Wir leben in Zeiten der Katastrophen- oder Untergangerwartung, nichts bleibt wie es ist, es droht ein Weltgericht welches uns, die Menschen, dafür bestraft nicht nach den Regeln dieser Welt gehandelt zu haben. Die Vorzeichen fürs drohende Unglück erkannte schon Immanuel Kant in Das Ende der Dinge: „Überhandnehmende Ungerechtigkeit, Unterdrückung der Armen durch übermäßige Schwelgerei der Reichen, allgemeiner Verlust von Treu und Glauben, Konflikte und Kriege an allen Erdenden, moralischer Verfall und der schnellen Zunahme aller Laster und den sie begleitenden Übeln, ungewöhnliche Naturveränderungen, Erdbeben, Stürme und Überschwemmungen, Kometen, Luftzeichen.“ Eine Ordnung wurde gestört, die Auswirkungen bekommt man zu spüren. Ordnungen haben Regeln, oder Gesetze, nach denen man sich richten muss, oder die gar unumstößlich gelten.
Doch welche Regeln sind es überhaupt, welche die Menschheit übertreten haben soll. Dies zu bestimmen ist nicht so einfach, eine Welt gibt es nämlich nicht, sie entsteht nur in unserem Kopf durch unser Wissen, oder unserem Glauben. Dementsprechend unterschiedlich sind die Weltbilder. Wissen und Glauben erklären uns aber nur die ablaufenden Prozesse wie die Wechselwirkung zwischen den Lebewesen untereinander, zwischen Materie und den Lebewesen und letztlich auch, Materie und Lebewesen in ihrem Verhältnis zu Gott oder der Religion. Es werden Prozesse erklärt, beschrieben, und bestimmt wie diese Prozesse abzulaufen haben, so dass die allgemeine Ordnung erkannt und nicht gestört wird.
Ein Jeder ist in diese Prozesse eingebunden, die naturwissenschaftlich oder religiös begründet werden können. Aus den jeweiligen Begründungen erwachsen die Regeln, die Ordnung und das Weltbild. Ganz bewusst verzichte ich hier auf eine Unterscheidung zwischen religiösem oder naturwissenschaftlichen Denkansatz, weil die Konsequenz die sich aus der Beschreibung der Ordnungen ergibt, nämlich die der Strafe des Weltuntergangs, bei beiden die gleiche ist. Werden Regeln nicht eingehalten so führt dies zur Krise, zur Bestrafung, zum Untergang.
Damit aber fällt demjenigen der uns die Welt erklärt die Rolle zu, die Regeln zu bestimmen die eingehalten werden müssen. Jedes Verhalten, jede Entscheidung wird auf Kompatibilität mit dem gezeichneten Weltbild überprüft. Der Erklärer erhält damit eine Machtfülle, die alle anderen zu Statisten degradiert und deren hauptsächliche Aufgabe es nun ist, innerhalb des beschriebenen Systems zu funktionieren. Ein Bild vom Ameisenvolk drängt sich auf; die Bewegungen jeder einzelnen Ameise sind festgelegt durch ihre Aufgabe und Bestimmung.
Wer die Welt versucht zu beschreiben, erzählt in Wirklichkeit nur von seinem Weltbild und in diesem Bild sind die Prozesse die Figuren im Vordergrund. Da aber nicht alle Prozesse bekannt sind, viele auch unterschiedlich gedeutet werden, gibt es auch kein allgemeingültiges Weltbild. In einem Satz: Die Welt gibt es nicht, es sind viele Welten, soviele wie es Menschen gibt. Das unterscheidet uns von der Ameise, die hat keine Kenntnis von einer Welt und deren Regeln und Ordnungen, sie hat zu funktionieren, ein demokratischer Prozess ist im Ameisenstaat undenkbar.
Wenn wir das Bild vom Ameisenstaat auf das des gesamten Ökosystems, so wie es die Ökologisten verstehen, übertragen, dann wird deutlich, dass auch hier jeder einzelne eine Rolle hat die klar definiert ist. Der Ablauf von Prozessen, so wie sie definiert werden, darf nicht gestört werden, weil sonst das gesamte Ordnungssystem, sprich Weltbild, in sich gefährdet ist. Besonders deutlich wird dies beim Thema Nachhaltigkeit. Dieses Weltbild besteht praktisch nur noch aus Prozessen. Die Prozesse ergeben die Ordnung und an die Regeln dieser Ordnung hat sich jeder zu halten. Wie die Ameise in ihrem Staat.
Dass dies nicht funktioniert, nicht mit Menschen die eine eigene Vorstellung von ihrer Umwelt haben, somit auch ein jeweils eigenes Weltbild, in dem völlig andere Prozesse determinierend sind, ist auch den Liebhabern der Nachhaltigkeit oder den Ökologisten völlig klar. Pluralismus der Weltbilder ist bei denen nicht vorgesehen, ja bereits die Existenz alternativer Weltbilder wird als Störung betrachtet. Auch hier zeigt sich die Problematik mit Weltbildern, die einen Wahrheitsanspruch universeller Art haben. Diese unterscheiden zwischen wahr und unwahr, sind somit Gegenentwürfe zu jeglichem Pluralismus. Da es aber diese unterschiedlichen Weltbilder gibt, nach denen die Menschen auch handeln, ist für die Vertreter der Nachhaltigkeit bereits der Regelbruch eingetreten, der unweigerlich zur Krise oder, zum Untergang führen muss. Es sind genau die gleichen Mechanismen wie sie in religiösen Untergangszenarien beschrieben werden. Die Sintflut kam weil sich die Menschen nicht mehr an Gottes Ordnung hielten, und heute droht der Untergang, weil wir nicht nachhaltig leben.
Hier ist nun viel von Prozessen im allgemeinen gesprochen wurden, und warum diese eine so große Rolle in den Weltbildern haben. Zwänge, Regeln, Notwendigkeiten, alle jeweils gut begründet, bestimmen die Narrative. Doch stimmen diese überhaupt und was fehlt ganz offensichtlich. Welche Rolle spielt hier überhaupt noch der Mensch mit seinen Fähigkeiten seine Umwelt zu erkennen und zu gestalten. Was bedeutet hier noch das Wort Freiheit, oder die Individualität eines jeden einzeln Menschen. Die Fähigkeit Träume, Wünsche, Chancen bewusst wahrnehmen oder wahr werden zu lassen. Alle diese Aspekte sind völlig ausgeblendet und doch sind sie es, die einen Menschen erst zum Menschen machen. Ein Weltbild welches diese Seiten der Menschen beinhaltet wird die Notwendigkeiten die sich aus den Ordnungen der religiösen und säkularen Apokalyptiker ergeben nicht akzeptieren, sondern erkennen, dass die Notwendigkeiten keine Notwendigkeiten sondern bestenfalls Hürden sind, die es zu überwinden gilt um einen Horizont zu sehen, einen den man sich selbst vorstellen und gestalten kann.
In all den Narrativen der Apokalyptiker, Kataklystiker, Deklinisten, Ökologisten, Keationisten und so weiter, wird der Mensch herabgewürdigt auf das Niveau einer Ameise die lediglich den gegebenen Notwendigkeiten folgt. Doch Menschen sind anders, nicht wie Ameisen, Menschen können sich ein eigenes Weltbild schaffen. Ganz individuell, mit einer ebenso individuellen Perspektive.
Angeregt wurde ich zu diesem Text von der Arte-Sendung Philosophie - Weltuntergang vom 17.12.2012.
Dieser Text ist im Buch Im Spannungsfeld |1 enthalten.
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