Werte sind wie Sprachen. Wer sie in der Wiege gelegt bekam, über die Umgebungskultur absorbierte, nimmt sie als Selbstverständlichkeit wahr. Wir sollten in diesem Zusammenhang von »Mutterwerten« oder »Vaterwerten« sprechen und denken. Nicht in Form von Vermächtnissen aus der Vergangenheit, sondern als etwas lebendig erlebtes im Hier und Jetzt. Werte werden intuitiv erlernt, wenn man in diesem Werteraum aufwächst. Sollen sie durch andere Werte ersetzt werden, setzt dies bedingungsloses kritisches Reflektieren der eigenen Herkunft voraus. Dann aber, und das merkt man beispielsweise Menschen wie Hamed Abdel-Samad oder Imad Karim und anderen an, Menschen also, die die Kultur der sie entstammen sehr kritisch reflektieren, dann entfalten diese neu erlernten Werte so etwas wie eine identitäre Wirkung. Sie werden zur neuen Heimat, vielleicht auch Ersatzheimat.
Diese Menschen wirken dann wie Leuchttürme innerhalb der von ihnen erlernten Werteordnung. Ähnlich wie derjenige der eine Fremdsprache erlernte, oft viel mehr über die Regeln und die Grammatik weiß, als derjenige der sie als Muttersprache spricht, so wissen oft diese Wanderer über die Wertesysteme mehr über die erlernte Wertekultur als die da hinein geborenen.
Persönlich wird dieser Wertewandel als individuelle Weiterentwicklung gesehen, für Außenstehende, also solche die niemals die ihnen vermittelten Werte reflektierten und sich nur innerhalb dieser »Mutterwerte« bewegten, wird es als Verrat wahrgenommen werden.
Wenn wir heute von Integration sprechen, von den Einwandern verlangen, dass sie ‚unsere‘ Werte annehmen und leben, verkennen wir, welche tief greifende Veränderung wir damit verlangen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Mehrheit der Zugewanderten dazu imstande sind. Nur die mutigsten, die kritischsten, die intelligentesten schaffen das, alle anderen suchen ihre Geborgenheit und ihre Identität in den Vaterwerten, die sie so wenig infrage stellen können, wie ihre Muttersprache.
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