Mein Freund Hermann ist schuld, weil der sich über den König Ubu krumm lachte. Nein, ich will keine falsche Erwartungen wecken, dieses Büchlein von mir hat absolut keine Ähnlichkeit mit den Werken des Bürgerschrecks Alfred Jarry, nicht mal ansatzweise. Aber es ist die Art zu fühlen, vielleicht auch zu denken, sich die Menschen so in ihrer Umwelt vorzustellen, wie sie eigentlich sind – der Wahrheit also über Imagenationen näher zu kommen – die mich faszinierte. Schon der von mir herzlich verachtete Denker Adorno sprach von einer anderen Eigentlichkeit von Dingen und nicht nur er, also darf ich das auch.
Eigentlich ist der Mitläufer, ab Seite 15 beschrieben, kein Läufer, er hat gar keine Beine und demzufolge auch keinen Standpunkt. Er wird von der Masse gezogen, müsste also eher Mitgezogener heißen. Ja so ist das mit der Eigentlichkeit, manchmal sind schon die Worte, die etwas beschreiben, bereits das Problem, etwas wird vorgetäuscht.
Nur an diesem kleinen Beispiel ist erkennbar, um was es geht, nämlich um ’Pataphysik, jenem absurden Wissenschaftskonzept, welches ebenfalls auf Alfred Jarry zurückgeht und von dem Klaus Ferentschik, Mitglied des Collège de ’Pataphysique in Paris und Regent für spezielle Dämonologie, sagte:
„’Pataphysik inkludiert alles, alles Vorstellbare, alles Unvorstellbare, alles Mögliche, alles Unmögliche. Für sie ist alles eins in einer grenzenlosen Welt pataphysischer Betrachtungen. Die das Mögliche und das Vorstellbare dem Unmöglichen und dem Unvorstellbaren gleich setzt, kann dann auch nicht mehr als wahr und oder falsch angenommen werden, sondern nur noch als gegeben und existent.“
Ich nehme solche Aussagen ernst, schon in der DDR Anfang der 80er Jahre, als mich mein Freund mit seinem Gelächter auf den König Ubu aufmerksam machte, erkannte ich, wie viel Wahrheit darin steckt, denn die existierende sozialistische Gesellschaft erschien mir völlig verrückt und war dennoch real. Unter solchen Umständen ist eine Trennung von Imagenation und Realität nicht mehr praktikabel, wenn die Realität also surreal anmutet. Dieses Gelächter über die absurde Realität, welches ich vom Freund lernte, rettete mein Leben, „wo der Mensch lacht, hat der Teufel seine Macht verloren“, meinte James Krüss in seinem Tim Thaler dazu.
Leider musste ich später erkennen, dass der Westen, der ja bis dahin nur imaginär für mich existierte, im Prinzip genau so surreal und absurd ist, wie der Osten vorher. Vielleicht ist das zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften so, eine Naturgesetzlichkeit, warum Menschen das scheinbar Reale nicht hinterfragen – eine Eigenart des Menschen sozusagen, um unter seinesgleichen zu überleben.
Doch genau das konnte ich nie, habe es nicht erlernt, und als man es mir einbläuen wollte, habe ich mich gewehrt. Um zu überleben also, erinnerte ich mich an die Technik, die ich bereits in der DDR einübte: mit Imagenationen einer Sache auf den Grund gehen. Denn diese Imagenationen zeigen die Menschen nackt – wie sie gemacht wurden, wie sie sich selbst machten – in ihrer ganz eigenen Brutalität, manchmal auch in ihrer Verletzlichkeit.
Und so mäandere ich durch mein Leben, durch meine Umgebung, mehr noch durch mein Denken, kann nicht mehr irgendwelchen vorgegebenen Linien folgen, das habe ich verlernt, oder es nie gelernt, wie man will. Nur Feiglinge folgen klaren Linien (ab Seite 77). Geradlinigkeit ist immer ein Indikator für Feigheit.
Auf diesen meinen Wegen, keiner vorgezeichneten Linie folgend, entstehen dann diese Imagenation, die für mich aber völlig real sind, weil sie das Eigentliche einer Sache aufzeigen. Fünfundzwanzig davon, die ich mir aufgeschrieben habe, sind nun in diesem Büchlein nachzulesen.
Kommentar veröffentlichen