Keine Sorge, liebe Leser, ich will jetzt nicht mit dieser Überschrift an den von mir so verehrten Nikolai Gogol anknüpfen, sondern ein Loblied auf das Sinnesorgan Nase aussprechen; nur zufällig haben meine bescheidenen Ausführungen hier und Gogols Erzählung den gleichen Namen. Keinesfalls möchte ich als Namenlecker daherkommen, als einer, der gerne große Namen auf der Zuge mitführt, ihnen versucht zu schmeicheln, oder besser, der versucht, sich durch sie wichtig zu machen. Auch habe ich nicht vor, in die nachfolgenden Gedanken irgendwelche Assoziationen zu Gogols surrealistische Novelle einzuflechten, es ist wirklich reiner Zufall, dass meine Gedanken unter der gleichen Überschrift stehen und hat überhaupt nichts zu bedeuten.
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Ich musste diese kleine Erklärung vorausschicken, denn, gerade wenn es um Namen geht, ob für ein Körperorgan, eine Sache, ein Phänomen oder was auch immer, so sind wir doch schnell geneigt, zufälligen Namensgleichheiten eine tiefere Bedeutung zu geben. Irgendein Wort haben mal die Nazis gerne benutzt, ein anderes die Kommunisten, wer es also heute wieder in den Mund nimmt, ist sogleich als jeweiliger Anhänger verdächtig. Ich wurde mal als Reichsbürger bezeichnet, aufgrund irgendeiner Äußerung, die wohl so ähnlich auch bei denen geläufig ist. Dabei weiß ich von den Reichsbürgern eigentlich gar nichts, habe mich nie um sie gekümmert und mehr als das, was in den Schlagzeilen steht, denen man ja kaum entkommen kann, habe ich auch nicht über sie gelesen.
Noch bin ich nicht bei der Nase angekommen, über die ich doch hier schreiben möchte. Vorher muss ich noch einiges klarstellen, damit der werte Leser nicht zu falschen Schlüssen kommt, wie diejenigen, die mich als Reichsbürger bezeichneten. Was, wenn meine Gedanken in die falschen Hände geraten und Assoziationen wecken, die so ganz anders sind, als die meinen? Dafür möchte ich nicht verantwortlich sein, also gebe ich eine Erklärung mit, wie meine Worte zu verstehen sind. Dieser Text, der eigentlich von der Nase handeln soll, braucht, ähnlich wie ein Medikament, einen Beipackzettel, der vor missbräuchlicher Verwendung warnt und die Nebenwirkungen beschreibt. Es gibt ja so viele Möglichkeiten des Missbrauchs. Heutzutage ist es gar nicht mehr möglich, Gedanken einfach so zu äußern, immer braucht es eine Erklärung dazu, wer sie wofür benutzen darf und wer keinesfalls, vielleicht weil er ein Leugner ist, Klimawandel oder Corona, egal was. Immer muss die Handhabung des Gedankens genau erklärt sein, nicht dass er in den falschen Hals kommt. Oder erst die Wechselwirkungen, oje, was da alles schiefgehen kann.
Jetzt sollte ich aber doch langsam zur Nase kommen, aber wo fangen wir da an, es sieht ja schon jede anders aus, mit Ausnahme derer, die vom Schönheitschirurgen korrigiert wurden, diese sind dann wie aus dem Katalog. Aber dieses Problem haben auch andere Körperteile. Nein nein, ich denke jetzt nicht an Brüste oder Hintern oder Bäuche, sondern zuerst an die Zähne. Ganz gerade stehen sie im Mund, dank Zahnspange bekommt ein jeder junger Mensch ein Gebiss, mit dem er Reklame für Zahnpasta machen könnte. Aber zum Charakter des Gesichtes tragen sie nun nicht mehr bei. Einige Promis haben das begriffen, Madonna etwa, und lassen sich ihre Individualität nicht wegkorrigieren.
