10. Mai 2014

Grünrotschwarzgelbe Taubheit

Wie sehr es im Grunde auf Machtspielchen in der Politik ankommt, war kürzlich in einem sehr aufschlussreiches Interview mit Wolfgang Kubicki (FDP) in der Welt zu lesen:
„Es gibt jedenfalls erste Annäherungen von Seiten der SPD.“
„Ich persönlich rede in Kiel mit dem Ministerpräsidenten Albig. Und auf Bundesebene mit anderen Führungskräften, deren Name nicht in die Zeitung gehört.“
SPD und FDP zusammen ist die eine Sache, doch wie soll da eine Mehrheit ohne die Grünen zusammen kommen? Insgesamt sieht es danach aus, als ob die FDP unter Lindner, mit Kubicki, nicht nur dabei ist jegliche Richtung zu verlieren, sofern sie eine solche in den letzten Jahren gehabt hat, sondern auch noch blind und taub, was die potentiellen Wähler der FDP anbelangt. Wie der Freiheitsgedanke mit der SPD, wie sie sich derzeit darstellt, in praktische Politik umgesetzt werden könnte, wird das große Rätsel der beiden bleiben. Die Sozialdemokraten senden derzeit keinerlei Anzeichen aus, ihr selbst verschuldetes Loch zu verlassen zu wollen und werden zwischen LINKE, GRÜNE und AfD zerrieben und wer richtig sozialdemokratische Politik haben möchte, wählt sowieso Merkel. Statt das eigene Profil zu schärfen ergeht sich die FDP offenbar schon wieder in Machtpolitik und Klüngeleien, mit der Folge, dass Richtung und Konturen nicht mehr erkennbar sind.

Genau diese Entwicklung ist aber auch bei den meisten anderen Parteien zu beobachten. Die CDU baut ganz auf Merkel, und die, zusammen mit Oberklüngler Schäuble, lässt das Parteivolk im ungewissen wohin die Reise gehen soll, den Wähler sowieso. Kein Wunder dass bei dem die Lust an Wahlen teilzunehmen, die ja offensichtlich sowieso keine grundlegenden Richtungsänderungen möglich machen, abnimmt. Die SPD ist auf der Suche nach sich selbst und schielt nur noch nach den Konkurrenten, wobei dabei vollends ein eigener Weg aus dem Blickfeld verschwindet.

Einig sind sich alle nur, wenn es um die AfD geht, da wissen die anderen Parteien auf einmal ganz genau dass deren Weg falsch ist.
„Mit dem Bedienen von Ressentiments und Ängsten ist auf Dauer keine vernünftige Politik zu machen.“
Sagte ebenfalls Kubicki im Interview, wobei das noch die harmlosesten Vorwürfe sind die von den ehemals Liberalen kommen. Wobei, bei Lichte betrachtet, schüren doch gerade diese Orientierungslosen aller Parteien Ressentiments und Ängste, in dem sie unterstellen, diese neue Partei würde solches tun. Insgesamt scheint man bei den «alten» Parteien der Meinung zu sein, bei der AfD handelt es sich um eine reine populistische Bewegung die von Protestwählern getragen ist, und deswegen, weil die meisten Proteste nach anfänglicher Begeisterung wieder versanden, die AfD als temporäre Erscheinung ansehen. So sagte denn auch Kubicki in dem Interview:
Unmittelbar nach der Europawahl geht die AfD unter. Dann ist das zentrale Thema der Euro-Feindlichkeit weg.
Diese Einschätzung könnte sich allerdings als fataler Fehler erweisen, auch bei den GRÜNEN oder der LINKEN wurde dieser gemacht und der eigentliche Wunsch der Wählerschaft nach wirklichen Politikwechsel mit Protestbewegung verwechselt. Nun ist der Protest auf der bürgerlichen Seite in der Regel nicht so lautstark und öffentlichkeitswirksam wie der auf der linken Seite, auch wird dieser in den Medien nicht so besprochen, oder wenn doch, dann als dumpfe Ansammlung von Ressentiments dargestellt. Doch es gab ihn, er drückte sich vor allem in Abwanderung in die Gruppe der Nichtwähler aus. Lediglich bei der CSU existiert noch der populistischen Sensor, der diese Proteste einfangen kann.

