Nun gibt es aber ein Wissenschaftskonzept welches sich ’Pataphysik⁽⁴⁾ nennt und ebenfalls auf Alfred Jarry zurück geht, in welchem die Unterschiede zwischen real und imaginär, zwischen richtig und falsch, verschwinden. Auch wenn es in Wikipedia als absurdistisches Wissenschaftskonzept bezeichnet wird, so steckt doch ein geniales Erklärungsmodell dahinter und die ’Pataphysiker meinen, dass die ’Pataphysik zur Metaphysik steht, so wie die Metaphysik zur Physik. Sie wird auch die »Wissenschaft von den imaginären Lösungen« bezeichnet. Letztlich ist alles imaginär, die Probleme und die Lösungen. In einer Sendung des Schweizer Fernsehens aus der Reihe »Sternstunden Philosophie«⁽⁵⁾ erklärte Klaus Ferentschik⁽⁶⁾, Mitglied des Collège de 'Pataphysique⁽⁷⁾ in Paris und Regent für spezielle Dämonologie, die Grundprinzipien so:
Die Pataphysik geht davon aus, dass auch die Dinge die es nicht gibt wahr sind, zumal sie in uns existieren, zumal wir daran denken, zumal wir uns in unserer Vorstellung damit beschäftigen. Dann existieren die Dinge und sind genau so real, wie die angeblich realen Fakten.
[ . . . ]
Pataphysik inkludiert alles, alles Vorstellbare, alles Unvorstellbare, alles Mögliche, alles Unmögliche. Für sie ist alles eins in einer grenzenlosen Welt pataphysischer Betrachtungen. Die das Mögliche und das Vorstellbare dem Unmöglichen und dem Unvorstellbaren gleich setzt kann dann auch nicht mehr als wahr und oder falsch angenommen werden, sondern nur noch als gegeben und existent.
Klimakatastrophe oder Vergreisung und Überbevölkerung, aus Zahlen (Statistiken, Messwerten) werden Bilder gemacht. Was daran wahr oder falsch ist, interessiert nicht, die Imaginationen sind vorhanden und damit ist es real. Insbesondere in der Klimatologie ist alles imaginär. Probleme entstehen nur als Phantasiegebilde, weil die Zahlen selbst, auf die sich Klimatologen stützen, gar nichts aussagen. Soundsoviele Zehntel Grad Celsius ist es auf der Welt seit hundert Jahren wärmer geworden. Gemerkt hat das keiner, nur durch die Imagination wurde der Klimawandel real. Da es aber tatsächlich niemand ohne diese Zahleninterpretationen gemerkt hätte, dass es ein paar Zentelgrad wärmer geworden ist, ist die Vorstellung dessen was es für uns bedeutet, ein imaginäres Problem. Genau dafür ist die Pataphysik zuständig, für Imaginationen, so verrückt sie auch erscheinen, sie werden wirklichkeitserklärend und der Unterschied zwischen real, und nicht real, löst sich auf. Es wird als gegeben und existent angenommen.
Wir haben also ein imaginäres Problem, den Klimawaandel, welchem wir gemäß der Pataphysik mit imaginären Lösungen begegnen können. Hier verschwimmt nun ein wenig die Begrifflichkeit, denn wir unternehmen ja tatsächlich reale Anstrengungen um die imaginäre Klimakatastrophe zu vermeiden. Auch hier auf dem ersten Blick nur, denn in Wirklichkeit sind die realen Anstrengungen nur imaginäre. Dazu müssen wir uns wieder auf die Ebene der nackten Zahlen begeben, ohne jede Imagination. Und diese Zahlen sagen aus, dass nichts passiert ist. Das CO₂ steigt munter weiter, die Energiewende, oder andere Anstrengungen, konnte an den Zahlen nichts ändern.
