Ich gebe zu, Berlin hat mich nie wirklich mitgerissen. Schon zu DDR-Zeiten bin ich lieber nach Prag gefahren, so manches Wochenende mit Rucksack und Schlafsack, weil Geld für Übernachtung wollte ich nicht ausgeben, auch weil nur eine sehr kleine Menge von DDR-Alugeld in Kronen umgetauscht werden durfte. Übernachtet wurde also in der Maisolova auf dem Dachboden eines Hauses, welches nie abgeschlossen war. Ob die Bewohner des Hauses irgendetwas davon mitbekamen weiß ich nicht, wir schlichen uns Nachts heimlich hoch, und Morgens, naja eher Mittags, wieder genauso heimlich hinaus. Das geräuschlose hochschleichen war allerdings ein kleines Problem, da es in Prag eine sehr lebendige Kneipenszene gab, entsprechend angeheitert, um nicht zu sagen besoffen, waren wir auch. Aber es ist immer gut gegangen, wir wurden nicht erwischt.
Ostberlin kannte ich natürlich auch, habe einige Wochen am Französischem Dom mitgearbeitet, doch obwohl ich umfangreiche Exkursionen in die nähere Umgebung des Gendarmenmarkt, der hieß damals »Platz der Akademie« unternommen hatte, so war der Blick vom Turm des Französischen Doms doch das Aufregendste in dieser Zeit, Westberlin schien zu greifen nahe und war doch so unendlich fern. Das war im Sommer 82 als Paul Simon und Art Garfunkel ein Konzert auf der Waldbühne in West-Berlin gaben. Ich, und ein paar Kollegen, haben uns gefragt ob wir vielleicht vom Baugerüst etwas von diesem Konzert mitbekommen könnten. Überprüft habe ich es nicht, fand die beiden damals schon nicht so prickelnd, dennoch war es eine Beleidigung nicht einfach dahin gehen zu können. Schon damals war mir klar, wer derartige Beleidigungen dauerhaft ertragen muss, also alle Ostberliner die theoretisch zu Fuß nach Westberlin hätten gehen können, braucht einen Verdrängungsmechanismus um eben diese Ungeheuerlichkeit nicht dauerhaft bewusst ertragen zu müssen.
Komisch im Rückblick ist auch, ich habe nie nach dem Hugenottenmuseum geschaut und erst jetzt gelesen, dass es zu der Zeit geschlossen war. Es ist deswegen verwunderlich, weil Ulrich Plensdorfs »Die neuen Leiden des jungen W« hatte ich natürlich gelesen und wenn ich mich recht erinnere, so sprach Edgar Wibeau davon. Doch irgendwie, obwohl die Geschichte in Berlin spielt, einen richtigen Bezug zur Stadt konnte ich nicht herstellen, und fand das Buch auch nicht so toll wie einige Kumpels - zu weichgespült. Vielleicht auch weil es in Berlin spielt, die für mich in dieser Zeit schlimmste Provinzstadt in der DDR. Ich schob es auf Westberlin. Wer den freien Teil der Stadt so vor der Nase hatte, aber nicht hin durfte, musste ja irgendwelche Trotzreaktionen zeigen. Geschichte allerdings, die konnte man erleben als Blick in vergangene Zeiten, als Berlin für Aufbruch und Weltoffenheit stand. Die Museumsinsel ist bis heute der einzige Grund für mich nach Berlin zu fahren. Sollte ich mal wieder tun.
Zwei Jahre später, 1984, da lebte ich schon ein Jahr in Stuttgart, fand am Reichstag ein großes Feuerwerk statt. Inszeniert von Andre Heller, diesem Aktionsküster, war dies ein Riesenspektakel das ich nicht versäumen wollte. Also fuhr ich auf der Transitautobahn nach Westberlin, durch ein Land welches ich erst vor einem Jahr verlassen hatte und mir bereits fremd war, wahrscheinlich schon immer. Viel gelacht haben wir im Auto, einem alten Ford Taunus, über die holpernde Autobahn, den hochgestellten Stühlen im Restaurant einer Raststätte und den verdutzten Gesichtern von Leuten, die sich über sächselnde junge Leute wunderten welche aus einem Westauto stiegen. Vielleicht haben wir auch nur eine Beklemmung weggelacht, die schlagartig verschwunden war, als der Schlagbaum am Grenzübergang nach Westberlin passiert war.
Das erste Ziel war Kreuzberg, irgendwelche Kumpels von meinen Mitreisenden, alles ehemalige Ossis, hatten sich dort niedergelassen. Als ich aus dem Auto stieg, war mein erster Schritt auf Westberliner Boden, einer mitten in die Hundescheiße. Fand ich irgendwie witzig, habe dem aber keine sinnbildliche Bedeutung gegeben, ist eben einfach nur passiert, so wie Dinge im Leben eben geschehen.
Ach so, dass Feuerwerk, ja klar war ich dort, zusammen mit weiteren mehreren hunderttausenden Zuschauern. Nett gemacht, aber vom Hocker hat es mich nicht gerissen. Ganz im Gegensatz zu meinen Mitreisenden, die noch so jedem Spruch oder jeder Musik im Zusammenhang mit dem Feuerwerk eine tiefere Bedeutung abgewinnen konnten. „Bombastischer Kitsch,“ als ich das sagte, wollte keiner mehr was mit mir zu tun haben. Auch keines der Mädchen die dabei waren, was besonders frustrierend war.
Dennoch war es ein tolles Wochenende, Kreuzberg fand ich geil und immer, bis heute, wenn ich das Lied »Ich steh auf Berlin« von Ideal höre, muss ich an dieses Wochenende denken. Ein eigener Kosmos entstand dort, der hatte nichts mit Berlin zu tun, oder vielleicht doch, aber es wirkte losgelöst von allem, der Geschichte und dem Charakter der Stadt wie ich sie vorher kannte. Ein Tanz auf einem erloschenem Vulkan, jetzt hier und heute ist wichtig.
Keine Ahnung was aus Kreuzberg geworden ist, was man so hört ist nicht gut. Nach Berlin zog es mich danach nur noch ein Mal, als Christo den Reichstag verhüllte. Das war kein Kitsch, obwohl ich dies zuerst befürchtete. Das war es dann aber auch für mich und Berlin, vielleicht ergibt sich mal wieder ein Grund diese Stadt zu besuchen, außer dem dass die Museumsinsel dort ist, doch momentan sehe ich keinen. Interessant ist die Stadt sicherlich, aber wohl gefühlt habe ich mich nie dort, ganz im Gegensatz zu Prag, oder Staßburg, oder ... .
Was hat das alles mit Wowereit und dessen Rücktritt zu tun. Nichts eigentlich, außer, ich habe nie Berlin verstanden, genausowenig wie den derzeitig noch regierenden Bürgermeister. Vielleicht muss man aber zuerst Berlin verstehen, bevor man Leute wie Wowereit verstehen kann.
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