12. April 2018

Farben, eine Homepage, Digitalisierung und das Gewissen der Zeit

Kürzlich machte ich mich auf, meine Homepage neu zu gestalten. Mit ein paar Klicks, so etwa der Anbieter des Hompage-Baukastens, ist diese im Handumdrehen fertig. Design aussuchen, Texte und Fotos einfügen, das wars. Pustekuchen! Bei mir hat dieses Handumdrehen etwa zwei Wochen gedauert. Wobei, genau genommen, das was heute da zu sehen ist, war tatsächlich recht schnell gebaut, aber was davor geschah: oh je!

Der Ärger begann mit den Farben, die verwendeten sollten harmonieren und insgesamt zum Thema passen. Also erst mal ein Konzept im Kopf erstellen. Dafür hilfreich war ein Farbtonfächer, so einer mit dem der Maler seinen Kunden bei der Raumgestaltung hilft. Ich hatte noch einen rumliegen, also zog ich dieses Hilfsmittel als Unterstützung für meine Inspiration her. Die Kinder und meine Frau gaben ebenfalls ihre Kommentare ab, welche Farbkombinationen denn harmonieren und welche nicht. Gut, bis dahin hat es noch Spaß gemacht. Wenn der Maler seine Musterkataloge von Tapeten oder Bodenbelägen dem Kunden präsentiert, dann ist das auch noch schön. Ihr ahnt es sicher, was nun kommt.

Ich bin ein großer Fan von Farbverläufen, in der realen Welt erzeugt man sowas beispielsweise mit Lasuren, Beizen oder Spachteltechniken, das wollte ich auch virtuell haben. Denn ein Ding hat immer mehrere Farben, in der Natur sowieso, man schaue sich nur mal die Buntheit eines einzelnen Blattes an, nicht nur im Herbst, wenn die sich sowieso verfärben, auch jetzt im Frühjahr. Klar, auf den ersten Blick sieht es nur grün aus, doch die Schattierungen, die Einmischungen von Gelb über Rot bis Braun, und je nach Tageszeit kommt noch Blau dazu. Dann das Licht, mittags hat es ein ganz anderes Spektrum als am Abend. Ohne Licht ist sowieso keine Farbe, sie ist davon abhängig. Genau genommen ist Farbe ja nur Reflexion des Lichts, aber ich will nicht so ins Detail gehen.

Das mit den Farbverläufen musste ich ausprobieren, am Rechner eine nicht ganz einfache Arbeit für einen Digital-Legastheniker, wie ich einer bin. Doch auch ich bin noch lernfähig, also fand ich Lösungen für die Probleme die sich auftaten. Ein paar verschiedene Versionen entstanden, denn oft ist es von der eigenen Stimmung abhängig, was einem gerade gefällt. Mit der Stimmung ist das genau so wie mit dem Licht, das Spektrum verändert sich ständig, also ist die Wahrnehmung auch immer unterschiedlich. Dabei spreche ich hier noch nicht mal von der Farben-Verbildung.

„Dein Sohn ist auch schon verbildet!“ meinte ein Freund, der meinem Jungen beim Zeichnen zuschaute. Zuerst malte er unseren Wellensittich in einem warmen gelb-orangenen Farbton, schaute sich den realen Vogel noch mal an, wohl um ihn mit seiner Zeichnung zu vergleichen, und stellte fest, dass er eine falsche Farbe verwendet hatte. Mit geradezu hastigen Bewegungen und sichtlich verärgert übermalte er das Bild vom Vogel mit Grün, also der Realität entsprechend.

Mein Kumpel – OK, er ist auch Künstler – war ziemlich enttäuscht. So wie das Bild zuerst war, wie es vom Maler, also meinem Sohn in diesem Fall, zu Papier gebracht wurde, so war es ehrlich. Dann sah er den Wellensittich so, wie es ihm gelehrt wurde, was aber nicht mehr ehrlich war, weil es seine positiven Gefühle gegenüber dem Objekt ausblendete. Darüber unterhielten wir uns noch einen ganzen Nachmittag, wenn ein Künstler gleichzeitig auch noch Philosoph ist, gehen einem definitiv nie die Themen aus.

Ja, solche kleine Episoden kehrten ins Bewusstsein zurück, als ich an den Farbverläufen meiner Homepage bastelte. Welche Farben kann ich überhaupt verwenden oder muss ich auf die Verbildung der Menschen Rücksicht nehmen. Meine Frau beispielsweise assoziiert mit Gelb immer Eifersucht, oder Rot – ganz gefährlich. Nein, das meine ich jetzt nicht politisch, sondern die nächste Episode erscheint auf meinem geistigen Bildschirm. Es hat mit einem handfesten Krach meiner Schwiegereltern auf den Philippinen zu tun. Mein Schwiegervater wollte nämlich am Valentinstag in einem schicken roten Hemd das Haus verlassen, worauf hin meine Schwiegermutter einen ihrer berüchtigten Tobsuchtsanfälle bekommen hat. Mit einem Grinsen im Gesicht erklärte mir meine Frau den Sachverhalt.

Wer am Valentinstag nämlich mit einem roten Hemd oder einem roten Tshirt herumläuft, signalisiert damit, dass er auf Kontaktsuche ist. Nun verstand ich den Gefühlsausbruch meiner Schwiegermutter etwas besser. Allerdings hatte ich vollstes Verständnis für meinen Schwiegervater, dessen Leidensfähigkeit bezüglich seiner Ehe fast grenzenlos zu sein schien.

