Hier geht es nicht nur um die möglicherweise falsche Wortwahl Gaulands bei seiner kürzlichen Rede vor der ›Jungen Alternative‹. Die Aufregung kommt von der Angst um die Identität der Deutschen. Diese ist nämlich seit 45 ebenso beschwiegen wie umstritten. Eigentlich hat Gauland nur eine Rechnung mit der Frankfurter Schule offen, die alles deutsche nur zu gerne mit einem wie auch immer gearteten oder selbst konstruierten Nazisein verbanden. Denen, und deren Ideologie, galt der Angriff: Sie sollen sich nicht so aufblasen, die Nazizeit drückt nicht den Charakter der Deutschen aus, sie ist nur ein Ausrutscher in der Geschichte. Die früheren Äußerungen Gaulands insbesondere zu Bismarck lassen erahnen, woher er seine Erkenntnis über den Charakter der Deutschen her hat: Von der Sattelzeit, wie es die Historiker nennen und das lange 19. Jahrhundert. Von der Französischen Revolution bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. In diesem Jahrhundert, genau genommen etwa anderthalb Jahrhunderte, zeigte sich Wesensart und Potential des Deutschen Volkes, und als Patriot, als der sich sicherlich Gauland versteht, hängt er an dieser Zeit.
Mit so einem Welt- und Deutschlandbild im Kopf, nervt es natürlich ungemein, diese ständige Verkützung der deutschen Geschichte auf die Nazizeit vorgekaut zu bekommen. „Ich bin Deutscher“ kann ruhigen Gewissens grad noch einer sagen, wenn er anfügt: aber kein Nazi.
Ich finde, wir könnten uns schon mit Gauland darüber streiten, ob wirklich die Sattelzeit und das 19. Jahrhundert die für die Deutschen prägende Zeit war, oder nicht vielleicht das Mittelalter mit der Herausbildung der beiden Machtpole Papst und Kaiser, oder gar der Dreißigjährige Krieg. Ich tendiere zu letzteren, schon allein weil ich seit Kindesbeinen ein Fan vom Simplicissimus bin.
Die Verbrechen der Nazis wird niemand relativieren der noch einigermaßen gerade denken kann, doch die Wirkung des Faschismus auf die Geschichte ist möglicherweise viel geringer als uns immer vorgekaut wird. Ich diesem Zusammenhang möchte ich an die Aufregung um Nolte hinweisen, auch als Historikerstreit bekannt. Genau genommen, war dies mein erster Gedanke als ich Worte Gaulands las: Aha, da greift einer den Historikersteit wieder auf, und muss zugeben, dass ich es für höchste Zeit halte, dies zu tun. Nein, Ich kann nichts verwerfliches an Gaulands Worten finden. Politisch möglicherweise ungeschickt gewählt und damit seiner Partei schadend, in der Sache hat er aber nicht unrecht. Mindestens aber weist er auf eine längst überfällige Debatte hin.
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