Dadurch aber, dass die Temperatur der Erde derzeit nicht mehr steigt, auch das sehen wir nur in den Messwerten und Statistiken, fühlen können wir es nicht, muss es eine andere Erklärung geben warum die Energiewende gewirkt hat. Die realen Anstrengungen haben offenbar pataphysisch gewirkt, gleichsam direkt aufs Klima, ohne sich erst lange mit dem Kohlendioxid aufzuhalten. In der Pataphysik ist das kein Widerspruch, da sowieso alles imaginär ist, das Mögliche genauso wie das Unmögliche.
Damit kommen wir zum nächsten pataphysischen Phänomen, der Auflösung zwischen wahr und falsch. „Den [Unterschied] gibt es nicht mehr, denn in ihrer Vorstellung können sie ja ständig hin und her hüpfen“, meint Klaus Ferentschik. Genau das machen die Klimawissenschaftler ja auch, welche fordern, wir müssen reale Handlungen wie die Reduzierung des CO₂ mit Hilfe der Energiewende vornehmen, welches dann zwar den CO₂ Ausstoß erhöht, allerdings trotzdem das Klima schützt. Das ist Pataphysik in Reinkultur, ein ständiges hin und her hüpfen zwischen Real und Imagination.
In der Anmoderation zur »Sternstunden Sendung« des Schweizer Fernsehens heißt es: „Die ganze Welt ist ohnehin und grundsätzlich pataphysisch, ob wir es nun wahr haben wollen oder nicht.“ Wahrscheinlich wissen die meisten Klimatologen und Klimaschützer gar nicht in welch höhere Sphären der Pataphysik sie bereits vorgedrungen sind und es wäre dem Collège de ’Pataphysique anzuraten, zu den bisherigen Lehrstühlen:
Generelle ’Pataphysik und Dialektik der Unnützen Wissenschaften
Angewandte ’Pataphysik. Blablabla und Matäologie
Geschichte der ’Pataphysik und Exegese
Katachemie und ’Pataphysik der Unexakten Wissenschaften (Mistizin, Geschichte, Sozial- und Kulinarwissenschaften usw.), Aufbaustudiengang Magirosophie
Mythographie der Exakten Wissenschaften und der Absurden Wissenschaften, Aufbaustudiengang Alogonomie
Militärische und strategische Eristik
Photosophistik
Kinematographologie und Onirokritik
Erotik und Pornosophie
Krokodilologie
Pompagogie, Pomponierismus und Zozologie
„Es gibt keine Lösung, weil es kein Problem gibt“
König Ubu half mir den real existierenden Sozialismus zu verstehen, wenngleich ich mich mit Hilfe der Pataphysik über ihn lustig machte; in dem ich mich zwar scheinbar zum Narren machte, dabei aber der Gesellschaft den Spiegel vor hielt. Erst in diesem Spiegel wurde klar, dass alles Imagination ist, aus dieser Imagination aber reale Probleme entstanden, die wiederum mit imaginären Lösungen bedacht wurden.
Die heutigen Imaginationen werden real durch Begriffe wie Klimawandel, Klimaschutz, Klimawissenschaft und Nachhaltigkeit. Institutionen werden gegründet die mit imaginären Lösungen imaginäre Probleme beseitigen wollen. Was wirklich wahr ist, wird irrelevant. Noch mal Eva Horn⁽⁹⁾:
Dieses weite und disparate Feld von Fiktionen über das Klima zu analysieren bedeutet nicht, sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, sondern zu zeigen, wie die Wahrheit »zustande kommt«, die sie mit großer Überzeugungskraft anschaulich machen wollen. Nur so lassen sich die unausgesprochenen Programme, die heimlichen Implikationen und Handlungsanweisungen entziffern, die in den unterschiedlichen Klimaimaginationen bearbeitet werden.
