Im Tagesspiegel wird eine Studie vorgestellt, nach der die ›Spanische Grippe‹ (1918-20) weltweite politische Auswirkungen gehabt hätte. So wird beispielsweise der Aufstieg der Nationalsozialisten damit begründet. Dort wo es besonders viele Todesfälle gegeben hätte, wäre dann – einige Jahre später – auch der Wähleranteil für die Nazis am höchsten gewesen.
Sicher ist das ein wenig an den Haaren herbeigezogen ist, vielleicht liegt es auch an einer möglicherweise verkürzten Darstellung im Tagesspiegel, doch ein Satz ließ mich aufhorchen, dort wird erwähnt, dass dieser Pusheffekt für andere politische Extremisten, wie die Kommunisten, nicht existierte. Warum nicht, wird nicht erwähnt, aber die Antwort ergibt sich ja von selbst, Kommunisten sind ihrem Selbstverständnis nach Internationalisten, was in Zeiten der Bedrohung durch eine Epidemie nicht besonders attraktiv ist. Wird diese real, ist eher die Rückbesinnung und der Schutz des Eigenen wichtig, zumindest wichtiger als Utopien.
Mir ist diese vereinfachte Darstellung, dass die Spanische Grippe den Aufstieg Hitlers begünstigte, sowieso zu reißerisch, zu komplex war die Situation in der Weimarer Republik. Dennoch ist die Beobachtung nicht neu, dass Epidemien politische Langzeiteffekte haben. Michel Foucault vertritt gar die These, „dass der moderne Nationalstaat von Epidemien indirekt profitierte. Im 19. Jahrhundert wurde die Sanierung von »Seuchenherden« mit entsprechender Kontrolle, Überwachung und Ahndung ein wichtiges Instrument und eine Legitimation der jungen Nationalstaaten“.
All das ist natürlich lange bekannt und wurde viel besprochen. Die spannende Frage ist: Was passiert jetzt in den Zeiten von Corona, welche langfristigen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen werden sich als Ergebnis dieser Pandemie ergeben?
Natürlich versucht eine Institution wie die EU nun in die Initiative zu gehen, will sich als Akteur zeigen, um ihr Bedürfnis nach Legitimation durch das Volk zu befriedigen. Nur hat das irgendwie nicht geklappt, sämtliche Kontrolle, Überwachung und Ahndung, eben alles was bei der Bekämpfung einer Epidemie wichtig erscheint, verblieb bei den Nationalstaaten. Wenigstens mit Geldscheinen konnten die von der EU wedeln, so wie sie es immer tun, und großzügige Hilfe versprechen. Ob dies noch lange so geht, nachdem das Bundesverfassungsgericht in fiskalischer Hinsicht nun ein deutliches Urteil gegen solches Gebaren der EUInstitutionen ausgesprochen hat, muss bezweifelt werden. Unterm Strich könnte die EU nach Ende der Pandemie als der große Verlierer dastehen. Ob sie ihr nächstes großes Geld(um)verteilungsprojekt, ihren »Green Deal«, wie geplant durchbekommen werden, erscheint aus heutiger Sicht eher fraglich. Zumal alles was sich mit dem politischen Begriff Grün schmückt, auf einmal seltsam unattraktiv erscheint.
Damit sind wir nun mitten in der Frage: Welche politischen Langzeiteffekte werden sich aus der CoronaKrise ergeben? Gloria Geyer zieht im oben erwähnten TagesspiegelArtikel die ganz große Frage heraus: „Welche langfristigen Folgen hat das Coronavirus für die politische Weltordnung? Diese Frage beschäftigt derzeit viele Menschen und die Wissenschaft weltweit.“ Ich finde diese Frage legitim und spannend, werde mich aber nicht an eine Beantwortung trauen. Meine Erkenntnisse beruhen meist eher auf der Beobachtung der Menschen in meiner Nähe, was global passiert, müssen andere beurteilen und beschreiben.
Also bleibe ich bei meiner Umgebung und beobachte diese, welche Befindlichkeitsveränderungen bei meinen Mitmenschen erkennbar werden. Und hier stellt sich schon jetzt heraus, dass diese auf zwei verschiedenen Ebenen geschehen, einmal als Reaktion auf die Bedrohung durch das Virus selbst, und dann, als Reaktion auf die politischen und hoheitlichen Entscheidungen zur Bekämpfung des Virus.
