auf ein Alleinstellungsmerkmal: die mit den Verboten und der richtigen Gesinnung sind die Grünen.
    Andererseits knackt es bei dem einen oder anderen Spruch rhetorisch gewaltig im Gebälk. So lautet einer der 9 grünen Punkte "Gerechte Löhne. Mindestens." Mindestens? Mehr als gerecht? Oder höher als gerecht: also ungerecht, aber in der anderen Richtung? Dann verliert aber der Appell an die Gerechtigkeit sehr an Glaubwürdigkeit.

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  2. Dein Artikel gibt meiner Aversion gegen diese "Zeigefinger"-Plakatserie der Grünen Ausdruck. Übrigens hat politquatschplatsch weiteres Interessantes herausgefunden: "Wiedergeboren als Grünen-Plakat".

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  3. Danke für die Kommentare, Climateobservator und Fluminist. Freut mich, dass ich mit meinen Eindrücken und Einschätzungen nicht alleine stehe.

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  4. Eine etwas späte Anmerkung.
    Ich finde das "UND DU" als Bedrohung.
    Das erinnert mich an den Spruch:

    "Und willst DU nicht mein Bruder sein, so schlag Dir den Schädel ein"
    Norbert

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