9. Juni 2018

Das Pfeifen im Stadion

Die Pfiffe gegen die türkischstämmigen deutschen Fußballnationalspieler Gündogan und Özil, live in jedes Wohnzimmer übertragen, wirken auch wie ein Angriff auf die Schweigespirale des ›Politisch Korrekten‹ und hat Bedeutung weit über den Fußball hinaus. Die Pfiffe zeigen an, aus Latenz wurde Präsenz, aus gefühlten Unmut wurde artikulierter Protest. So was kann zum Selbstläufer werden, alle Revolutionen beginnen so, und auch diejenigen anspornen, die sich bislang nicht trauten den Mund aufzumachen und vom Charakter eher Mitläufer sind. Nun der Sicherheit der Masse beraubt, suchen sie sich neue Orientierungspunkte, was gleichzeitig bewirkt, dass dem Mainstream nicht mehr vertraut werden kann, er ist möglicherweise keiner mehr.

Nun bin ich ja kein Fußballfan, habe die Spiele der Nationalelf gegen Österreich oder Saudi-Arabien auch nicht gesehen, nur im Radio ein paar Ausschnitte mitbekommen. Doch das Pfeifen war deutlich, auch die Kommentatoren mussten darauf eingehen und erklären. Eine gewisse Hilflosigkeit war ihnen anzumerken. Das Treffen mit Erdoğan wäre eine Dummheit gewesen, und die Spieler hätten sich ja zu den Werten unserer Gesellschaft bekannt, doch vor allem hätten sie die Wirkung ihres Handelns unterschätzt. Nichts an die diesen Erklärungen ist falsch, nichts an diesen Erklärungen ist richtig, sie wirken hilflos in der Beschreibung von etwas, was sie nicht begreifen: den Stimmungswandel. Wie genau dieser aussehen wird, ist momentan noch nicht ersichtlich, es überwiegt derzeit noch der Unmut, über das was ist. Pfiffe zeigen Fehler an, das was falsch läuft, eine Unzufriedenheit – mehr nicht.

Allerdings wirken die Pfiffe auf mich nicht wie das Pfeifen eines Ventils, dass den Überdruck im Kessel reguliert und dafür sorgt, dass dieser uns nicht um die Ohren fliegt, nein, dieses Pfeifen ist unkontrolliert, eher wie ein Riss in der Staumauer. Ein Tabu wurde gebrochen, das Diktat der Politischen Korrektheit wurde hinweggefegt. Die hilflosen Erklärungsversuche der Kommentatoren und Moderatoren in TV und Radio zeigen auf, was sie sich noch nicht zu denken getrauen und dass ein Dammbruch in der Gesellschaft bevor steht. Und der hat überhaupt nichts mit Fußball zu tun, hier zeigen sich nur die ersten Risse. Jedenfalls für diejenigen Mitläufer und Opportunisten, die diese Risse in der Gesellschaft bislang nicht sehen wollten. Nun wurden sie auf ihren Sofas damit konfrontiert, die Pfiffe waren nicht zu überhören.

1 Kommentar :

  1. Ich habe gerade Ihren Beitrag auf der Achse gelesen. Leider war da die Möglichkeit zum kommentieren schon vorbei. Im Prinzip müsste man Ihren Schlussfolgerungen bezüglich der Pfiffe gegn Özil und Gündogan ja vorbehaltlos zustimmen. Aber meinen Sie wirklich, dass sich daraus eine Änderung in der Gesellschaft oder der Politik ablesen lässt?
    Zu hoffen, ja zu Wünschen wäre es allerdings, nur fehlt mir ehrlicherweise der Glaube daran, dass der sich im Tiefschlaf befindliche deutsche Michel wirklich noch zu irgendetwas in dieser Richtung aufraffen wird. Dir Pfiffe der Fans werden doch sowieso wieder als einfältige Reaktion tumber, rechter und rassistischer Fans abgetan.
    Als langjähriger Fussballfan, der drei der vier bisherigen WM-Titel begeistert miterleben durfte, ist es mir diesmal eigentlich ziemlich wurscht, wie die “Mannschaft“ diesmal abschneidet. Und dies liegt nur zum Teil an dem Verhalten von Ö. und G., als an dem unsäglichen Geschwurbel von DFB, Bierhoff und dem grünen Nivea-Jogi zu diesem Thema.

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