Doch mit der Zeit wird den Protestierenden klar, dass innerhalb des Gefüges der Partei, oder der zu Verfügung stehenden Parteien, nicht viel erreicht werden kann. Dann etabliert sich eine neue Gruppe, die zwar aus Protestbewegungen hervorgegangen ist, aber nun nicht mehr nur gegen etwas ist, sondern wirkliche Alternativen zur gegenwärtigen Politik entwickelt. Besonders gut ist diese Entwicklung in unseren europäischen Nachbarländern zu beobachten. Im Cicero wird der französische Soziologe Alain Mergier zitiert, der über die Front National(FN) sagt:
„Man protestiert nicht mehr gegen die Taubheit [der traditionellen Parteien, d.V.], wenn man für die FN stimmt, denn man hat die Nutzlosigkeit dieses Protests erlebt. Man wählt die FN vielmehr, weil man sich eine Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse erhofft, ...“
Auch in Großbritannien, so meint beispielsweise Jürgen Krönig, ZEIT und Hörfunkkorrespondent, in der SWR-Sendung «kontext» vom 6. Mai, über die britische europakritische Partei UKIP:
UKIP ist eigentlich heutzutage die Arbeiterpartei Großbritanniens, es sind nicht nur konservative Wähler, sondern es sind viele Labour-Wähler, vor allem Männer mittleren Alters, oder gehobenen Alters, die frustriert sind. Die zurück gelassen sind durch Globalisierung, die die glatten Eliten, die urbanen Eliten, die ihre neuen Theorien von Antidiskriminierung, und was gesund ist, und was nicht gesund ist, durchsetzen, mit großem Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen, die also die neue darstellen von Banken bis hin zu Institutionen, die EU-Bürokratie ist nur ein Beispiel dafür.
[...]
Alle linken Parteien beispielsweise, sozialdemokratischen Parteien Europas, sind mit diesen Problem konfrontiert, und mir fällt auf, dass die nachdenklichen Politiker aus Holland, oder auch Deutschland und Großritannien [..] davor warnen die Partei als ausländerfeindlich oder rechtspopulistisch darzustellen, weil es die vielen Wähler dieser Partei definitiv nicht sind, sondern von anderen Motiven beflügelt werden.
Auf Deutschland übertragen heißt das, dass die Sozialdemokraten nun nicht nur zwischen GRÜNEN und LINKEN zerrieben werden, sondern auch noch von der AfD. Wie mit dieser derartig unter Druck stehenden Partei ein Bündnis ausgelotet werden kann, wie es Lindner und Kubicki offensichtlich anstreben, muss ein Rätsel bleiben. Reine machtpolitische oder strategische Überlegungen diesbezüglich werden nur noch zur weiteren Entfremdung zwischen Parteien und Bürger beitragen. Protestieren hilft nicht, die Parteien sind taub.

Die Frage ist tatsächlich, ob die Entwicklungen in Deutschland auch schon so weit ist, dass die AfD nicht mehr nur als Protestpartei gesehen wird, sondern als politische Alternative wie es offensichtlich bei den sogenannten europakritischen Parteien in unseren Nachbarländern der Fall ist. Der Euro und die EU wären dann zwar dann immer noch ein großes Thema, doch nicht der Hauptgrund dafür, dass diese Partei gewählt wird, sondern sich ein Widerstand artikuliert gegen diese neuen urbanen Eliten, die sich in Deutschland ja hauptsächlich auf die GRÜNEN stützen, oder zumindest deren Ideologie.

Wenn die etablierten Parteien ihre Taubheit überwinden, und nicht nur in Hinblick auf den Euro, dann haben sie eine Chance dass die AfD wieder in der Versenkung verschwindet. Wenn nicht, und darauf deutet momentan alles hin, wird es eine dauerhafte Alternative geben.

Anfangs steht tatsächlich der Protest, doch mit diesem dringt man nicht durch. Durch ein paar symbolische Handlungen, Gesetze, wird auf die Protestierenden eingegangen, wodurch der Druck im Kessel ein wenig gemindert wird, doch grundsätzlich ändert sich nichts. Diverse Partizipationsmöglichkeiten täuschen nur Mitbestimmung vor, weil sie im Grunde keine grundsätzlichen Wahlmöglichkeiten zulassen. Die traditionellen Parteien sind taub geworden und nehmen nicht mehr wahr, welche Befindlichkeiten das Parteivolk oder der Wähler hat. Denn die haben es zu einem erheblichen Teil satt von selbst installierten Eliten gegängelt zu werden. Statt im besten Sinne populistisch zu sein, gibt man den Oberlehrer und macht mit Machtspielchen weiter. Kubicki und Lindner sind nur ein Beispiel.

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