Welche Signale sende ich mit den Farben meiner Homepage aus! In welche Fettnäpfchen setze ich mich, wenn ich Gelb, Rot, Blau, Grün oder gar Braun verwende? Kann ich die Verbildung der Menschen außer Acht lassen, nur meinen Gefühlen folgen und einen gelb-orangenen Wellensittich zeichnen? Mindestens eine Woche brachte ich mit diesen Fragen rum, bastelte und bastelte immer wieder etwas Neues, schliff an Nuancen.

Um es kurz zu machen, alle diese Fragen wurden irrelevant. Als ich glaubte, endlich eine Lösung gefunden zu haben, einigermaßen zufrieden mit dem Ergebnis meiner Arbeit am Bildschirm war, erinnerte ich mich an einen kürzlichen Besuch in einem Mediamarkt. Auf mindestens zwanzig Fernsehern lief der gleiche Film, doch auf jedem waren die Farben anders. Natürlich hatte ich das bei meinen Farbtonspielereien völlig vergessen.

Also schnell zwei weitere Browser installiert und schon, oh je, war klar, die ganze Arbeit war für die Katz. An den Rechnern der Kinder sah es noch schlimmer aus. Deren arbeiten mit einem anderen Betriebssystem als meiner, wegen der Spiele, wurde mir gesagt. Die reine Katastrophe: „Da bekommt man ja Augenkrebs“, meinte eine der Töchter.

Fast schämte ich mich meiner Gedanken, die über die Farben-Verbildung oder die Signalwirkungen. Das war nun nur noch theoretisches Gefasel, für die Praxis völlig irrelevant, wenn es doch auf jedem Bildschirm anders aus sieht. Und nicht nur die Farben, auch die Schriften waren verschieden. Zurück zum Anfang also, oh Mensch, ärgere dich nicht.

Das ganze Konzept meiner Homepage war hinfällig geworden, das was ich wollte, ging nicht. Nächster Versuch, nur websichere Farben verwenden, angeblich sollen ja rund 250 Farbtöne gewissen Standards genügen. Doch diesmal überprüfte ich es, bevor ich mich an die Arbeit machte. Das Ergebnis war das Gleiche, damit waren meine Vorstellungen von der Gestaltung der Homepage endgültig begraben.

Von nun an gab die ›Technik in der Praxis‹ den Rahmen vor, innerhalb dessen ich mich zu bewegen habe. Die ganze Standardisierung nützt mir nichts, wenn es in der Praxis überall anders ist. Vielleicht, in der Theorie, wenn alle Nutzer ihre Bildschirme exakt kalibrieren und die jeweilige Soft- oder Hardware den Anforderungen genügt, dann vielleicht klappt es. Doch das ist graue Theorie, genauso illusorisch wie anzunehmen, alle Verkehrsteilnehmer halten sich an die Regeln und damit gibt es keine Unfälle mehr. Womit wir beim selbstfahrenden Auto wären. Der öffentliche Raum ist doch mindestens so komplex wie der virtuelle, wie wollen die das hinbekommen?

Sicher, irgendwann schaffen die es, aber die Regeln, wie was zu geschehen hat, bestimmt dann die Technik, sie gibt vor, wie wir uns im öffentlichen Raum zu bewegen haben, wer davon abweicht gefährdet sich oder andere. Freilich ließe sich einwenden, dass das heute schon nicht anders ist, aber um ehrlich zu sein, selbst diesen heutigen Regulierungen gehen mir zumeist schon auf den Zeiger, und je mehr Technik, oder Algorithmen, in den öffentlichen Raum einziehen, desto mehr Freiheit geht dahin.

Dem gegenüber stehen natürlich die neuen Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, dem bin ja nicht abgeneigt, schließlich nutze ich sie ja auch. Aber was sich dann im Leben wirklich ändert, wird man erst im Rückblick sehen.

Ein Freund kommt mir in den Sinn, der hatte in den neunziger Jahren, vielleicht noch früher, seine Firma (Hausverwaltungen und Architektur) schon komplett digitalisiert. Anfangs mussten sie sich ihre Programme noch selbst schreiben, es gab noch nichts am Markt. Als er mir Mal so ein altes Programm zeigte, der Bildschirm sah in ungefähr so aus, wie wenn ich heute in meinem Linuxmint ein Terminal öffne, da fragte ich ihn, wie es denn in seiner Firma war, als sie die Computer noch nicht hatten. „Tja, damals hatten wir noch Zeit“, sagte er und fügte resignierend an: „und damals haben wir auch noch Geld verdient“.

Ja, das kannte ich auch, nicht was das Geld verdienen anbelangt, dafür hatte ich noch nie ein Talent, doch die Zeit, das Verhältnis zu ihr hat sich verändert. Als mein Sohn seien Wellensittich zeichnete, das war etwa 81 oder 82 in der DDR, da hatten wir noch nicht mal ein Telefon. Mit meinem Freund konnte ich danach noch stundenlang über die Zeichnung eines Kindes philosophieren, nur er und ich, ohne jegliches schlechtes Gewissen der Zeit gegenüber.

Und heute, da wäre die Zeichnung sofort in den sozialen Medien – Halt! Nein, das Fass mache ich jetzt hier nicht auf. Was ich aber heute noch tun werde, meine Frau und meine Töchter nach einen ganz markanten Nagellack fragen, mit dem ich die Ausschalttaste auf meinem Laptop deutlich markieren kann.

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