8. Februar 2022

Rebellischer Egoismus

Fast beginne ich mich schämen dafür, dass ich mich, meine Mitmenschen und Freunde, ja auch die Öffentlichkeit, getäuscht habe. Gerne habe ich erzählt, wie ich mich zum Oppositionellen in der DDR entwickelt habe; wie ich meine entwickelten Überzeugungen und den Kampf für die Freiheit dann moralisch begründete. Doch es mehren sich die Zweifel in mir, ob diese Darstellung wirklich so stimmt. Womöglich bin ich einem Irrtum aufgesessen und habe meine Sehnsucht nach Freiheit moralisch überhöht, wollte mich ein bisschen so sehen wie der Selbstlose, der sich opfert, um für das Gute zu kämpfen.

 



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Doch das war eine Selbstlüge, mir ging es hauptsächlich um mich selbst und meine Familie. Viel zu kritisch stand ich meinen Mitmenschen gegenüber – deren Opportunismus ich verachtete – als dass ich Hoffnung gehabt hätte, in diesem Land DDR ließe sich etwas grundlegend Richtung Freiheit ändern. „Ja, aber die Montagsdemos!“ werden nun sicher viele einwenden „die haben doch gezeigt, dass der Ruf nach Freiheit eben doch Systeme stürzen und verändern können.“ Diesbezüglich möchte ich nicht widersprechen, allerdings zweifle ich eben an, dass diese Widerstandsbewegung aus selbstlosen Motiven gespeist wurde, sondern, die Sehnsucht nach Freiheit in allererster Linie vom Egoismus getragen wurde. Erste Andeutungen machte ich hier schon mal darüber.

Warum dieser Rückblick? Nun, weil es aktuell wieder viele Demos gibt, bei denen nach Freiheit gerufen wird und es damals wie heute der Zorn ist, der die Menschen auf die Straße treibt. Es geht und ging ganz egoistisch ums „Freiheit haben wollen“, und nicht um eine Utopie oder Moral, auch nicht ums Grundgesetz. Deswegen geht keiner auf die Straße, jedenfalls nicht in Deutschland. Gut, vielleicht ist eine kleine Minderheit von Idealisten auch dabei, die sind ganz nützlich, weil sie doch gute Argumente liefern, die dem Zorn eine höhere Bedeutung geben. Wer gibt schon gerne zu, dass der Ursprung der eigenen Wut hauptsächlich auf egoistische Motive zurückzuführen ist. Damals war es die Reisefreiheit und die DMark, nach der die Masse hauptsächlich begehrte, heute die Freiheit über den eigenen Körper selbst zu entscheiden oder ein Fest feiern zu dürfen. Eine Idee davon, was Freiheit ist, die theoretische Beschreibung und Formulierung, steht dabei nicht im Vordergrund, es wird nur so getan, als ob das so wäre, wie bei mir damals, als ich aus der DDR wegwollte.

Einleitend schrieb ich über meine Scham und die Selbsttäuschung hehre Motive für mein Tun gehabt zu haben, wo es aber doch mehr mein Egoismus war, der mich dazu trieb, das zu tun, was ich tat. Der Schrei nach Freiheit ist immer der des Gefangenen, der seine! Freiheit einfordert. Was der Schreiende dann tut, wenn er es tatsächlich geschafft hat seine Freiheit wieder zu erlangen, muss hier jetzt auch angesprochen werden, denn mit dem Eintritt des Erfolges löst sich die Masse auf. Dann trennen sich die Egoisten ab und leben ihr Leben, sie haben ihr Ziel erreicht. Genau das tat ich, als ich 1983 mit meiner damaligen Familie in Stuttgart heimisch wurde und vermutlich wird dies bei den späteren Montagsdemonstranten nicht viel anders gewesen sein. Die Mauer war gefallen, die DMark gekommen, die Wiedervereinigung geschafft. Jetzt ging es darum, das Erreichte auszuleben, neue Ziele zu finden, die Möglichkeiten auszukosten, welche die neue Freiheit bot.

Die Idealisten bleiben übrig, halten Sonntagsreden, sammeln sich in Vereinen oder Parteien und verwalten die von den Egoisten erkämpfte Freiheit, während diese nun die Freiheit leben und erleben. Nein, dafür will ich mich nicht mehr schämen und sollte mich in Zukunft mal wieder jemand als Egoist beschimpfen wollen, werde ich antworten: „Danke für das Kompliment! Ja, ich bin ein rebellischer Egoist!“

 

Text ebenfalls bei AchGut erschienen: hier.

 

 

 

1 Kommentar :

  1. Fuer Freiheit zu sein und sich selbst zu dienen ist doch ueberhaupt kein Widerspruch. Wenn ich dafuer bin, dann heisst das wohl erst einmal konkret gegen den Zwang zu sein, mir und speziell meinen Kindern diesen Dreck in den Arm zu jagen. Ich bin aber auch dagegen, dass generell jemand in einer Position Dinge anweisen kann, die verschiedenste andere Aspekte betreffen. Bis zur machtueberheblicher Unterbindung und Ohrenverschliessen vor meinen Argumenten. Und dazu bedarf es einer Gesellschaftsordnung, die diese ganz wesentlich grundlegend akzeptiert. Oder eben nicht, dann gehe ich dagegen vor, wie jetzt.

    Diese Dichotomie Egoismus-Allgemeinwohl ist einfach in dieser Pauschalisierung falsch, das ist ein eingeblaeutes wohl christlich bestimmtes Muster. Davon sollte man sich m.E. loesen.

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