Am Anfang war eine Verunsicherung durch das Virus selbst. Wird es mich treffen, wie kann ich mich schützen, welcher meiner Mitmenschen könnte nun eine Bedrohung für mich sein? Das fragten sich die meisten Menschen, als die ersten Nachrichten aus China eintrafen und diese Verunsicherung steigerte sich noch weiter, als weitere Schreckensmeldungen, nun auch aus Europa, die Nachrichten dominierten. Doch das war alles nur Imagination, eine reale Bedrohung verspürte kaum einer. Partys gingen weiter, Massenveranstaltungen ebenso. Dennoch machte sich, mit jeder weiteren Meldung in den Nachrichten, die Verunsicherung immer mehr breit, sodass bald deutliche Rufe nach politischen Entscheidungen laut wurden. die Verunsicherung immer mehr breit, sodass bald deutliche Rufe nach politischen Entscheidungen laut wurden.
Als die Politik nun diesen Rufen entsprach und zuerst Erklärungen abgab, warum Masken nicht schützen und Grenzschließungen ebenfalls nicht, begann der Eiertanz der Verunsicherung erst richtig. Diese Aussagen wurden nämlich recht bald einkassiert und das Gegenteil behauptet, verbunden nun mit politischen Entscheidungen die schließlich in den »Shutdown« gipfelten. Eine kurze trügerische Beruhigung trat ein, aber nur solange, bis die Befindlichkeit der Verunsicherung – nun wegen ganz realer Bedrohungen – auf das eigene Dasein übergriff. Die Angst vor Wohlstandverlust, Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und mehr, verstärkte die Verunsicherung. Aus der imaginären Bedrohung war eine reale geworden. All diese Verordnungen, die das öffentliche und vor allem das wirtschaftliche Leben dann stark einschränkten, wurden zunehmend als Gefahr für den eigenen Wohlstand, ja gar die Existenz, empfunden. Dies trifft vielleicht nicht auf die Mehrheit zu, die alle diese Einschränkungen als weniger bedrohlich erachten als das Virus selbst, doch eine zunehmende Minderheit empfindet so, für diese Menschen ist es jetzt die Politik, von der die wirkliche Gefahr ausgeht.
Erste Demonstrationen gegen den »Shutdown« formieren sich, letzten Samstag kamen in Stuttgart auf dem Cannstatter Wasen, dort wo sonst die Volksfeste im Frühjahr und Herbst stattfinden, rund 5000 Demonstranten zusammen. Der Schlossplatz, auf dem sie eine Woche vorher demonstrierten, war zu klein geworden. Im Netz formieren sie sich unter dem Schlagwort »Widerstand2020 und begreifen sich gar schon als Partei.
Ist das nun eine Eintagsfliege, eine kurzfristige Aufregung, die sich bald wieder legt, oder haben wir es hier bereits mit dem Beginn eines politischen Langzeiteffekts zu tun, um auf die Eingangsfrage zurückzukommen. Ich kann es momentan noch nicht einschätzen, meine und die Befindlichkeiten meiner Mitmenschen haben sich geändert, die Begriffe Freiheit und Selbstbestimmung bekommen einen höheren Stellenwert, im ideellen Bereich genauso wie in der Lebenspraxis, da mehr mit materiellen Ängsten und Wünschen verbunden. Wenn beides zusammenkommt, das Ideelle und das Materielle, dann ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, wenn die Umstände es auch noch begünstigen, dass hier eine politisch relevante Bewegung entsteht.
Diese Einschätzung gilt aber nur mit Vorbehalt, ich muss mir erst selbst ein Bild davon machen. Also werde ich nächsten Samstag, so wieder eine Demo in Stuttgart ist, mal hingehen und die Leute in Augenschein nehmen, vielleicht das eine oder andere Gespräch führen. Im Prinzip weiß ich ja, aus der Beobachtung meiner Mitmenschen, dass sich Befindlichkeitsveränderungen durch die CoronaKrise eingestellt haben, ob daraus bereits eine politisch eigenständige Bewegung entstanden ist, werde ich vielleicht nächste Woche sagen können. Doch so oder so, politisch wirksam sind die Veränderungen, wie die entstehende Bewegung, sicher. Alle Parteien müssen darauf eingehen. Wir gehen interessanten Zeiten entgegen, hoffe ich.
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