Eine kleine Bemerkung zu Corona muss ich nun doch einschieben, obwohl ich mir eigentlich vorgenommen hatte, dieses leidige Thema in diesem Text zu ignorieren. Aber beim Aspekt der Individualität von Gesichtern, deren Charakter maßgeblich von Augen, Nase und Mund geprägt ist, kann ich nicht diese schrecklichen Corona-Masken ausblenden. Alle Mimik muss jetzt von den Augen übernommen werden. Ob jemand zornig ist oder mich anlächelt, sonst sofort an der Mundpartie erkennbar, muss nun in den Augen gelesen werden. Manchmal klappt das sogar, vor allem bei Beachtung der restlichen Körpersprache, der Gestik und Haltung. Aber es ist schwierig und gelingt nicht immer. Die Unsicherheit, eventuell eine Geste falsch zu deuten, ist groß und manchmal, beispielsweise, ertappe ich mich dabei, Menschen zuzuzwinkern, denen ich sonst nur ein Lächeln geschenkt hätte. Missverständnisse sind da vorprogrammiert.
Die Augen, gerne als Spiegel der Seele bezeichnet, sind zwar auch zur spontanen Kommunikation fähig, doch lesen können wir das meist nur, wenn wir die Person und ihre Emotionen kennen. Allerdings, da ich nun so oft dazu gezwungen war in fremden Augen zu lesen, habe ich viel Traurigkeit gesehen. Zumindest kommt es mir so vor. Oder liegt es nur daran, dass die Augen so einsam in einem durch die Maske entfremdeten und entindividualisierten Gesicht stehen. Ich weiß es nicht. Was aber sicher ist, Augen können nur schwerlich lügen. Manchmal fällt das auf, bei einem Lächeln etwa, was uns der Gegenüber schenkt, das aber seltsam disharmonisch zur Augenpartie wahr genommen wird.
Zugegeben, ich musste diese Technik, das Lesen aus Gesichtern, lernen. Nein, ich habe das nicht studiert, sondern als typischer Self-Made-Man mir angeeignet, denn in den ersten paar Jahren unserer Ehe, haben sich meine Frau und ich, uns nur in Englisch unterhalten. Sie sprach kein Deutsch, ich kein Cebuano, also halfen wir uns mit Englisch. Meines ist so lala, ihres vielleicht ein bisschen besser. Dieses Defizit in der Kommunikation versuchten wir auszugleichen, in dem wir eben viel mehr auf Mimik und Gestik achteten. Das macht es beispielsweise fast unmöglich, zu lügen. Meist verrät man sich mit der entstehenden Disharmonie zwischen der Mund- und der Augenpartie. Wenn das nicht stimmt, ist was nicht in Ordnung. Vielleicht weil eine Lüge dahinter steckt, oder eine Befindlichkeit, die nicht zur gewünschten vorgespielten Emotion passt. Es muss nichts Schlimmes sein, die meisten Lügen geschehen ja sowieso aus Rücksicht dem anderen gegenüber, um ihn nicht zu kränken oder zu belasten.
Ein Verdacht schleicht sich ein. Könnte es sein, dass wir diese Disharmonie in der Mimik sehr wohl bemerken, nur nicht bewusst? Ein Gefühl stellt sich manchmal ein, dass doch mit dem Lachen etwas nicht stimmt, die Augenpartie scheint seltsam unbeteiligt zu sein, und wenn dieser Effekt zu stark ist, dann sprechen wir von gekünsteltem Lachen. Wie das gute Schauspieler hinbekommen, dass dieser Effekt bei ihnen nicht eintritt, wäre vielleicht auch mal interessant zu wissen, doch ich mäandere mit meinen Gedanken sowieso schon umher und will diesem Aspekt hier nicht weiter nachgehen. Das fällt mir nicht leicht, denn mit zunehmenden Alter habe ich immer mehr Freude am unerwarteten Augenblick und vergesse dann oft das Ziel, weshalb ich mich ursprünglich auf den Weg gemacht habe: Noch immer ist hier nichts von der Nase beschrieben worden, vielleicht gelingt es mir im zweiten Teil.
Die Fortsetzung folgt also.
Bisher erschienen
Die Nase (1) – Gedanken mit Beipackzettel
Die Nase (2) – Gedanken auf dem Weg
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