24. Dezember 2012

Medien und Inszenierungsgesellschaften

Menschen versuchen ein bestimmtes Bild von sich selbst ihrer Umwelt zu vermitteln, sehen sich immer auch wie im Auge des Betrachters. Dabei bedienen sie sich einer ganzen Palette von verschiedensten Werkzeugen, solche die das gewünschte Bild transportieren können. Von der Kleidung über den Haarschnitt bis zur ureigen Mimik und Gestik. Und selbstredend natürlich Inhalt und Form dessen was man ausspricht. Alles das zusammengenommen ist die Inszenierung von sich selbst. Und wenn alles zueinander passt, ist die Inszenierung gelungen. Dies klappt natürlich nicht immer, vor allem wenn man die Medien - als solche möchte ich alles bezeichnet was geeignet ist ein gewünschtes Bild zu transportieren - Gestik und Mimik nicht vollständig unter Kontrolle hat, sie eine andere Geschichte erzählen. Das erzeugte Bild im Auge des Gegenüber ist dann möglicherweise nicht das erwünschte positive, statt einem Lächeln erscheint ein Grinsen.

Klarerweise ist aber die Gruppe von Personen, die mit dem dem Menschen natürlich zur Verfügung stehenden Medien erreichbar sind, sehr überschaubar. In fünfzig Meter Entfernung ist keine Mimik mehr zu erkennen, in einhundert kaum noch Worte zu verstehen. Hier hilft dann die Technik weiter. Mikrofone und Lautsprecher, Videos auf großen Leinwänden, erweitern den Personenkreis beträchtlich. Durch Aufzeichnungsgeräte werden gar die Beschränkungen von Räumlichkeit und Gegenwart aufgehoben. Mit dem Nachteil allerdings, dass es keine direkte Interaktion zwischen Darsteller und Publikum mehr gibt. Direkt, körperlich, Anwesende drücken Beifall oder Ablehnung aus und dies kann vom Darsteller direkt verarbeitet werden.

Wird allerdings, zum Beispiel, die Rede auf einem Parteitag aufgezeichnet und per Videostream oder Fernsehen einem breiterem Publikum dargeboten, so beeinflusst dies auch die beim Event körperlich Anwesenden. Denen ist bewusst, dass sie eine Rolle im Gesamtbild der Darstellung sind, es also nicht mehr nur um die Rede oder den Redner geht, sondern darum wie das Zusammenspiel zwischen körperlich anwesendem Publikum und Redner funktioniert. Damit werden alle zu Darstellern in einem größerem Gemälde. So wie der Redner seine eigene Mimik und Gestik unter Kontrolle behalten muss, so gilt dies auch fürs anwesende Publikum. Dieses muss, soll die Darstellung überzeugend sein, die ihm zugedachte Rolle spielen.

Oft wird daher geklagt, dass auf Parteitagen und vergleichbaren Veranstaltungen kaum Dialoge oder wirkliche Auseinandersetzungen grundlegender Art vorkommen, alles inszeniert sei. Dies trifft natürlich zu, ist als Beschreibung allerdings irrelevant. Parteitage werden danach bewertet wie gut die Inszenierung gelungen ist. Ähnlich einem Theaterstück, da geht es bei der Bewertung auch nicht darum das Gesagte zu reflektieren, dies war ja schon vorher da und bekannt, sondern wie es präsentiert wurde. Die Inszenierung selbst wird zum Gegenstand der Kritik. An der Fähigkeit der Organisatoren dieser Parteitage, ein entsprechend gutes Gesamtbild herzustellen, wird auch deren Eignung für politische Führung erkannt. Inhalte spielen bei derartigen Veranstaltungen keine große Rolle.