Verweise/Anmerkungen:
(1) | Alastair Brotchie: Alfred Jarry Ein pataphysisches Leben Aus dem Englischen und Französischen von Yvonne Badal Piet Meyer Verlag, Wien 2014 552 Seiten, gebunden, € 44,70 Erscheint am 13. August 2014 [Perlentaucher Vorgeblättert: Alastair Brotchie: Alfred Jarry] |
(2) | Apollinaire: Alles in der Wohnung von Jarry war zu klein: das Bett, die Bibliothek, sogar die an den Wänden hängenden Bilder. Nur auf dem Kamin stand ein steinerner Phallus aus Japan und als ihn einmal eine Dame schockiert entdeckte, meinte der Bewohner auf ihre Frage, ob dies ein Gipsabdruck sei, nur kurz: "Nein, eine Verkleinerung." [König Ubu, ein Hörspiel nach Alfred Jarry produziert von Radio T ] [Wikipedia.de: Alfred Jarry] [physiologus.de: Verkleinerung] |
(3) | Das 1896 uraufgeführte Drama wurde von Surrealisten und Dadaisten gefeiert und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Später identifizierte sich Jarry immer mehr mit seiner Figur; gegen Ende seines Lebens signierte er sogar mit Ubu. [Wikipedia: König Ubu] |
(4) | Jarrys ’Pataphysik blieb bis zur Gründung des Collège de ’Pataphysique 1948 eine weitgehend nur literarische Idee, die Künstler und Schriftsteller inspirierte. Die später berühmt gewordene ’pataphysische Vereinigung, gegründet zu Alfred Jarrys Ehren in der Librairie des Amis des Livres in Paris, hatte auf die Weiterentwicklung der ’Pataphysik wesentlichen Einfluss. Zu den Gründern zählten Raymond Queneau und Boris Vian. Spätere prominente Mitglieder waren hauptsächlich Künstler, Musiker und Schriftsteller, wie Marcel Duchamp, Max Ernst, Eugène Ionesco, Joan Miró, Groucho, Harpo und Chico Marx, Jean Baudrillard, Dario Fo, Umberto Eco, Man Ray und Harald Szeemann. [Wikipedia: ’Pataphysik] |
(5) | Die Sendung wurde ursprünglich am 04.11.2007 im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt. [SRF: Sternstunde Philosophie: Klaus Ferentschik: 'Pataphysik – Wissenschaft der imaginären Lösungen - Ein Paralleluniversum der Phantasie und der individuellen Abweichung] Diese Sendung brachte auch 3sat, daraus hier ein Ausschnitt, gefunden auf Youtube. |
(6) | Im Collège de 'Pataphysique fungiert er als Regent mit einem Lehrstuhl für démonologie spéciale, verfasste ein ausführliches Buch über 'Pataphysik, die Wissenschaft von den imaginären Lösungen und zum 50jährigen Jubiläum der Weltmaschine des Franz Gsellmann den dazugehörigen Roman - Der Weltmaschinenroman (2008). Seit 2001 lebt Klaus Ferentschik in Berlin. [Wikipedia: Klaus Ferentschik] |
(7) | Das Collège de ’Pataphysique, gegründet 1948 in Paris, ist eine Vereinigung zur Förderung von Studien der ’Pataphysik, einem vom französischen Schriftsteller Alfred Jarry (1873–1907) erdachten absurdistischen Wissenschaftskonzept. Das Collège war in einer ersten Phase besonders in den 1960er Jahren in Kunst und Literatur einflussreich. [Wikipedia: Collège de ’Pataphysique] |
(8) | Eva Horn: Zukunft als Katastrophe. S. Fischer Verlag, 2014, S. 13. [Amazon: Zukunft als Katastrophe von Eva Horn] |
(9) | ebenda S. 113 |
Dieser Text ist im Buch Im Spannungsfeld |1 enthalten.
Danke für die Anregung! Es ist Jahrzehnte her, dass in unserer (Wessi-Clique) König Ubu oder Duchamp ein Thema waren. Zeit, mal wieder nachzulesen.
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