Welche Rolle spielen nun in diesem Szenario die Medien die nicht unter direkter Kontrolle von Politik oder den Veranstaltern von Großevents stehen. Im allgemeinen Presse, Rundfunk, Fernsehen. Die sind nämlich schon lange nicht mehr nur Transporteure von Darstellungen, oder reflektieren diese, sondern sind selbst Akteure geworden, die eine jeweils eigene Agenda verfolgen. Medien inszenieren sich selbst, was an sich nicht neu ist, doch zunehmend in einer Art und Weise wonach aus dieser Selbstinszenierung eine eigene Öffentlichkeit erzeugt wird. Radiostationen veranstallten Rockfestivals, oder machen gar aus Veranstaltungen wie dem »European Song Contest« ein mediales Dauerereignis. In die Medien kommt, was zu den Medien passt. Diese Selektion macht sie zu eigenständigen Akteuren mit ganz unreigenen Interessen.

Will die Politik sich der Medien bedienen, so geht dies heute nicht mehr nur in Form von Nutzung der Technik, wie etwa Mikrofon und dergleichen, sie muss sich den Spielregeln der Medien beugen, nur die ganz großen Tiere haben eine Chance den Spieß umzudrehen. Doch die meisten fügen sich und spielen mit. Sendungen wie die von Frank Plasberg, Anne Will oder Michel Friedman präsentieren sich in allererster Linie nur selbst. Was die Gäste zu sagen haben ist nebensächlich, und wenn man den Begleitzirkus in den Printmedien des nächsten Tages anschaut, so geht es auch dann nicht vordringlich um die Inhalte des Gesagtem, sondern welche Performance die Gäste abgegeben haben. Wie im Theater halt.

Möchte man Politik erfolgreich erfolgreich verkaufen, sichert man sich das Wohlwollen der Medien und spielt die Rolle die einem zugedacht ist. Diese gegenseitige Abhängigkeit ist nicht zum Nachteil der Beteiligten, solange keine Konkurrenz vorhanden ist. Die gibt es aber nun: Das Internet. Blogs berichten sofort was irgendwo auf der Welt passiert und können dabei auf hochwertige und authentische Quellen zurückgreifen.

Als Nachrichtenvermittler verlieren die klassischen Medien, von Print bis TV, immer mehr an Boden, ebenso bei der Deutung und Kommentierung dieser. Die Krise der Printmedien ist ein untrügliches Zeichen dafür. Doch das ist nur der Anfang, als nächstes wird das Internet das Fernsehen erobern, nicht wie sich das die Macher von Angeboten wie »Entertain« und dergleichen vorstellen, sondern wie es bereits mit dem Internetradio möglich ist.

Wenn aber nun die Deutungshoheit von Nachrichten sich immer mehr zugunsten des Internets verschiebt, wird es auch das Verhalten von Politikern Auswirkungen haben. Diese sind weniger gezwungen sich in inszenierte Formate zwängen zu lassen, sondern bringen ihre Botschaften direkt an den Konsumenten. Die Frage ist nur, wollen die das auch? Oder ist es bequemer sich in die Abhängigkeit von TV und Printmedien zu begeben, womit man bis heute ja auch nicht so schlecht gefahren ist. Eigene Darstellungen mussten ja nur den Interessen der Medien angepasst werden, die dann wieder aus dem Rohstoff Politik eine eigene Handelsware machte. So wie es sich am besten verkaufen lässt.


Siehe auch:

Mediengesellschaften, Vier Vorträge. Herausgegeben von Karl Möseneder (Erlanger Forschungen Reihe A Geisteswissenschaften Gand 124/125). Auch als PDF (8,1 MB)
Klimawandel : drei Vorträge : Mediengesellschaft : vier Vorträge / herausgegeben von Karl Möseneder.


Marcel Weiß und ich [Thierry Chervel] haben im neuen Podcast des Neunetzes über das Leistungschutzrecht für Presseerzeugnisse und das Ausmaß der Desinformation zum Thema in den Zeitungen selbst gesprochen. Außerdem reden wir über ein paar verdrängte Aspekte in der deutschen Debatte zum Medienwandel – etwa, dass sich einige globale Medienmarken etabliert haben, die heute in Konkurrenz zu deutschen Medien stehen – etwa die New York Times, der Guardian, die großen englischsprachigen Wirtschaftszeitungen oder der Economist.
Perlentaucher, Im Ententeich: #LSR oder das Ausmaß der Desinformation


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